Der deutsche Dirigent Christian Thielemann verlieh dem Repertoire der Strauß-Dynastie Leichtigkeit und Tiefe – mithilfe der Wiener Philharmoniker natürlich.

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Seit Menschengedenken hat der Tanz friedensstiftende wie erheiternde Wirkung, die Politik erinnerte daran 2018 mit unvergesslichen Einlagen: Außenministerin Karin Kneissl ist etwa seit ihrem diplomatischen Drehschwung mit Wladimir Putin international sehr bekannt. Überboten wurde sie nur noch von der britischen Premierministerin: Auf dem Parteitag der Konservativen näherte sich Theresa May dem Rednerpult in selbstbewusst-eckigen Bewegungen. Diese Szenen bleiben.

Es gibt im Tanz allerdings auch Tiefenschichten, melancholische, schwermütige Abgründe. Besonders jenes aus der Monarchie stammende Repertoire, das alljährlich im Wiener Musikverein einherschwebt, wird mit nostalgischen Geheimnissen in Verbindung gebracht, die es zu lüften gilt. Der Debütant des Neujahrskonzertes 2019, Christian Thielemann, ist durchaus der passende Maestro für solch ein ins quasi Unbewusste der Kompositionen führende Unterfangen.

Großzügige Tempi

Der Chef der Staatskapelle Dresden, den beim Silvesterkonzert heuer sein Kollege Franz Welser-Möst vertrat, hat dabei eine signifikante, angenehme Schlagseite Richtung großzügige Tempi, Poesie und klangliche Subtilität. Johann Strauß' Walzer Nordseebilder wirkt bei ihm wie eine symphonische Kurzfassung romantischer Erzählkunst. Und bevor das Stück selig endet, ist aus ihm orchestrales Zwitschern ebenso emporgestiegen wie ein kleines Drama. Wegen der sanften Tempi ist da und dort etwas Durchhängen wohl nicht zu vermeiden. Josef Strauß' Transactionen-Walzer haftet zudem etwas Verzärteltes an.

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Es überwiegt allerdings in der elastischen Zusammenarbeit mit den formidablen Wiener Philharmonikern ein Mix aus Konzentration, Leichtigkeit und dem gesanglich orientierten Zugang zu den melodiösen Linien. Thielemann hat auch ein gutes Gefühl für den Charakter von Phrasen wie fürs Innehalten und Beschleunigen der bisweilen elegischen Strukturen.

Er verleiht Linien einen langen Atem und bindet sie so elegant aneinander, wodurch die Musik regelrecht zu schweben beginnt. Josef Hellmesbergers Entr'acte-Valse etwa wird zum Meisterstück der diskreten Präsenz. Er schwebt einher wie ein Wiegenlied und erinnert dabei an den Zugang zu Hellmesbergers Elfenreigen: Da klangen die Philharmoniker wie eine orchestrale Spieldose, während bei Strauß' Künstlerleben-Walzer der Charme des eleganten Übergangs besondere Momente bewirkte.

Zwischendurch Durchatmen

Dazwischen natürlich etwas Durchatmen im soliden Bereich: Johann Strauß' Ouvertüre zum Zigeunerbaron fällt in diese Kategorie, wie auch Josef Strauß' Polka française Die Tänzerin.

Bemerkenswert bei diesem Gruß an das neue Jahr: Thielemann ist auch abseits der symphonischen Walzer wie Sphärenklänge, mit dem er vor einigen Jahren den Philharmonikerball eröffnet hat, um das Sanfte, Weiche des philharmonischen Klanges bemüht. Da gibt es kein Poltern und kein derbes Drauflosrasen. Strauß' Express-Polka schnell wird nicht maschinell abgespult, vielmehr werden Details ausgestaltet. Noten sind nicht einfach Noten, sie sind Träger von Emotion. Und dies eben auch in kurzen Stücken, die bei früheren Neujahrskonzerten gerne dem Effekt oder der Routine geopfert wurden.

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Strauß' Csárdás aus der einst beim Publikum schwer verunglückten Oper Ritter Pásmán ist dafür ein schöner Beleg: Das so herzhafte wie melancholische Stück wird nie zum billigen Effekt. Es zeugt vielmehr von einer Ästhetik, die den intensiven Ausdruck sucht, dennoch aber nicht auf feine Dosierungen und die klangliche Balance zwischen den Instrumentalgruppen verzichtet.

Thielemann versucht, keine Note beiläufig zu nehmen. Dennoch unterdrückt er den energetischen Fluss der Musik nicht. Dazu gehört auch ein Loslassenkönnen wie etwa bei Strauß' Bajadere-Polka. Hier gibt es reichlich orchestralen Freiraum, ohne dass es indifferent wird.

Natürlich sind die akribisch ausgestalteten Momente von besonderer Güte: Der Eva-Walzer aus Ritter Pásmán gehört mit seiner Zierlichkeit und mit seinem schwebenden Duktus zu jenen Momenten, die haften bleiben. Das wirkte noch stärker als der Donauwalzer, der melancholischen Charme hatte.

Klatscheinlagen

Das spaßfreie Konzert (nur bei Strauß' Ägyptischem Marsch sangen die Philharmoniker etwas "La la la ...") hatte im Radetzky-Marsch nebst obligaten Klatscheinlagen auch interessante Momente: Der gestaltende Dirigent war einmal face to face zu studieren. Erhellend, wie Thielemann, der vor dem Dirigierpult bei den Musikern stand, auch hier Details herauszukitzeln suchte.

Bei seiner Wortmeldung gab es hingegen weder den Wunsch, die Briten mögen in Europa bleiben, noch einen Appell an den Mann im Weißen Haus, weniger zu twittern. Thielemann wünschte mit dem Orchester "Prosit Neujahr!".

Beim nächsten Konzert folgt ihm der Lette Andris Nelsons. Wer dabei sein will, möge sich bald für die Verlosung anmelden (1. bis 28. Februar). Die Kartenpreise bewegen sich übrigens offiziell zwischen 35 und 1090 Euro. (Ljubisa Tosic, 2.1.2019)