Kate Pickett/Richard Wilkinson, "The Inner Level. How more equal societies reduce stress, restore sanity and improve everyone's well-beeing". 20 Pfund / 352 Seiten. Penguin Books, 2018

Cover: Verlag

Rund 17.000 Beschäftigte in Büros wurden auf Unterschiede in ihrer Sterberate bei Herzerkrankungen untersucht. Bei niederen und mittleren Diensträngen war diese bis zu viermal höher als bei oberen Diensträngen.

Nimmt man ihnen Blut ab, finden sich in den unteren Rängen höhere Werte des Stresshormons Kortisol als unter den Topdiensträngen. Diesen Ergebnissen des bahnbrechenden "Black Report" und der "Whitehall Studie" der 1980er-Jahre gehen Richard Wilkinson und Kate Pickett in ihrem neuen Buch "The Inner Level" mit aktuellen Datensätzen nach.

Ausschlaggebend ist nicht die Höhe deines Einkommens, sondern wo es dich in der sozialen Hierarchie hinstellt. Im Zentrum stehen die Zusammenhänge von sozialer Ungleichheit und Status. Also, wie sich Angst um die eigene soziale Position auswirkt, wie wir um Einfluss ringen und mit Ohnmacht umgehen, wie Dominanz und Unterwerfung vermittelt sind.

Je stärker die soziale Polarisierung, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, andere hinunterzudrücken, um sich selbst zu erhöhen. Narzissmus und Selbstüberschätzung steigen in ungleicher werdenden Gesellschaften an. Wilkinson und Pickett stellen die Frage nach den psychologischen Kosten, die entstehen, wenn die soziale Schere zwischen unten und oben aufgeht. Die beiden Epidemiologen, die an den Universitäten von York und Nottingham forschen, haben eine Fülle von Datensätzen zusammengetragen.

Ungleich verteilte Belastungen

Das Interessante daran: Die Situation verschlechtert sich im Falle höherer Ungleichheit für alle, auch für die Mittelschichten. Mit sinkendem sozialem Status steigen die Krankheiten an, die untersten sozialen Schichten weisen die schwersten auf und verfügen über die geringste Lebenserwartung.

Jede Einkommensstufe hebt die Gesundheit und das Sterbedatum an. Es geht also um Alltagssituationen, die mit dem sozialen Status und mit allen damit einhergehenden Vergleichsprozessen verbunden sind: die Bedrohung des eigenen Ansehens, Demütigung, die Verweigerung von Anerkennung, soziale Disqualifikation.

Es sind nicht nur die Belastungen ungleich verteilt, sondern auch die Ressourcen, sie zu bewältigen. Für Kinder und ihr Aufwachsen bedeutet das: Lerne ich den Geschmack vom zukünftigen Leben als Konkurrenz, Verlassensein, Gewalt? Oder habe ich die Erfahrung qualitätsvoller Beziehungen, Vertrauen und Empathie gemacht? Werde ich schlechtgemacht und beschämt oder geschätzt und anerkannt?

Je ungleicher Gesellschaften sind, desto defizitärer sind diese psychosozialen Ressourcen. Es gibt weniger Partizipation, also häufiger das Gefühl, nicht eingreifen zu können. Es gibt weniger Reziprozität, also häufiger das Gefühl, sich nicht auf Gegenseitigkeit verlassen zu können. (Martin Schenk, 29.12.2018)