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Bolsonaro will, dass in den Schulen wieder Sitte herrscht.

Foto: REUTERS/Paulo Whitaker

Brasiliens neuer Präsident ist noch nicht im Amt und hat doch schon die Stimmung im Land verändert. Der von Jair Bolsonaro angekündigte "große Kulturwandel" wirkt bereits – in Form von Angst, Aufrufen zum öffentlichen Denunziantentum und hemmungsloser Verbreitung von Fake-News über politisch Andersdenkende. Brasilien, das einst als gelassen und tolerant galt, erlebt jetzt eine Welle von Hass und Aggressivität. Ein Teil der rechten Revolution ist das Projekt "Schule ohne Partei" (Escola sem Partido), mit dem staatliche Schulen und Universitäten ideologisch umgekrempelt werden sollen.

"Lasst uns filmen, was in euren Klassenzimmern passiert", ruft der Präsident in einem wackligen Handyvideo Brasiliens Schüler auf. Lehrer, die sich politisch äußern, gehören genauso an den Pranger wie solche, die mit sexueller Aufklärung "klassische Familienwerte" zerstören wollen. Das Projekt "Schule ohne Partei" hat der ehemalige Fallschirmspringer Bolsonaro zu seiner Herzensangelegenheit auserkoren. Bald sollen in jedem Klassenzimmer Warntafeln mit sechs Grundregeln hängen: So gibt es unter anderem keinen Sexualkundeunterricht und keine Diskussionen über Gender-Fragen mehr.

Angst im Klassenzimmer

Seit Monaten wird das hochumstrittene Projekt im Kongress beraten. Ob eine Mehrheit dafür zustande kommt, ist unklar. Doch angesichts des Tatendrangs von Bolsonaro traut sich schon jetzt kein Lehrer mehr, kritische Diskussionen anzustoßen. Lehrer hätten ihren Job verloren, weil sie sich außerhalb der Schule politisch geäußert hätten, sagt Fernando de Araújo Penna von der Universität in Rio de Janeiro (UFF). Lehrer sollten künftig nur noch Wissen vermitteln dürfen, aber keine Werte mehr: "Das ist absurd und gegen die Meinungsfreiheit."

Neuer Bildungsminister ist Ricardo Vélez Rodríguez, ein ehemaliger Professor einer Militärhochschule. Vor Jahren nannte der heute 75-Jährige den Militärputsch in Brasilien von 1964 eine "begrüßenswerte Revolution". Jetzt will er, dass auch in den Schulen endlich die Zeit der Diktatur – von 1964 bis 1985 – als die fortschrittlichste Periode dargestellt wird.

Rodríguez fügt sich gut in die 22-köpfige Ministerriege ein, die von Ex-Militärs dominiert wird. Im Kabinett sind sie unter anderem für die Ressorts Verteidigung, Wissenschaft und Technologie, Bergbau und Energie, Infrastruktur sowie Sicherheit zuständig.

Abtreibungsgegnerin als Frauenministerin

Nur zwei Frauen finden sich in Bolsonaros Regierung. Bei Aktivisten sorgt vor allem die Berufung von Damares Alves, einer streng evangelikalen Juristin, als Ministerin für Frauen, Familie und Menschenrechte für Empörung. Sie ist Abtreibungsgegnerin und steht der Organisation "Bewegung für das Leben" vor. Offiziellen Institutionen wirft sie vor, die Zahlen über Todesfälle von Frauen nach verpfuschten Abtreibungen zu manipulieren. Es gebe nur einen Platz, in dem das Kind geschützt sei, und das sei die Kirche, sagt die evangelikale Pastorin. Die zweite Frau im Kabinett ist die Agrarunternehmerin Tereza Cristina Corrêa da Costa – zuständig für Landwirtschaft. Sie vertrat schon als Abgeordnete die mächtige Agrarlobby und wird von ihren Kritikern "Gift-Muse" genannt, weil sie ein Gesetz zum erleichterten Einsatz von Pestiziden durchsetzen will.

Auch die mittlerweile in die Jahre gekommenen "Chicago Boys" haben ihren Einfluss. Das neue Superministerium für Wirtschaft und Finanzen wird von dem 69-jährigen Ex-Investmentbanker Paulo Guedes geführt, der Brasilien eine neoliberale Radikalkur verordnen will. Dazu gehören vor allem Privatisierungen und ein Ende der "linken Umverteilungspolitik", also das Kürzen von Sozialleistungen. Von Wirtschaftsvertretern wird die Nominierung von Guedes indes hoch gelobt. Guedes war es, der im Wahlkampf die Stimmen der skeptischen Wirtschafts- und Finanzlobby für Bolsonaro sicherte.

Denn bislang war Brasiliens neuer Präsident, der 27 Jahre Abgeordneter war, nicht durch ökonomische Expertise, sondern vor allem durch rassistische und homophobe Äußerungen aufgefallen. Jahrelang hat er den einzigen offen homosexuellen Abgeordneten Jean Wyllys von der Linkspartei PSOL beleidigt und ihm Worte wie "Schwuchtel" im Parlament hinterhergerufen.

Jagd auf Homosexuellen

Schon im Wahlkampf wurde Wyllys Opfer übler Falschmeldungen, die Bolsonaro-Anhänger über die sozialen Medien verbreiteten. Mit dem Sieg ihres Idols verstärkte sich die Jagd auf Wyllys. Ihn erreichen zahlreiche Morddrohungen. Der Kongress stellte ihm Personenschutz zur Verfügung. Dennoch traut er sich kaum aus dem Haus. "Ich fürchte um mein Leben", sagt Wyllys. Und er hat Angst um Brasiliens Zukunft. (Susann Kreutzmann aus São Paolo, 28.12.2018)