Wie wird aus einem Embryo ein Lebewesen? Dieses Rätsel wurde heuer dank revolutionärer Analyse- und Visualisierungsmethoden besser verständlich.
Jeffrey Farrell / Schier Lab, Harvard University

Es ist ein Mysterium, das die Wissenschaften seit Jahrhunderten beschäftigt: Wie entsteht aus einer einzigen befruchteten Eizelle der ganze komplexe Körper eines Lebewesens, egal ob Gänseblümchen oder Afrikanischer Elefant? Lange entzog sich dieses Rätsel auf Zellebene jeder Beobachtung. Doch dank neuer Methoden, die unter dem Begriff Single Cell Analysis (deutsch: Einzelzellanalyse) firmieren, können Forscher seit kurzem die Embryonalentwicklung im Detail mitverfolgen.

In den Lebenswissenschaften gilt dieser Fortschritt als echte Revolution. Die Redaktion des US-Wissenschaftsmagazins "Science", aber auch seine Leserinnen und Leser wählten daher die Einzelzellanalyse zum Durchbruch des Jahres 2018. Damit ging diese Auszeichnung nach zwei Jahren Pause wieder an die Lebenswissenschaften: 2017 war die erste Dokumentation einer Neutronensternkollision die Toperrungenschaft, 2016 der erste Nachweis der Gravitationswellen, während man 2015 die bereits 2012 entwickelte Gen-Schere CRISPR/Cas9 als Durchbruch des Jahres würdigte.

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Technische Innovationen

Möglich wurde diese parallele Untersuchung der Entwicklung von tausenden Zellen durch das Zusammenwirken mehrerer neuer Techniken: Dazu gehört die schnelle und billige Sequenzierung des Erbguts ebenso wie die Analyse von RNA, die genetische Informationen in Proteine übersetzt. Dazu kommen die Markierung von embryonalen Stammzellen und die gezielte Manipulation der DNA durch die Gen-Schere CRISPR/Cas9. Schließlich helfen Bioinformatiker und Hochleistungscomputer, die anfallenden Datenmengen zu bewältigen.

Mithilfe der Einzelzellanalyse versteht man nun besser, wie der Axolotl abgetrennte Gliedmaßen nachbildet
IMP

2018 wurden auf diese Weise Hunderte von Studien durchgeführt. Unter anderem konnte man damit die Embryonalentwicklung von Plattwürmern, einem Fisch, einem Frosch und weiteren Tieren entschlüsseln, aber auch die Regenerationskünste des Axolotls. Noch wird die Einzelzellanalyse vor allem in der Grundlagenforschung eingesetzt. Man erhofft sich von ihr aber auch anwendbare Erkenntnisse – etwa darüber, was bei der Zellalterung passiert.

Neun nächstbeste Erkenntnisse

Die Redaktion von "Science" hob ganz nach Tradition neun weitere Highlights des Wissenschaftsjahres 2018 hervor. Mit dem Neutrinodetektor Ice-Cube am Südpol gelang es erstmals, energiereiche kosmische Neutrinos zu ihrer Quelle zurückzuverfolgen – zu einem aktiven Schwarzen Loch im Herzen einer Galaxie. Die vielleicht spannendste geophysikalische Entdeckung war die eines 31 Kilometer großen Einschlagkraters unter dem Eis Grönlands, der womöglich noch am Ende der letzten Kaltzeit entstand, vor rund 12.000 Jahren.

Weiter zurück in die Geschichte führt ein spektakulärer Fund in Sibirien: DNA-Analysen der Knochen eines vor 90.000 Jahren gestorbenen Mädchens machten klar, dass es sich um ein Mischlingskind handelt. Diese Tochter einer Neandertalerin und eines Denisova-Mannes ist ein weiterer konkreter Beweis dafür, dass es im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder zu Kreuzungen zwischen verschiedenen Menschenformen kam.

Sehr viel älter ist der wichtigste Durchbruch im Bereich der Paläontologie: In einem 558 Millionen Jahre alten Fossil aus Russland wiesen Forscher Reste typisch tierischer Fettmoleküle nach – damit hatte man eines der ältesten bekannten Tier des Planeten gefunden.

DNA-Datenbanken löst Cold Case

Fortschritte in der Forensik schaffen es ebenfalls auf die Liste, konkret konnte des Golden State Killer überführt werden. Um den berühmten Cold Case zu lösen, halfen die genetischen Daten privater Webseiten, die mittlerweile Millionen Profile gesammelt haben. Drei weitere Durchbrüche auf der Liste von "Science" sind die Zulassung eines Arzneimittels, das eine Erbkrankheit mittels RNA-Blockade behandelt, eine neue Methode, um Kristallstrukturen zu entschlüsseln und die Entdeckung, dass Proteine in der Zelle eine Art Tropfen bilden.

Schließlich zählt die Redaktion des US-Magazins noch die #MeToo-Kampagne zu den wichtigen Ereignissen des Jahres: Auch sie habe in der Welt der Wissenschaft so Manches zum Besseren bewegt. (Klaus Taschwer, 29.12.2018)