Bei einer Neotrogla-Paarung besteigt das Weibchen das Männchen.
Foto: Yoshizawa et al., Biology Letters

Sapporo – Kaum einen Zentimeter groß und in Baumrinde oder alten Mauern lebend, sind die geflügelten Staubläuse (Psocoptera) eine unauffällige Erscheinung. Mit ihren vergleichsweise anspruchslosen Nahrungsvorlieben – von Flechten bis zu Pilzsporen – kommen sie dem Menschen nur selten in die Quere. Lediglich die winzige Art Liposcelis bostrychophila taucht lästigerweise immer wieder in Frühstücksflocken auf. Ansonsten werden die Tiere aber kaum zur Kenntnis genommen, obwohl es weltweit tausende verschiedene Arten von Staubläusen gibt, an die 100 auch hierzulande.

Unter diesen haben japanische Forscher nun zwei Gattungen ausfindig gemacht, bei denen die Geschlechtsorgane in ungewohnter Weise ausgebildet sind: Die Männchen der Gattungen Neotrogla und Afrotrogla haben einen vagina-artigen Beutel und die Weibchen das dazu passende Gegenstück in Form eines erigierbaren Penis. Bei Neotrogla ist dieser sogar mit dornigen Fortsätzen versehen, damit er sich besser in der Vagina des Männchens verankern kann. Die beiden Gruppen – eine davon lebt in Südamerika, die andere im südlichen Afrika – dürften diese spezielle Anatomie unabhängig voneinander entwickelt haben.

Die Geschlechtsorgane von Neotrogla curvata während der Paarung: Der weibliche Penis ist rot hervorgehoben und mit seiner an einen Cashewkern erinnernden Spitze bereits ins Männchen eingedrungen.
Foto: Yoshizawa et al. Biology Letters

Kazunori Yoshizawa von der Universität Hokkaido, der die Tiere im Fachmagazin "Biology Letters" vorstellte, weist darauf hin, dass das altbewährte Penis-Vagina-System letztlich vor allem dazu dient, dass bei Paarungen außerhalb des Wassers der Samen sicher ans Ziel gebracht wird. Allerdings gibt es auch zahlreiche Spezies von Landtieren, die dafür keinen Penis brauchen (darunter auch viele Vogelarten), sowie offenbar auch solche, bei denen eine umgekehrte Anatomie zum gleichen Ergebnis führt.

Yoshizawa glaubt aber nicht, dass bei den Staubläusen einfach nur die sexuelle Selektion zu einer Umkehrung der Geschlechterrollen geführt hat. Er vermutet, dass auch andere Faktoren im Spiel sind. Einer davon könnte sein, dass die Tiere in besonders kargen Lebensräumen vorkommen – nämlich in Höhlen. In einer solchen Umgebung sei die Ladung an Nährstoffen, die das Männchen dem Weibchen zusammen mit dem Samen als "Hochzeitsgeschenk" überlässt, höchst willkommen: Grund genug für ein Weibchen, bei der Paarung eine etwas aktivere Rolle zu spielen. Und vielleicht dauern deshalb die Paarungen auch bis zu 70 Stunden. (red, 31. 12. 2018)