Fragen zu stellen wird selten gelehrt, ist aber eine wichtige Kompetenz. Hat jemand die richtige Frage, kann das zur Problemlösung nämlich schon viel beitragen.

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Für Hal Gregersen sind Firmenchefs wie Eltern in einem Betrieb.

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Von Grund auf werden wir darauf trainiert, Antworten auf Fragen zu wissen. Wer die besten Antworten hat, kommt weiter. Das fängt bereits in der Schule an. Das ganze Beurteilungssystem ist auf der Fähigkeit aufgebaut, die richtigen Antworten zu liefern. Dabei geht die Wichtigkeit verloren, gute und strategisch wichtige Fragen zu entwickeln. Das wiederum ist auf der Karriereleiter aber eine oft gebrauchte Gabe. Warum Fragen wichtig sind und Chefs nicht isoliert werden dürfen.

STANDARD: Mit jemanden zu sprechen, der darüber forscht, wie man bessere Fragen stellt, ist eine Herausforderung. Was ist denn die beste Einstiegsfrage für ein Gespräch mit Ihnen?

Gregersen: (denkt nach) Die Frage, die ich Leuten in einer Konversation immer stelle, ist: "Was ist deine Geschichte?" Die Leute sind dann oft verunsichert und fragen sich, welcher Teil ihrer Geschichte mich interessiert. Geht es um etwas Berufliches oder Privates? Das hilft mir aber zu verstehen, wo ihre Komfortzonen liegen. Sie erzählen das, was sie preisgeben wollen. Fragen zu stellen ist für mich eine sehr persönliche Reise. Die Unerwartetheit dieser Frage löst bei den Menschen etwas aus.

STANDARD: Es geht also immer auch um persönliche Geschichten?

Gregersen: Ja, nehmen wir als Beispiel das Animationsstudio Pixar ("Toy Story", "Findet Nemo", "Oben", "Wall-E", Anm.). Dort sind die Geschichten alles, und das wissen die Leute dort auch. Charaktere in Filmen anderer Studios sind auch toll, aber bei Pixar ist die Story besser, sie steht im Zentrum. Die Charaktere müssen die Story erfüllen. In Summe geht es immer darum, eine bessere Geschichte zu schreiben, die Leute motiviert, sich zu engagieren. In vielen Filmen steckt immer auch ein Stück der Geschichte des Regisseurs drinnen.

STANDARD: Müssen bzw. sollen Manager von Unternehmen auch einen Teil ihrer Geschichte preisgeben, um erfolgreich zu sein und Mitarbeiter zu motivieren?

Gregersen: Eine der wichtigsten Fähigkeiten als Chef ist zu wissen, was die eigene Story ist und was die Fragen sind, die diese Geschichte antreiben.

STANDARD: Die Fokussierung auf Fragen ist spannend. Man hört immer nur, dass Antworten auf eine Frage oder Lösungen für ein Problem gefunden werden sollen. Warum ist die Frage so wichtig?

Gregersen: Ich glaube, das liegt daran, dass wir weltweit schon in der Schule darauf trainiert werden, Antworten zu geben. Das ganze Beurteilungssystem baut darauf auf, ob jemand die richtigen Antworten weiß. Wechseln die Leute dann in die Arbeitswelt, geht das weiter – vor allem in unteren Positionen. Leute, die gute Antworten haben, sind oft auch jene, die aufsteigen. Aber je weiter eine Person hinaufsteigt, desto mehr wird sie mit Problemen, Möglichkeiten und Herausforderungen konfrontiert. Ein Chef muss herausfinden, wohin die Reise geht. Da geht es plötzlich darum, die richtigen Fragen zu stellen. Die Antworten sind dann nicht mehr so offensichtlich.

STANDARD: Sie sagen, dass auch Neugierde eine wichtige Gabe für Unternehmenschefs ist. Warum?

Gregersen: Bei der Neugierde gibt es Unterschiede. Es gibt Leute, die einfach neugierig sind und Dinge wissen wollen. Warum ist der Orangensaft orange? Warum bricht das Licht gerade so durchs Fenster. Andere wollen Dinge verbessern. Sie beschäftigen sich mit den Mechanismen dahinter. Man unterscheidet in der Forschung die Denkweise Wachstum versus Performance. Bei Letzterer macht einer alles so, dass er dabei erfolgreich aussieht. Leute mit dem Wachstumsfokus wollen eine Herausforderung. Ihnen ist egal, ob sie diese schaffen oder scheitern. Es geht darum, etwas probiert zu haben, die Herausforderung anzunehmen. Fragen zu stellen macht auch verwundbar. Es geht darum, wie ich mich der Welt nähere.

STANDARD: Meine Tochter ist drei Jahre alt und fragt mich permanent, warum etwas so ist, wie es ist. Das bringt mich oft dazu, Gegebenheiten zu hinterfragen, um noch und noch eine Antwort zu finden. Die "Warum-Frage" scheint mir eine gute Ausgangsposition zu sein ...

Gregersen: Ist sie auch. Am MIT Leadership Center haben wir erkannt, dass Leute anderen Leuten nicht deswegen folgen, weil es eben diese oder jene Person ist. Sie folgen Leuten, weil sie gesehen haben, wie diese mit Problemen umgehen. Es heißt dann: Das ist ein interessantes Problem, hier will ich dabei sein. Die Leute wollen Teil dessen sein, was man erreichen kann. Zu erkennen, worum es geht und wie man darauf reagiert, ist Teil der "Warum-Frage". Deswegen ist sie so wichtig.

STANDARD: Haben Sie dafür ein Beispiel aus der Wirtschaft?

Gregersen: Suchen Sie im Internet mal nach relentless.com – sie landen dann bei Amazon. Das kommt daher, weil sich Amazon-Chef Jeff Bezos als unerbittlichen (relentless) Problemlöser bezeichnet. Er hat seine Firma nach dem gleichen Prinzip gestaltet. Er versucht herauszufinden, worum es geht, wo das Problem liegt, um dann eine Lösung zu finden. Wir fragen nicht deshalb warum, weil wir smart sein wollen, sondern weil wir verstehen wollen, was funktioniert, warum etwas so ist und wie wir es besser gestalten können. Interessant ist auch die japanische Keyence Corporation. Die entwickelt Sensoren, damit Produktionen smart laufen. Eigentlich ein ödes B2B-Geschäft. Aber die Verkaufsleute werden auf die Warum-Frage trainiert. Warum machen wir es so? Warum funktioniert dieser Prozess? Für Keyence ist die Warum-Frage die Quelle ihres Wettbewerbsvorteils und für ihre enorme Kundenloyalität.

STANDARD: Also können wir schon zwei Dinge von den Kindern lernen: wie wichtig Neugierde und die Frage nach dem Warum sind.

Gregersen: Absolut. Ich habe zu diesem Thema mal eine interessante Studie gelesen. Dort hieß es, der Grund dafür, dass Drei- und Vierjährige so viele Warum-Fragen stellen, ist oftmals der, dass die Kinder damit lernen herauszufinden, ob ihre Fragen verstanden werden. Man kann hier auch eine andere Parallele ziehen: Firmenchefs sind in einer Organisation wie die Eltern. Wenn die Mitarbeiter also anfangen, Warum-Fragen zu stellen, passieren mehrere Prozesse. Es wird darauf geachtet, ob die Frage gehört wird, ob sie beantwortet wird und, wenn ja, wie oder ob Fragen ignoriert werden. Wenn Leute keine Fragen stellen, gibt es keine Weiterentwicklung.

STANDARD: Wie kann man Leute darauf trainieren, die besseren oder richtigen Fragen zu stellen?

Gregersen: Es gibt die Question-Burst-Methode. Wenn jemand ein Problem lösen muss, geht es darum, innerhalb einer kurzen Zeit so viele Fragen wie möglich zu diesem Thema zu finden. Anfangs sind die Betroffenen oft frustriert über ihre Aufgabenstellung. Nach der Fragerunde sind die meisten aber hoffnungsvoll und optimistisch. Durch die Fragen werden die Bedingungen für neue Fragen und damit für einen Fortschritt geschaffen. So trainiert man Leute, sich an Probleme heranzuwagen und bessere Fragen zu stellen.

STANDARD: Wird uns die Fähigkeit, bessere Fragen zu stellen, vor Superrobotern retten, die technisch gesehen unsere Jobs erledigen könnten?

Gregersen: Wenn wir nichts unternehmen, um unsere Fähigkeiten zu trainieren, damit wir es sind, die die besseren Fragen stellen, wird es in einigen Dekaden einen Punkt geben, an dem superintelligente Maschinen die besseren Fragen stellen werden können. Aber ich glaube, dass wir Menschen dieses Schicksal nicht haben müssen. Die Lösung liegt darin, dass wir entdecken müssen, wie diese lernfähigen Systeme uns dabei unterstützen können, die besseren Fragen zu stellen. Meine Hoffnung ist, dass das eine menschliche Fähigkeit bleiben wird.

STANDARD: Isolation ist in Ihrer Forschung auch ein wichtiges Thema. Worum geht es da genau?

Gregersen: Leute dürfen in Organisationen nicht isoliert werden. Das ist oftmals aber der Fall. Je höher die Position, desto isolierter sind diese Personen. Sie bekommen dann nur noch das erzählt, von dem andere glauben, dass sie es hören wollen. Das muss nicht immer die volle Wahrheit sein. Wenn so etwas passiert, man den Kontakt zu Kunden oder zur Zielgruppe verliert, kann das für Firmen dramatische Folgen haben. Chefs sollten rausgehen und mit Zielgruppen Kontakt haben. Das bringt wertvolle Informationen, wirft Fragen auf, die innerhalb einer Organisation vielleicht gar nicht mehr gestellt werden. (Bettina Pfluger, 28.12.2018)