Es war eine offenkundige Luftnummer. Und nicht einmal jene wenigen Vorwürfe, die es ursprünglich gegeben hatte, ließen sich erhärten. Die bewährte Methode der türkischen Behörden im Umgang mit Kritikern der Militäraktionen in den Kurdengebieten, im Norden Syriens und mit jenen, die es wagen, Präsident Tayyip Erdogan entgegenzutreten – erst einmal festnehmen und dann schauen, ob sich nicht doch auch passende Vorwürfe oder vielleicht gar Indizien finden lassen – ist im Fall Max Zirngasts vorerst fehlgeschlagen.

Offiziell sind es "Formalfehler", die von der Justiz in der Anklageschrift bemängelt worden waren. Nach allem, was über die Vorwürfe gegen den Steirer bisher bekannt ist, könnte man aber auch annehmen, dass die fehlende "Formalität" inhaltliche Punkte sind, die auf Gesetzeswidriges schließen lassen. Das lässt sich am vielleicht prominentesten Punkt festmachen: Zirngast wurde unter anderem die Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe vorgeworfen, bei der es sich um die linke Organisation TKP/Kivilcim handeln soll – doch weder gibt es Anhaltspunkte für seine Mitgliedschaft, noch ist sicher, ob es die Gruppe überhaupt noch gibt. Und nicht zuletzt urteilten türkische Gerichte 2012 und 2015, dass die Gruppe auch gar keine Terrororganisation sei.

Eigentlich ist das alles aber egal. Denn ob sich auch ein Haftrichter gefunden hätte, der diese Punkte hinterfragt, wenn es sich nicht um einen Studenten aus dem Ausland handelte, dessen Fall durch die internationalen Medien geht – das ist alles andere als sicher. Vielmehr lässt das Vorgehen der Behörden darauf schließen, dass ihr Verhalten ansonsten das gewünschte Ziel erreichen würde: Kritik zu ersticken. Mindestens 24.000 Menschen sitzen noch immer in türkischer U-Haft – ein Zustand, der Jahre dauern kann. Unter ihnen sind – aus den Augen, aus dem Sinn – auch mehrere Österreicher, die freilich nicht "Zirngast" heißen, sondern türkische oder kurdische Nachnamen tragen.

Zirngast dürfte auch geholfen haben, dass er aus seiner schlimmen Situation das Beste machte und machen konnte: Er wandte sich an Medien, kommunizierte über eine Solidaritätsplattform, publizierte einen Kommentar in der Washington Post. Das Ergebnis zeigt: Ankara reagiert auf Druck und diplomatische Bemühung, wie es sie in diesem Fall gab. Das muss es von den Wiener Behörden nun auch für die anderen inhaftierten Österreicher geben, egal ob still oder öffentlich.

Vor allem aber wird es auch weiter nötig sein, dass Europa – und wenn dieses nicht bereit oder zu behäbig ist: Österreich – mit der Türkei offen und öffentlich kommuniziert. Dazu gehört es, weiter zu sagen, dass das Vorgehen gegen die Kurden im eigenen Land und in Syrien, der Einsatz der Justiz zu politischen Zielen und religiös-nationalistische Tiraden gegen liberale Politiker nicht mit dem Status eines EU-Kandidaten vereinbar sind.

Man sollte auch bereit sein, das durch Taten zu unterstreichen. Das gilt nicht nur dann, wenn es innenpolitisch gerade opportun ist und angebliche "Doppelstaatsbürger" in Österreich trifft, von denen viele mit Erdogan gar nichts am Hut haben. Sondern es gilt vor allem dann, wenn es nötig ist und Interessen der türkischen Regierung schadet. Das wäre etwa jetzt, da sich Erdogan durch den US-Rückzug aus Syrien und das Lob seines intellektuellen Verwandten, US-Präsident Donald Trump, gestärkt fühlt. (Manuel Escher, 26.12.2018)