Kanzlerin Merkel und ihr Wiener Amtskollege: 49 Prozent der Österreicher finden es gut, dass Angela Merkel bis 2021 Kanzlerin bleibt. Aber 39 Prozent meinen auch, dass Deutschland jemanden wie Sebastian Kurz an der Spitze brauche.

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Linz – Österreich sollte sich weniger an Deutschland als an anderen Nachbarländern orientieren. Diese Meinung vertreten vier von zehn Befragten in einer aktuellen Market-Umfrage für den STANDARD – etwa gleich viele lehnen die Aussage ab, 20 Prozent machen keine Angabe. Ebenfalls 40 Prozent meinen, dass sich Deutschland zu stark mit EU-Themen befasse.

In derselben Umfrage sehen sieben von zehn Befragten eine Dominanz Deutschlands in der EU-Politik, 53 Prozent sagen auch, dass die deutsche Politik "wesentlichen Einfluss darauf hat, wie es uns in Österreich geht". Ohne Angela Merkel erwarten 49 Prozent einen Verlust an deutschem Einfluss.

Anschluss reizt kaum jemanden

Wäre Österreich besser dran, wenn es Teil Deutschlands wäre und von Berlin aus regiert würde? Auch 73 Jahre nach der Erfahrung mit der Nazidiktatur und dem von Hitler verschuldeten Zweiten Weltkrieg löst die Vorstellung von Österreich als Teil Deutschlands breite Ablehnung aus: 90 Prozent der Befragten sagen in der aktuellen STANDARD-Umfrage des Linzer Market-Instituts, dass das für Österreich nicht besser wäre – nur drei Prozent sehen die Idee positiv. Diese Einschätzung ist weitgehend unabhängig von Alter und politischer Einstellung.

Die Umfrage wurde in zwei Wellen im November und Dezember 2018 durchgeführt, wobei das Market-Institut nur jene österreichischen Wahlberechtigten näher befragt hat, die sich zumindest gelegentlich über die deutsche Politik informieren. Market-Institutsleiter David Pfarrhofer: "Wir haben festgestellt, dass etwa 30 Prozent regelmäßig verfolgen, was sich in der deutschen Politik tut, dazu kommen 50 Prozent, die das immerhin gelegentlich tun."

Deutschnationales Klischee

Es sei ein "gängiges Klischee", dass sich vor allem Anhänger der FPÖ aufgrund der deutschnationalen Vergangenheit dieser Partei besonders für Deutschland erwärmen können – aber das lasse sich mit Zahlen nicht belegen, betont Pfarrhofer, ganz im Gegenteil: "Uns ist aufgefallen, dass sich jüngere Befragte deutlich weniger für Deutschland interessieren als der Bevölkerungsschnitt – und weil die FPÖ überdurchschnittlich viele junge Wähler hat, liegt auch das Interesse der freiheitlichen Wählerschaft an den Entwicklungen in Deutschland etwas unter dem Durchschnitt."

Insgesamt bilde die Umfrage aber ganz gut die Einschätzung der wahlberechtigten Österreicher ab – und zeige, wie deutsche Politik auf die österreichische abfärbe. Weitgehend unbestritten ist der Eindruck, dass Deutschland die Politik der Europäischen Union dominiere – 71 Prozent teilen diese Meinung.

Wie die Union eingeschätzt wird

Pfarrhofer: "Wir haben auch einige Aussagen zur Beurteilung vorgelegt, die rein die deutsche Innenpolitik betreffen – etwa den Rückzug von Horst Seehofer und Angela Merkel von der Spitze ihrer jeweiligen Unionspartei, also von CSU und CDU. Den Rückzug von Horst Seehofer beurteilen 54 Prozent der Befragten in Österreich als positiv, bei einer entsprechenden Umfrage für das ZDF haben aber nur 27 Prozent gesagt, dass das positiv sei. Umgekehrt findet Angela Merkels Rückzug vom CDU-Vorsitz nur die Zustimmung von 43 Prozent der Befragten in Österreich – in der ZDF-Umfrage haben aber 78 Prozent der Deutschen den Rückzug begrüßt."

Die Befragten in Österreich vermuten auch deutlich stärker als die deutschen Befragten, dass die Unionsparteien nach rechts rückten.

Kritik an deutscher Flüchtlingspolitik

Umgekehrt sagen 42 Prozent der für das ZDF in Deutschland Befragten, dass die Flüchtlingspolitik in Deutschland gut sei – von den österreichischen Befragten schätzen nur 16 Prozent die deutsche Flüchtlingspolitik positiv ein. Besonders kritisch bewerten erklärte FPÖ-Wähler die deutsche Flüchtlingspolitik, da kommt von 86 Prozent klare Ablehnung.

Pfarrhofer: "Die Fragen rund um das Migrationsthema haben die politische Berichterstattung besonders geprägt – und damit nicht nur die österreichische Politik, die davon überschattet wird, sondern auch das Bild von Deutschland. Und die Daten zeigen, dass Deutschland unter anderem deshalb nicht als Vorbild für Österreich gesehen wird."

Zwar finden 53 Prozent der befragten Österreicher, dass die deutsche Politik wesentlichen Einfluss auf das Leben hier hat – aber 40 Prozent sagen auch, dass sich unser Land weniger an Deutschland orientieren sollte.

AfD und FPÖ vergleichbar

Die Frage, ob die Alternative für Deutschland (AfD) "langfristig erfolgreich sein" wird, haben in der ZDF-Umfrage 42 Prozent positiv und 53 Prozent negativ beantwortet. In der Market-Umfrage lauten die Werte 36 zu 37 (27 Prozent unentschieden). Market fragte weiter, ob die AfD ihrer Ausrichtung nach der FPÖ entspreche. Das sehen 53 Prozent der österreichischen Befragten so – allerdings mit unterschiedlicher Ausrichtung: Anhänger der Regierungsparteien wollen mehrheitlich die AfD nicht in einen Topf mit der FPÖ geworfen sehen – in allen anderen Gruppen sagt die Mehrheit, dass die deutsche Rechtsaußenpartei durchaus der FPÖ entspreche.

Ein Sebastian Kurz für Deutschland

Die Fans der österreichischen Regierungsparteien sind übrigens auch mit großer Mehrheit der Meinung, dass Deutschland "einen Politiker wie Sebastian Kurz an der Spitze" brauchen würde. (Conrad Seidl, 27.12.2018)