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Der Christstollen, eine "makellos germanische Schöpfung".

Foto: Getty Images/rozmarina

Spätestens wenn wir die Gans, den Karpfen und die Zimtsterne, die Vanillekipferln und die Nusslinzer sowie, zu später Stunde, die kälbernen Mettenwürstel im heiligen Grab unserer selbst versenkt haben, ist es Zeit für den Christstollen. Das Germgebäck, von Obergourmet Wolfram Siebeck selig als "makellos germanische Schöpfung" charakterisiert, schmiert einem noch den Gallengang zu, wenn sonst gar nichts mehr geht.

Also wird an dieser Stelle das Loblied auf eine teutonische Köstlichkeit gesungen. Auf die sonst wohlfeile Erniedrigung all dessen, was den Deutschen als lecker erscheint, sei ausdrücklich verzichtet. Es ist ja Weihnachten. Außerdem ist der Christstollen, im Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache als "pfostenförmiges" Gebäck definiert, echt ein toller Kuchen.

Kandierte Zitronen- und Orangenschalen

Nachdem die Deutschen seit jeher reiche Deutsche waren, ist er eine jenseitig reichhaltige Kreation, vollgepackt mit Zutaten, denen einst der Nimbus des Exotischen und Extravaganten anhaftete. Der Teig ist zu gleichen Teilen (!) aus Mehl und Butter, dazu kommen abartig viele Sultaninen (laut Richtlinie des Schutzverbands Dresdner Stollen e. V. 65 Gramm je 100 Gramm Mehl), kandierte Zitronen- und Orangenschalen, Mandeln und Bittermandeln sowie Gewürze in Form von Vanilleschote, Anis, Zimt, Koriander, Nelken, Piment und Kardamom. Nach dem Backen wird er getauft (zur Gänze in flüssige Butter getaucht), mit Zucker lückenlos bestreut und nach dem Auskühlen dick mit Staubzucker beschneit.

Man will sich gar nicht vorstellen, was dieses Prassen mit Kolonialwaren zu der Zeit gekostet haben mag, als der Bischof von Naumburg 1329 ein Innungsprivileg für Bäcker ausfertigte und so für die erste urkundliche Erwähnung sorgte. Nicht zufällig indem er entsprechende Entlohnung einforderte: einerseits Geld, andererseits eine alljährlich "an des heiligen Cristus Abende" zu erbringende Sachleistung in Form von "zwey langen weyssenen Broten, die man Stollen nennet".

Der Stollen kommt also aus dem Osten, zu DDR-Zeiten auch offiziell: 350 Tonnen verschickten die Kommunisten als Zeichen kulinarischer Überlegenheit alljährlich in den Westen. Dass der Stollen der Überlieferung nach das "in weiße Windeln gewickelte Christkind" symbolisiert, hat nicht gestört. Im Gegenteil: So wurden die religiös verwirrten Kapitalisten dazu gebracht, das Sinnbild ihres Götzen ruchlos zu verspeisen. (Severin Corti, 24.12.2018)