Wir wollen nicht "tränig" sein: Von manchen Wörtern muss man sich im Laufe der Jahrzehnte einfach verabschieden.

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Wurden Sie "verschimpfiert"? Oder haben Sie jemanden bezichtigt, "Afterweisheiten" zu verbreiten? Nein? Kein Wunder. Diese Wörter stehen nicht mehr im Duden. Vermutlich haben Sie Ihre Zimmerblumen heute Nacht auch nicht bei der "Nyktitropie" beobachtet. Bis 1961 wurde damit im gelben Buch die Schlafbewegung von Pflanzen erklärt. Solche Streichungen stellt Peter Graf im Band Was nicht mehr im Duden steht (Duden-Verlag) vor.

Denn Sprache bildet Lebensrealität ab. Und die ändert sich. Daher entscheidet die Duden-Redaktion bei jeder Neuauflage seit 1880, welche Wörter in das Rechtschreibwörterbuch aufgenommen werden. Kriterium ist deren regelmäßige Verwendung. Beobachtet wird ein Pool aus viereinhalb Milliarden Wortformen. Neu unter den 145.000 Stichwörtern der aktuellen Ausgabe sind "Fake News", "Flüchtlingskrise", "Kopftuchstreit", "Lügenpresse" und "postfaktisch". Ein akkurates Bild der herrschenden Themen.

Wie es immer Wörter gibt, die gerade hoch im Kurs stehen, geraten andere in Vergessenheit: "Odendichter" und "Jahrweiser" (Kalender) verschwanden aus der Sprachwelt. 1991 kam das "Pelargonienbeet" zu Recht aus der Mode. Das Buch ist eine Zeitkapsel. Ein Blick in eine Welt, in der "Nuditätenschnüffler" Museen durchstreiften, um Anzüglichkeiten anzuzeigen. Graf nutzt gestrichene Wörter für Essays. Sie sind anekdotisch bis informativ. Eine untergegangene Welt tut sich auf.

Fünf Prozent Naziwörter

Manches kommt nicht bloß aus der Mode (sich "zersorgen" verschwand 1961), es fällt selbst aus der Welt. Wie das "Automatenrestaurant", das in Fächern Speisen zur Selbstbedienung anbot. Politische Einschnitte? Lassen sich an Stichwörtern wie "Volksschädling" oder "fremdrassig" ablesen. Hochrechnungen gehen von fünf Prozent nationalsozialistischen Vokabeln aus, die während der 1930er in den Duden fanden und 1947 wieder verschwanden.

Nachher im geteilten Deutschland gab es zwei Duden. Das "Streikrecht" war der DDR-Ausgabe unbekannt. So macht Geschichte Sprache und umgekehrt. Wittgenstein grüßt. Überraschend lange stand anderes im Duden. "Magdtum" bis 2009 als Synonym für Jungfräulichkeit, "Jahr-2000-fähig" hielt sich sogar bis 2013. Ein Kriterium, an das Kunden beim Computerkauf denken, war das damals schon lange nicht mehr. Manch Wort brauchte man hingegen zurück. "Neuerungskitzel" ging 1929, obwohl er uns bis heute nicht loslässt.

Doch lassen wir die Nostalgie. Wir wollen nicht "tränig", voll "Empfindelei" oder ein "Zärtling" sein. Sie mussten spätestens in den 1980ern den Wörterbuchplatz räumen. Außerdem drängen sich "schabernackisch" andere Fragen auf. Seit 2000 sagt man etwa Gemüsebeilage statt "Zugemüse". Wird es angesichts von Vegetarismus und Umweltschutz bald das "Zufleisch" geben? Der "Busenstar" verschwand 2000 aus dem Duden. Schon 1980 wurde die Promotion am Standesamt getilgt und die "Arztfrau" gestrichen. Dennoch kennt der Duden noch immer die "Sexbombe" und erst seit 2017 das "Busenwunder" ... (Michael Wurmitzer, 28.12.2018)