Der Staat soll für jene Bürger, die in nächster Zeit zum Mindestlohn eingestellt werden, Steuern und Sozialabgaben zahlen. So will Erdoğan Gewerkschaften und Linke schwächen.

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Der türkische Präsident weiß, wie er sein Volk bei Laune hält. Eine neue Offensive in Syrien dürfte ihm die Stimmen der Nationalisten sichern. Für die von der Wirtschaftskrise gebeutelten ärmeren Schichten hat Tayyip Erdoğan Anfang der Woche eine Reihe von Wahlgeschenken angekündigt:

Der Staat will zehn Prozent der Gas- und Stromrechnungen übernehmen beziehungsweise den Preis dafür senken. Außerdem soll der Mindestlohn von 1.600 auf 2.020 türkische Lira (rund 330 Euro) angehoben werden. Das entspricht einem Anstieg von 26 Prozent und liegt damit leicht über der Inflation. Die hatte im Oktober einen Spitzenwert von 25 Prozent erreicht – der Höhepunkt der vergangenen 15 Jahre. Momentan notiert sie offiziell bei 21 Prozent, wobei einige Lebensmittel und Verbrauchsgüter weitaus stärker gestiegen sind.

Finanzkrise führte zu Preissteigerungen

Ausgelöst hatten die Preissteigerungen eine Finanzkrise im Sommer dieses Jahres. Weil Ankara sich geweigert hatte, den wegen "Unterstützung terroristischer Vereinigungen" angeklagten amerikanischen Pastor Brunson freizulassen, hatte US-Präsident Trump der Türkei mit Sanktionen gedroht. Das, und die steigenden Zinsen in den USA, hatten zu einer Kapitalflucht geführt. Die türkische Lira verlor so bis zu 40 Prozent ihres Wertes. Dadurch wiederum verteuerten sich die Importe, und in der Folge stiegen die Preise deutlich an.

Mittlerweile hat sich die Lira wieder etwas erholt. Bekam man im August zeitweise für einen Euro acht Lira, steht der Kurs aktuell bei eins zu sechs. Trotzdem droht die Wirtschaft des Schwellenlandes im kommenden Jahr, in eine Rezession abzugleiten. Vor allem die türkische Baubranche gilt als überhitzt. Viele Unternehmer im Land berichten von einer verschlechterten Zahlungsmoral und Zahlungsausfällen.

Erdoğan hat überdies eine Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und Medikamente angekündigt. Insgesamt, so sagte er am vergangenen Dienstag vor dem Parlament, stünden 62,1 Milliarden Lira (rund zehn Milliarden Euro) für Sozialprojekte zur Verfügung. Gefördert werden soll außerdem der Einstieg von Frauen und Behinderten in den Arbeitsmarkt. Wer in den kommenden Monaten zum Mindestlohn eingestellt wird, für den übernimmt der Staat Steuern und Sozialabgaben. So soll die Arbeitslosigkeit, die momentan bei 11,4 Prozent liegt, in den einstelligen Bereich gedrückt werden.

Linke Gruppen und Gewerkschaft schwächen

Der türkische Präsident will so Gewerkschaften und linken Gruppierungen den Wind aus den Segeln nehmen. Diese hatten noch am vergangenen Samstag für eine Anhebung des Mindestlohns auf 2800 Lira demonstriert. Ob das genügen wird, ist fraglich. Denn andere Zahlen deuten daraufhin, dass das Schlimmste noch bevorsteht. Der Erzeugerpreisindex, ein Vorlaufindikator der Inflation, war im November auf 38 Prozent gestiegen. Erdoğan hatte in den vergangenen Tagen immer wieder die französische Gelbwesten-Bewegung erwähnt und vor ähnlichen Protesten gewarnt. Er misst dem Thema offenbar große Bedeutung zu.

Bisher war der wirtschaftliche Erfolg der Türkei immer der wichtigste Garant für eine Wiederwahl der AKP. So war die türkische Wirtschaft zwischen 2003 und 2016 pro Jahr um durchschnittlich fünf Prozent gewachsen. Seit zwei Jahren aber häufen sich die wirtschaftlichen Probleme.

Die türkischen Kommunalwahlen finden am 31. März statt. An dem Tag werden in 81 Provinzen Bürgermeister und Provinzräte gewählt. Bei den letzten Kommunalwahlen im Jahr 2014 erzielte die AKP 40 Prozent der Stimmen. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 28.12.2018)