Lavista Ntshoza weiß, deutschsprachige Touristen sind kauffreudig. Deshalb hat er sich ein paar Brocken Deutsch angeeignet.

Foto: Lisa Breit

Auf den Holztischen der vielen Marktstände stapeln sich Felle und handgefertigte Masken. "Something special for you today?", rufen die Händler einem lautstark zu. Die Mitarbeiter der umliegenden Restaurants offerieren einen Tisch fürs Mittagessen. Hier am Greenmarket Square im Zentrum von Kapstadt, wo die Wege für Fußgänger reserviert sind, tobt ein harter Wettkampf um die Aufmerksamkeit der Touristen. Mittendrin steht Lavista Ntshoza, schmales Gesicht, kurzgeschorene Haare, und hält den Passanten mit beiden Händen ein Magazin entgegen. Er weiß, wie es ihm gelingt, dass man in dem Gewusel stehen bleibt. "Guten Tag, wie geht es Ihnen? Ich heiße Lavista", sagt er in flüssigem Deutsch.

Ntshoza trägt trotz der sommerlichen Temperaturen eine dicke Weste. Seine Augen sind gerötet, und wenn er lächelt, kerben Falten das Gesicht des 34-Jährigen. Er sieht dann älter aus. Wieder auf Deutsch erklärt er, was er verkauft: "The Big Issue ist eine Straßenzeitung, wie der Augustin." Eine Zeitung, die Obdachlose und Arbeitslose verkaufen, um sich ihr Überleben zu sichern, Menschen am Rande der Gesellschaft.

Schlechte öffentliche Schulen

Von ihnen gibt es in Südafrika viele. Statistiken zufolge leben derzeit über 30 Millionen Südafrikaner in Armut, das ist etwa jeder Zweite im Land. Als eine Hauptursache sehen Experten die schlechte Qualität der öffentlichen Schulen. Obwohl Südafrika vergleichsweise viel in Bildung investiert, seien die Schulen mangelhaft ausgestattet, die Lehrer nicht gut ausgebildet, und das Betreuungsverhältnis sei schlecht. Zudem steigt die Arbeitslosigkeit seit zehn Jahren stetig. Aktuell liegt sie laut dem Statistikportal Statista bei 27,9 Prozent.

Jenen eine Chance zu bieten, die keine andere haben: Hier will die Organisation, die hinter der Zeitung steckt und ebenso heißt, ansetzen. Die Verkäufer erwerben das Monatsmagazin für 12,50 Rand (umgerechnet 80 Cent) und verkaufen sie für das Doppelte, der Rest gehört ihnen. 12,50 Rand, dafür bekommt man beispielsweise einen Liter Milch im Supermarkt. Sein Einkommen reiche ihm "zum Leben", sagt Ntshoza. "Und ab und zu kann ich mir auch etwas zurücklegen." Er erzählt nun auf Englisch, denn für längere Gespräche reicht sein Verkäuferdeutsch nicht aus.

Schwere Zeit nach der Matura

Geboren wurde der 34-Jährige in Kapstadt. Seine Muttersprache ist Xhosa, das aus vielen Klicklauten besteht. Ntshoza schnalzt mit der Zunge, um sie zu demonstrieren. Er hat die Matura gemacht, danach kam für ihn aber eine Zeit, über die er nicht gern spricht. Einige Jahre hatte er weder einen Job noch eine Wohnung. Er war einer der mehr als 4800 Obdachlosen, die laut der Regierung unter den Brücken, auf den Straßenbänken und vor den Hauseingängen im Großraum Kapstadt leben. Vor neun Jahren erzählte ein Freund Ntshoza von The Big Issue, wo er anheuerte.

In Kapstadt arbeiten derzeit 150 Verkäuferinnen und Verkäufer für die Organisation. Jeder hat einen fixen Standort: an der Waterfront, dem Hafenviertel, in Woodstock, einem Künstlerviertel, aber auch an Ampeln, zwischen den haltenden Autos. "Das wäre mir zu gefährlich", sagt Ntshoza.

Ab zehn Uhr morgens steht er lieber auf dem Greenmarket Square, bis circa halb vier Uhr nachmittags. Danach dürften die Verkäufer nicht mehr arbeiten, "damit die Leute auch einmal Ruhe von uns haben". Österreichische, deutsche und Schweizer Touristen seien besonders kauffreudig, sagt Ntshoza. Das ist auch der Grund, warum er sich einige Sätze auf Deutsch angeeignet hat. Die Wintermonate, wenn kaum Touristen kommen, seien hart, denn Einheimische machen einen großen Bogen um ihn. "Sie haben wahrscheinlich selbst kein Geld", sagt Ntshoza schulterzuckend.

"The Big Issue" als Sprungbrett

Die Organisation bietet den Verkäufern etliche Weiterbildungen an und auch Bewerbungstrainings. Denn die Arbeit als Straßenverkäufer soll für die Menschen nur ein Zwischenstopp sein, ein Sprungbrett in den regulären Arbeitsmarkt, in eine bessere Zukunft. Von dieser Zukunft hat Ntshoza schon konkrete Vorstellungen: Er will als Tourguide arbeiten. Für die Ausbildung hat er lange sparen müssen. Das Problem aktuell: Die meisten Arbeitgeber verlangen einen Führerschein, der sei jedoch teuer und ohne Bestechungsgeld eigentlich nicht zu bekommen. "Aber ich bin zuversichtlich, dass es irgendwann klappt."

Bis dahin wird die Straße sein Arbeitsplatz bleiben. Das scheint auch okay für Ntshoza. "Ich mag die unterschiedlichen Menschen, meistens gefällt mir diese Arbeit, auch wenn sie anstrengend ist." An guten Tagen, wie am Vortag, verkauft er 18 Zeitungen. Man wünscht ihm alles Gute, geht weiter. Nach ein paar Metern hört man ihn noch sagen: "Hallo, wie geht's? Wollen Sie The Big Issue kaufen? Eine Straßenzeitung." (Lisa Breit aus Kapstadt, 2.1.2019)