Auch bei Protesten in Beirut trugen die Demonstranten gelbe Westen.

Foto: APA/AFP/Amro

Auch die Araber haben die Gelbweste entdeckt: Fast immer, wenn zuletzt in einem arabischen Staat im Dezember demonstriert wurde, wurden die leuchtenden Signalwesten gesichtet, im Libanon, im Irak, in Jordanien, in Algerien und auch im Sudan, wo die sich am hohen Brotpreis entzündeten Proteste in den vergangenen Tagen so richtig an Fahrt aufnehmen. Die Tunesier haben sich für am französischen Beispiel inspirierte rote Westen entschieden: Auch dort ist die Lage äußerst angespannt, nachdem sich zu Wochenbeginn der Fotojournalist Abderrazzak Zergui in Kasserine aus Protest gegen die sozialen Verhältnisse selbst verbrannt hat: Vor acht Jahren hatte ja der Gemüsehändler Mohammed Bouazizi mit dem gleichen Akt eine Protestwelle ausgelöst, die von Tunesien auf viele andere Länder der arabischen Welt übergeschwappt ist.

Schon vor Tagen haben in Kairo Händler, die Signalwesten im Sortiment führen, behördliche Besuche bekommen: Sie dürfen sie nicht mehr einfach so an jeden verkaufen, der ins Geschäft hereinspaziert. Es ist eine sensible Saison in Ägypten: Wieder einmal nähert sich der Jahrestag der Revolution, die 2011 Präsident Hosni Mubarak zu Fall brachte.

Soweit klingt das ganz einfach: auf der einen Seite die Demonstranten, die sich an den französischen "gilets jaunes" ein Vorbild nehmen – hoffentlich nicht in allem –, auf der anderen die Obrigkeit, die dagegen ist. Inklusive der üblichen Verschwörungstheorien: Wenn in Beirut die Menschen gegen Korruption und den gelähmten Staat auf die Straße, dann stecken doch, angesichts der engen libanesisch-französischen Vergangenheit, ganz bestimmt Pariser Machinationen dahinter, oder? Jedenfalls schreibt das ein Kommentator in Kuwait.

Brutale Bilder aus Frankreich

Die Gefühlslage der Herrschaften oben ist jedoch äußerst komplex, stellt sich heraus, im ganzen Nahen Osten, nicht nur bei den Arabern. Auch in der Türkei, wo Präsident Tayyip Erdogan – von dem man nur zu gut weiß, wie er selbst in seinem eigenen Staat auf Gelbwestenproteste reagieren würde – in den Vorgängen in Frankreich den Beweis für das Scheitern von Demokratie und Menschenrechten in Europa sieht. Und wer berichtet das besonders groß? Das Sprachrohr des iranischen Regimes, PressTV. Allerdings ist eines richtig: Viele Menschen im Nahen Osten reagierten erstaunt und erschreckt angesichts der brutalen Bilder, die wochenlang aus den französischen Städten kamen.

Den Vogel hat jedoch das arabische Parlament abgeschossen. Ja, richtig, es gibt ein "arabisches Parlament", das der Liga der Arabischen Staaten. Dieses arbeitet eifrig an der Verbesserung der Welt. Bei seiner Sitzung in Kairo vor kurzem einigten sich die Abgeordneten auf eine Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen in Europa im Allgemeinen und der Repression der Gelbwesten im Besonderen durch die französische Regierung. Der Vorschlag kam von Parlamentspräsident Mishaal al-Salame, aus Saudi-Arabien. Nun tut man sich in diesem Fall etwas schwer mit der journalistischen Tugend, sich ironischer Kommentare zu enthalten. Und eigentlich ist das ja, angesichts der Lage in vielen arabischen Ländern, ohnehin nicht einmal komisch.

Arabisches Parlament verurteilt Frankreich

Einer der Vizepräsidenten des Parlaments, der Marokkaner Abdellatif Benyakoub, machte übrigens auf die Schieflage aufmerksam: Vielleicht sollte der, der im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen werfen? In den meisten arabischen Staaten sind Demonstrationen kaum oder – wie im Lande des Parlamentsdirektors – gar nicht möglich, und Menschen, die auf die Straße gehen riskieren prinzipiell viel, auch wenn sie nicht ihre Umgebung in Stücke schlagen wie (manche) Gelbwesten. Aber da Benyakoub aus der marokkanischen "Parti de la justice et du développement" stammt, ist er – Sicht aus Saudi-Arabien – ja nur ein Muslimbruder, der die Revolution unter die friedliche islamische Umma bringen will.

Wenn man an eine nicht lange zurück liegende Szene denkt, liegt der Verdacht nahe, dass es sich beim saudischen Vorstoß im arabischen Parlament um so etwas wie eine Retourkutsche gegen Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron handeln könnte: Beim G20-Gipfel in Argentinien Ende November übertrug ein Mikrofon ein paar Wortfetzen eines Gesprächs zwischen Macron und dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der ja, wegen seiner mutmaßlichen Verwicklung in die Ermordung von Jamal Khashoggi in Buenos Aires ein ziemlich isolierter Mann war. Man hörte wie Macron ihm die Leviten las: "Sie hören nie auf mich" sagt er einem etwas peinlich berührten MbS – der sich, als die Proteste in Frankreich ausbrachen, seinen Teil gedacht haben mag. Das arabische Parlament hat sich übrigens auch in einer Erklärung mit Saudi-Arabien solidarisiert, die Attacken wegen der Khashoggi-Affäre seien unangebracht. (Gudrun Harrer, 26.12.2018)