Foto: Stefanie Ruep
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Plowdiw – "Together" lautet das Motto der ersten bulgarischen Stadt, die den Titel "Europäische Kulturhauptstadt" trägt. Plowdiw, mit 343.000 Einwohner die zweitgrößte Stadt des Landes, ist eine Multikulti-Stadt. Hier leben orthodoxe Bulgaren, Katholiken, Protestanten, Türken, Juden, Armenier und Roma. Doch zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, die jahrhundertelang zusammengelebt haben, gibt es Reibungen. Die Vorurteile gegenüber den Minderheiten sind groß – vor allem gegenüber den 80.000 Roma, von denen die meisten im Stadtteil Stolipinowo, einem der größten Roma-Ghettos Europas, leben.

Die Intention der Bewerbung war, die sozialen Probleme mit Kultur und Bildung anzugehen. Doch übriggeblieben sind von diesen Zielen nur einige Projekte wie etwa das integrative Theaterstück "Medea", bei dem auch junge Roma, Juden und Armenier mitspielen, oder eine Installation eines deutschen Architekten und Künstlers in Stolipinowo an der Maritza. Selbstvertretungsorganisationen wie die Roma-Stiftung Stolipinowo kritisieren die Verteilung des Geldes für die Kulturhauptstadt.

Insgesamt sind heuer mehr als 300 Projekte und fast 500 Veranstaltungen in Plowdiw und der Region geplant. In den Bewerbungsunterlagen hat die Initiative Plowdiw 2019 einen Schwerpunkt darauf gelegt, das Gesicht der Stadt langfristig zu verändern und verlassene Stadträume zu revitalisieren und mit kulturellen Inhalten zu füllen. Die Stadt mit den sieben Hügeln hatte schon viele Gesichter und Namen, denn sie ist eine der ältesten ununterbrochen bewohnten Städte Europas.

Die alten Gebäude ehemaliger Tabakfabriken sind vielfach dem Verfall überlassen.
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Prädestiniert für eine Neupositionierung wäre die sogenannte Tabakstadt. Die engen gepflasterten Straßen des Viertels nahe dem Bahnhof sind gesäumt von nun leerstehenden Tabakfabriken und -lagern. Die Gebäude vom Ende des 19. Jahrhunderts beherbergten in einen Großteil der Tabakindustrie des Landes. Doch die Fassaden bröckeln.

Illegaler Abriss von Kulturdenkmälern

Im Zuge von Plowdiw 2019 werden künstlerische Interventionen und Veranstaltungen auf dem öffentlichen Areal vor den Häusern stattfinden.
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Nach Plänen der Bewerbung hätte die Tabakstadt zum kulturellen Zentrum der Stadt umgebaut werden sollen. Sie galt als eines der Flaggschiffprojekte. Bei der Ernennung zur Kulturhauptstadt wurde besonders honoriert, dass Plowdiw das Ziel verfolgt, "in der ältesten Stadt Europas historische Bausubstanz zu retten". Doch die Rechnung haben sie ohne die privaten Besitzer der Werkshäuser gemacht.

Vor zweieinhalb Jahren hat einer der Besitzer ein Gebäude einfach abgerissen. Ziel war es, ein neues Hotel auf dem Areal zu errichten. Die Bevölkerung protestierte, bildete Menschenketten und kettete sich an die Häuser. Daraufhin erklärte der Oberste Gerichtshof Bulgariens den Abriss zum illegalen Akt. Das gesamte Ensemble sei ein industriell-kulturelles Monument und somit denkmalgeschützt. Trotzdem sind ein halbes Jahr später vier weitere ehemalige Warenhäuser in der Tabakstadt abgebrannt.

In einem ehemaligen Warenhaus ist nun das Büro des Organisationsteams untergebracht.

Künstlerische Interventionen

"Wir haben nicht die Macht, über die künftige Nutzung der Gebäude zu entscheiden. Die Häuser sind im Privatbesitz", sagt Swetlana Kujumdschiewa, künstlerische Leiterin von Plowdiw 2019. Mit künstlerischen Interventionen und Aktionen im öffentlichen Raum soll aufgezeigt werden, was in dem Viertel möglich sei.

Viele Besitzer lassen die Häuser absichtlich weiter verfallen, mit anderen gebe es bereits eine Zusammenarbeit, sagt Kujumdschiewa. Zumindest eines der Häuser ist nun belebt. Im Erdgeschoß probt ein Orchester, im ersten Stock arbeiten Künstler an Theaterkostümen, und das Obergeschoß nutzt das Organisationsteam von Plowdiw 2019 als Büro. Ein Blick aus dem Fenster zeigt die Zerstörung der anderen Häuser noch bedrückender. Zurück blieben abgewrackte Gebäude ohne Fenster und Dächer. Die nackten, bröckelnden Fassaden sind umzäunt von mannshohem Sichtschutz.

Vom Parkplatz zum Hipster-Stadtteil

Das komplett gegenteilige Flair verbreitet das Kapana-Viertel. Kleine Kunsthandwerksläden, Street-Art, hippe Cafés und Craft-Bier-Bars prägen das Viertel, das direkt an die große Einkaufsstraße im Zentrum der Stadt angrenzt. Ein Hipsterbezirk, wie er im Buche steht, und ein Paradebeispiel dafür, wie mit Raum- und Verkehrsplanung ein kompletter Stadtteil umfunktioniert werden kann.

Bei den Einheimischen ist das Viertel besonders wegen die kleinen Handwerksläden und Cafés beliebt.
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"Vor sechs Jahren standen hier die meisten Lokale und Geschäfte leer. Es war mehr ein Parkplatz", erzählt Adelina Kaoabtschiewa, die Führungen durch das Viertel macht.
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Das Viertel bestand früher aus 900 Holzhäusern, in denen kleine Läden eingerichtet waren. Die Straßen sind benannt nach den Dingen, die dort verkauft wurden. Ein Feuer hat die kleinen Holzläden zerstört, doch der Stadtteil wurde wiederaufgebaut. "Nach dem kommunistischen Regime blieben viele Häuser leer stehen", erzählt Adelina Kaoabtschiewa, die Touristen durch den Stadtteil führt. Die Straßenzüge wurden als großer Parkplatz verwendet, das Viertel sei nicht belebt gewesen.

Vor sechs Jahren machte Plowdiw aus dem Stadtteil eine Fußgängerzone. Es gibt nur eine Einfahrt für Zubringerverkehr und zwei Ausfahrten. 2014 stellte die Stadt einige Geschäftslokale für ein Jahr mietfrei zur Verfügung, danach für nur 150 Euro pro Monat. Seither ist der Stadtteil aufgeblüht. Der Graffiti-Künstler Stern hat sich an vielen Wänden und Läden verewigt. Kleine Handwerksbetriebe sind in viele leerstehenden Gebäude gezogen. Die Besitzer setzten große Hoffnungen in das Kulturhauptstadtjahr.

Nachdem die Hauptstraße zur Fußgängerzone wurde, ist Kapana aufgeblüht.

Alkoholverbot im Craft-Beer-Viertel

Doch nicht allen gefällt der Wandel des Viertels. Viele Einheimische kritisieren die Gentrifizierung. Die Wohnungsmieten seien nun nicht mehr leistbar. Lokale Geschäftsleute können sich die Niederlassung dort nicht mehr leisten, die Stadt stoppte die Zuschüsse. Bei Touristen ist das Viertel beliebt, und abends wird es zur Partymeile. Die Beschwerden von Anwohnern häufen sich. Für das Kulturhauptstadtjahr will Bürgermeister Iwan Totew eine private Sicherheitsfirma engagieren, die Ruhestörungen ahnden soll. Nach 22 Uhr ist nun auch das Biertrinken auf der Straße verboten.

Wiederbelebt sollte auch das alte leerstehende Cinema Cosmos werden, das nur wenige Straßen vom Rathausplatz entfernt liegt. Eine Parkgarage sollte statt des Filmpalasts aus den 60er-Jahren entstehen. 2011 wurde er durch eine Bürgerinitiative vor dem Abriss gerettet. Das Kollektiv Cinema Cosmos startete mit Plänen für das Kino, noch bevor die Bewerbung zur Kulturhauptstadt im Raum stand. Es sollte zu einem offenen Kulturzentrum werden, so das Ziel des Kollektivs, das aus Architekten, Schauspielern, Kulturmanagern und Künstlern bestand. Durch die starke Eingliederung der Bürger in das Projekt wurde das Cosmos eines der Aushängeschilder zur Bewerbung als Kulturhauptstadt. Das Kollektiv legte einen Geschäftsplan, eine Entwicklungsstrategie und ein architektonisches Konzept für das künftige Kulturzentrum vor.

Das Kino Cosmos sollte zum offenen Kulturzentrum umgebaut werden, doch es steht bis heute leer.
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Organisationsteam ausgetauscht

Doch 2017 hat das Künstlerkollektiv alle eingereichten Projekte zurückgezogen und distanziert sich von Plowdiw 2019. Die Verwirklichung einer erfolgreichen, politisch unabhängigen, menschenorientierten Kampagne sei unmöglich. "Die städtische Stiftung Plowdiw 2019 ist eine abhängige Institution mit einer ausschließlichen politischen Einmischung der Regierungspartei", schreibt das Kollektiv in einer Erklärung.

Das Kollektiv Cosmos kritisiert die Stiftung Plowdiw 2019 scharf und hat sein Projekt zurückgezogen.
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Das gesamte Organisationsteam der Kulturhauptstadt wurde seit der Zusage vor vier Jahren ausgetauscht. Die Stiftung verfüge nicht über die Kapazität, das Kulturhauptstadtjahr durchzuführen, und konzentriere sich auf Massenveranstaltungen oder nutze den Erfolg bereits etablierter Veranstaltungen, anstatt kulturelle, kommunale Aktivitäten zu entwickeln, kritisiert das Kollektiv. "Cinema Cosmos Collective weigert sich, an dem großen materiellen und moralischen Diebstahl namens 'Plowdiw – Kulturhauptstadt Europas 2019' teilzunehmen."

Cosmos-Kino als Erbe der Kulturhauptstadt

Swetlana Kujumdschiewa weist die Vorwürfe zurück. Cosmos Cinema sei nie als Infrastrukturprojekt geplant gewesen, sondern als kulturelles Projekt, sagt die künstlerische Leiterin. Der öffentliche Raum rund um das Gebäude solle genutzt werden. Das Kino sollte nur einbezogen werden, soweit es möglich ist, weil das Gebäude aufgrund seines Alters nicht sicher zu betreten sei.

"Die Kulturhauptstadt ist ein Antrieb zur Veränderung", sagt die Kuratorin Swetlana Kujumdschiewa. Es habe zwar Konflikte, Kämpfe und Proteste gegeben, doch in vielen Stadtteilen habe die Bewerbung etwas ausgelöst.
Stefanie Ruep

"Die Stadt entschied dann, mehr Geld für die Rekonstruktion des Gebäudes bereitzustellen. Die Architekten des Kollektivs wollten, dass die Stadt sie mit der Sanierung beauftragt", erläutert Kujumdschiewa. Weil es jedoch mit öffentlichem Geld gebaut werde, müsse es eine öffentliche Ausschreibung geben.

"Das Kollektiv wollte das direkt mit dem Bürgermeister klären, ohne unsere Mediation", sagt Kujumdschiewa. Es scheiterte schließlich an der Finanzierung der laufenden Kosten des Projekts. "Ich schlug ihnen vor, den Architekturplan der Gemeinde zu spenden", sagt die künstlerische Leiterin. "Das wollten sie nicht." Ob das Cosmos-Kino noch als Kulturzentrum wiederaufgebaut wird? "Ich hoffe, dass es Teil des Erbes der Kulturhauptstadt Europas wird", sagt die künstlerische Leiterin. (Stefanie Ruep, 10.1.2019)