Personalmangel auf allen Ebenen, so lautete auch heuer der Tenor in der Tourismus- und Gastronomiebranche. Was die neuen Arbeitszeitregeln und die Regionalisierung der Mangelberufsliste bringen wird und wie wichtig die Frage der Bezahlung ist.

STANDARD: Herr Günzel, Sie stehen rund um die Feiertage wohl sehr lange in der Küche. Nach wie vielen Stunden reicht es Ihnen?

Günzel: Von 14, 15 Stunden muss man schon ausgehen in der Weihnachtszeit.

STANDARD: Frau Ameshofer, Sie arbeiten in einem Thermen- und Hotelkomplex. Auch dort ist derzeit Hochsaison. Kommen Sie ohne Überstunden aus?

Ameshofer: Wir achten sehr darauf, dass wir die rahmenrechtlichen Zeiten einhalten. Aber wenn jemand krank wird, fällt schon einmal eine Sechstagewoche an. Es kann sogar passieren, dass wir jemanden sieben Tage brauchen.

Ist der Nachwuchs zu verwöhnt, wie Fabian Günzel meint, oder muss die Branche ein besseres Umfeld gewährleisten, wie Sabine Ameshofer es für nötig hält?
Andy Urban

STANDARD: Eine Frage der Kosten und Wirtschaftlichkeit?

Günzel: Das geht alles Hand in Hand, deswegen gibt es eine so hohe Fluktuation. Wir sagen in der Branche: "Man bricht sich das Bein und kommt trotzdem auf Arbeit." Ich müsste so kalkulieren, dass ich einen Mitarbeiter freihätte für den Fall, dass einer krank ist. Das ist unmöglich. Die Preisspanne ist viel zu eng, der Preiskampf viel zu heftig.

STANDARD: Der Gast möchte gut essen, sehr gut bedient werden, beste Zutaten. Kann man entsprechende Preise nicht einmal in der Spitzengastronomie durchsetzen?

Günzel: Der Konsument entscheidet. Wenn ein Kilo Faschiertes günstiger ist als eine Zwölferpackung Klopapier, dann sollte ich mir Gedanken machen. In der Gastronomie ist das das Gleiche.

STANDARD: Geht es nur mit Ausbeuten?

Ameshofer: Das hängt ja nicht nur von Überstunden oder der geleisteten Arbeit ab. Die Mitarbeiter würden eine stressige Zeit mittragen. Aber wir haben ein riesiges Defizit bei den Rahmenbedingungen im Kollektivvertrag. Sei es bei Zulagen, beim Grundlohn generell, bei den Anrechenzeiten der Mütterkarenz, bei der sechsten Urlaubswoche. Seit zehn Jahren wurde nichts verbessert.

Günzel: Da gebe ich Ihnen zu 100 Prozent recht. Würde ich nach Kollektivvertrag zahlen, würde ich niemanden bekommen. Den können sich alle auf den Bauch picken, weil der ist für den Hugo. Ich zahle weit darüber. Man kann nicht nur fordern, muss den Leuten auch etwas geben.

STANDARD: Ist die Branche selbst schuld, dass sie so viele Stellen nicht besetzen kann?

Günzel: Absolut. In der Spitzengastronomie prügelt man sich um gutes Personal. Als ich Jungkoch war, hat man sich als einer von dreißig beworben, und man hat für jedes Geld alles Mögliche getan. Das hat sich gedreht. Die Betriebe kommen schön langsam drauf, aber die Branchenbesten müssen mitmachen. Das ist wie im Leistungssport, fängt oben an und geht nach unten durch.

Bei den rahmenrechtlichen Bedingungen wurde seit zehn Jahren nichts verbessert, moniert Ameshofer. Würde er nach Kollektivvertrag zahlen, würde er niemanden bekommen, entgegnet Günzel.
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STANDARD: Stichwort oben. In den Skigebieten fehlen viele Saisonkräfte. Woran hapert es?

Günzel: Weil die nach außen in der Gastronomie ein völlig falsches Bild vermitteln. Das ist immer noch ein schwerer, stressiger Beruf. Gerade Saisonarbeit. Das ist halt nicht mehr schick bei der jungen Generation. Work-Life-Balance, viel schlafen, wenig machen, einen Haufen verdienen, viel auf Instagram posten – heute sind alle verwöhnt. Auf einer Skihütte interessiert das niemanden. Die Leute wollen da in einem relativ engen Zeitfenster 600 Germknödel oder 600-mal Spaghetti carbonara.

STANDARD: Wird die Regionalisierung der Mangelberufsliste Abhilfe schaffen?

Günzel: Das ist eine Augenauswischerei. Da gibt es ganz andere Hebel, wo man ansetzen müsste. Ich wage zu behaupten, dass ich mit meinem Miniunternehmen mehr Steuern brenne als ein großer Internetkonzern oder ein großer amerikanischer Konzern mit dem grünen Logo. Ich will auch, dass meine Mitarbeiter gut verdienen, damit wir in alle Kassen, die es gibt, vernünftig einzahlen. Aber die Lasten sind unfair verteilt. Das bekommen Sie zu spüren und ich auch. Da liegt der Hund begraben.

STANDARD: Davon abgesehen, lassen sich die Herausforderungen in der Branche in einem Kollektivvertrag abbilden?

Ameshofer: Man darf sich nicht zu viel erhoffen. Aber man muss die Arbeitnehmerseite ernst nehmen. Natürlich hat sich einiges geändert. Früher ist viel schwarz bezahlt worden. Mit der Registrierkasse kommt das nicht mehr vor, was gut ist. Aber wenn sich nichts ändert, haben wir ein Problem.

Günzel: Viele schimpfen über die Registrierkassenpflicht, aber da wurde schon viel mit Schwarzgeld produziert. Da müssen wir jetzt die Eier in der Hose haben und das anerkennen. Und wenn jeder immer nur versucht, vorbei an der Kasse zu wirtschaften, kann man keine Stadt erhalten. Wenn ich am Monatsende Löhne überweise, heule ich hinter meinem Laptop. Aber die Leute müssen ordentlich bezahlt werden. Ich bin halt mit Menüpreisen eingestiegen, da haben mich alle gefragt, ob ich geisteskrank bin.

STANDARD: Hilft Ihnen die Neuregelung des Zwölfstundentags?

Günzel: Es hilft uns, die Realität nicht mehr ganz so stark vertuschen zu müssen. Wir sind da auch beim Thema Teildienste und viel arbeiten. Ich versuche, die Rahmenbedingungen so erträglich wie möglich zu gestalten. Wir haben an Feiertagen, am Wochenende, zwei Wochen im Februar, drei Wochen im August zu. Das ist in der Gastronomie ein Faustpfand, das ich bei Verhandlungen auf den Tisch knallen kann. Aber das Geld muss auch reingespielt werden. In der Dezemberzeit machen wir Sechstagewochen. Ich kann nicht sagen, Burschen, das Restaurant ist leer, hier habt ihr Geld.

Einig ist man sich darin, dass man Respekt erwartet. Sowohl von den Gästen gegenüber den Mitarbeitern, als auch von den Chefs gegenüber den Mitarbeitern und von den Crews im gegenseitigen Umgang.
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Ameshofer: Die Nachtruhe wurde bei den Teildiensten auf acht Stunden heruntergesetzt. Das ist brutal. Wir haben in unserem Betrieb Mitarbeiter, die haben eine Anfahrtszeit von einer Stunde.

Günzel: Was soll man sagen. Es ist so. Ich versuche es meinen Burschen so zu erklären: Habt ihr schon einen Juristen gesehen, der beim Schreiben der Doktorarbeit nicht zwölf, 13 Stunden macht?

STANDARD: Funktioniert da Freiwilligkeit bei Mehrstunden?

Ameshofer: Was heißt schon freiwillig? 99 Prozent der Mitarbeiter sind bemüht, den Betrieb zu unterstützen. Natürlich kommt es auf die Situation an, gibt es Fürsorgepflichten, gesundheitliche Probleme. Man hat speziell in der Küche eine irrsinnige Gruppendynamik. Macht man zu sehr von der Freiwilligkeit Gebrauch, wird man rasch zum Nestbeschmutzer und Außenseiter und fühlt sich im Team nicht mehr wohl.

STANDARD: Welche Rolle spielt beim Wohlfühlen der Gast?

Günzel: Ich habe Diskussionen, weil Leute mir an die Glastür treten und eine Viertelstunde früher rein möchten. Da kommen Gäste, wedeln mit der Kreditkarte und behandeln meine Mitarbeiter als wären sie Lakaien.

STANDARD: Ein Berufsrisiko?

Günzel: Als Koch stinkst du nach Fritteuse, es ist schmutzig und laut. Aber wir sollten nicht immer darüber reden, dass wir zu viel arbeiten, dass man zu wenig verdient. Zeigen Sie mir jemanden, der so viele Emotionen auslösen kann mit dem Job. Muss es immer ein brodelndes Bankkonto sein.

Wie wichtig ist das Gehalt? Geld kann nicht alles sein, sagt Günzel. Stimmt sagt Ameshofer, nur jetzt sei es eindeutig zu wenig.
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Ameshofer: Wir reden von einem Einstiegsgehalt von 1500 Euro. Man muss schleunigst auf 1700 Euro kommen. Zwölfstundentag ja, aber wir müssen auf 36 Stunden Wochenarbeitszeit kommen.

Günzel: Niedlich. Michael Häupl hat bei den Lehrern gesagt, bei 22 Stunden bin ich Dienstagmittag fertig. So ähnlich wäre es bei uns auch. In der Spitzengastronomie lebt der Mitarbeiter auch von der Ideologie. Man kann irrsinnig schnell aufsteigen. Das Mindset muss stimmen. Ich will nicht wissen, wie viele freiwillige Stunden David Alaba auf dem Fußballplatz verbracht hat.

STANDARD: Ziehen solche Argumente auch bei Ihnen?

Ameshofer: Ein fettes Bankkonto ist nicht alles. Aber ich helfe gerade vielen Leuten, Ausgleichszulagen zu beantragen, die lange Vollzeit gearbeitet haben. So wenig Pension bekommen die. Viele in der Branche sitzen in der Armutsfalle. (Regina Bruckner)

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