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Die Erdölmafia hat den mexikanischen Staatskonzern Pemex unterwandert. Bis zu 60.000 Fass sollen täglich schwarz abfließen.

Foto: Reuters/Edgard Garrido

Heiligabend, kein Wölkchen am Himmel, fast windstill. Um 14.30 Uhr hebt ein weißer Hubschrauber vom Dach eines Einkaufszentrums in der zentralmexikanischen Stadt Puebla ab, dem Sitz von VW Mexiko. An Bord: die nach einer knappen und umstrittenen Wahl seit zehn Tagen amtierende, konservative Gouverneurin Martha Érika Alonso und ihr Ehemann Rafael Moreno Valle, Ex-Gouverneur und Fraktionschef der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) im Senat, sowie dessen Assistent.

Es ist unklar, welch dringliche Angelegenheit sie in dieser Stunde am Heiligabend zu einer eher unüblichen gemeinsamen Reise bewegte. Der Kontrollturm des Flughafens von Puebla funkte nach dem Start neunmal vergeblich den Kapitän an, wie das Portal Animal Politico berichtet. Zehn Minuten später stürzte der Hubschrauber über der Gemeinde Santa Maria Coronango ab.

Es ist ein Gebiet, das von der Erdölmafia beherrscht wird; kriminellen Gruppen, die sich durch das illegale Anzapfen der Pipelines des staatlichen Konzerns Pemex bereichern und deren Kontakte bis in die Sicherheitskräfte und die Politik reichen.

Am Unfallort berichtet später ein Bauer der Zeitung El Sol de Puebla, er habe beim Arbeiten auf dem Feld am Himmel einen brennenden Hubschrauber gesehen, dann eine Explosion gehört, worauf die Maschine vom Himmel gefallen sei und in sein Maisfeld krachte. Von den fünf Insassen können nur noch verkohlte Überreste geborgen werden.

Rivalin des Präsidenten

Bekannt wird das Unglück durch einen Tweet des Präsidenten Andrés Manuel López Obrador von der linken Sammelbewegung Morena um 16.33 Uhr. Ein Sturm der Spekulationen ergießt sich in den sozialen Netzwerken. Anlass ist vor allem der vom Wahlgericht mit nur einer Stimme Unterschied entschiedene Wahlsieg Alonsos. Die Politikerin hatte einen der wirtschaftlich wichtigsten Staaten für die PAN verteidigt, gegen einen Herausforderer von Morena.

Ein Wahlsieg, den López Obrador nie anerkannte, weshalb auch die Gouverneurin schnitt. Nun müssen Neuwahlen stattfinden. Deren Ausgang ist völlig offen, das Ambiente ist polarisiert. Die Abgesandte des Präsidenten wird bei der Trauerfeier mit "Mörder"-Rufen empfangen.

Am Abend des 23. 12. hatte die Gouverneurin ihren letzten Tweet abgesetzt: ihre Weihnachtsbotschaft, in der sie verspricht, im kommenden Jahr die Sicherheit wiederzuerlangen, um die es zuletzt schlecht stand. Um 200 Prozent stieg die Mordrate in den letzten zehn Jahren. In derselben Zeit entwickelte sich Puebla zum Epizentrum eines Phänomens, das die mexikanischen Medien mit "huachicol" bezeichnen: das Melken der Pipelines und den illegalen Weiterverkauf des Benzins. Ein Mafiageschäft mit geringen Risiko, garantiertem Absatz und deutlich weniger logistischem Aufwand als beim Drogenhandel. Mittlerweile werden damit drei Milliarden US-Dollar jährlich verdient.

Staatskonzern in den Händen der Mafia

In ihrem Buch Das schwarze Kartell schilderte die Journalistin Ana Lilia Pérez schon 2011, wie der Staatskonzern unter den konservativen Regierungen von Vicente Fox und Felipe Calderón in die Hände der Mafia fiel. Fox entriss im Jahr 2000 erstmals nach 70 Jahren der Staatspartei der Institutionellen Revolution (PRI) die Macht, war aber nicht in der Lage, deren Netzwerke zu zerschlagen, und wurde bald von deren Gouverneuren ausgebootet.

Die Führungsschwäche kam wie gerufen für die Mafia. Bereits damals stellte Pérez fest, dass die Mafia nicht nur Pipelines anzapfte, sondern reihenweise Bohrlöcher kontrollierte und mithilfe korrupter Funktionäre sogar eine parallele Vermarktungsstruktur innerhalb des Staatskonzerns betrieb. Pérez musste nach der Veröffentlichung wegen Todesdrohungen ins Exil.

Der Benzinklau blüht indes weiter. Zwischen 2011 und 2016 verfünffachten sich die illegalen Anzapfstellen laut einem Bericht des nationalen Rechnungsprüfers. Ein Teil der mafiösen Gewinne fließt offenbar zurück in die Wahlkampfkassen der Parteien. In Puebla flog 2017 ein ganzes Netz von Tankstellen auf, die mit illegalem Benzin beliefert wurden und die zum Teil Politikern oder deren Strohmännern gehörten.

Unter dem nun verunglückten Moreno Valle stieg die Zahl illegaler Tankstellen um 3000 Prozent. "Puebla ist nicht nur nationaler Spitzenreiter beim Benzinklau, es gibt hier auch zahlreiche Hinweise auf intransparente Staatsfinanzen, und hier befindet sich das finanzielle Rückgrat der PAN", sagte der Ex-Staatsanwalt Gabriel Reyes Orona. "Das steht durch den Tod der beiden Spitzenpolitiker jetzt auf dem Spiel."

Nagelprobe für Obrador

Ein ausblutender Staatskonzern passt nicht in Präsident Obradors nationalistischen Pläne. Am 21. Dezember, drei Tage vor dem Hubschrauberabsturz, hatte er in aller Stille den Angriff auf die Erdölmafia gestartet. Rund 4000 Soldaten wurden mobilisiert, um die Verteilerzentren von Pemex zu besetzen. 60.000 Fass zweigt die Mafia nach Angaben des Präsidenten täglich ab. Und nur ein kleiner Teil würde "gemolken", der Rest seien täglich bis zu 1000 Zisternenwagen, die das Öl einfach aus den Raffinerien abholten.

Der Absturz kam denkbar unpassend für den Präsidenten, denn er politisiert den Feldzug gegen die Erdölmafia. Welchen Zusammenhang es da gäbe, wollte eine Journalistin bei der Pressekonferenz wissen. "Das sei ein anderes Thema", winkte López Obrador ab. (Sandra Weiss aus Puebla, 29.12.2018)