Ansehnliche Stadthäuser, Villen oder moderne Einheiten in Bürokomplexen – es gibt sie noch, bilaterale Botschaften der Mitgliedsstaaten in der EU. Und das trotz umfassender Vernetzung auf multilateraler Ebene, Personenfreizügigkeit und freiem Warenverkehr. Damit scheinen zentrale Aufgabenfelder dieser Botschaften, wie politische Vernetzung, Konsulartätigkeit und die Unterstützung wirtschaftlicher Interessen, wegzufallen oder zumindest an Bedeutung zu verlieren.

Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung nun für bilaterale Diplomatie innerhalb der EU? Ist sie ein Relikt aus Prä-EU Zeiten, dessen Verschwinden unmittelbar bevorsteht, oder gibt es Aufgabenbereiche für die diese Form der diplomatischen Vertretung weiterhin von Bedeutung ist?

Diplomatie als Rahmung für zwischenstaatliche Beziehungen

Betrachtet man die Entstehung gegenwärtiger bilateraler Diplomatie, die sich im Zuge der Ausformung des Westfälischen Staatensystems entwickelt hat, wird klar, dass diese Form der Diplomatie eng mit dem Konzept des Nationalstaats und dem modernen Staatensystem verbunden ist. Der Politikwissenschafter Jozef Bátora beschreibt Diplomatie in diesem Zusammenhang als Rahmung für zwischenstaatliche Beziehungen, die Prinzipien, Regeln und Handlungsmuster für den zwischenstaatlichen Austausch vorgibt. Diese Rahmung ermöglicht es Staaten, die sich voneinander hinsichtlich ihrer Kultur, des politischen Systems und nationaler Interessen unterscheiden, zu interagieren. Die Homogenität des Staatensystems erleichtert dabei die Interaktion, da alle Akteure Staaten sind und sich eine standardisierte Form der Organisation von Diplomatie entwickelt hat: das Außenministerium.

Diese Form der Diplomatie war seit ihrer Entstehung kontinuierlich Veränderungen in ihrer Umwelt ausgesetzt, wie Kriegen, Umwälzungen in der Weltordnung sowie sozialen und technologischen Entwicklungen. Der grundsätzliche Handlungsrahmen für Diplomatie, das moderne Staatensystem, blieb jedoch stabil. In jüngerer Zeit hat sich nun aber ein Akteur etabliert, der die Grundfesten dieses Fundaments erschüttert. Die EU wird als umfassender Wandel im Staatensystem beschrieben, da der Prozess der Europäischen Integration die Idee von staatlicher Souveränität und nationaler Identität in Frage stellt. Folglich beeinflusst diese Entwicklung auch das Konzept gegenwärtiger Diplomatie.

Nun stellt sich die Frage, wie die hier skizzierten Veränderungen auf bilaterale Diplomatie wirken und wie dies wiederum die Bedeutung der Botschaften beeinflusst. Will man nun Rückschlüsse auf die Art des Wandels ziehen, den die Institution Diplomatie erlebt, ist es notwendig, die Entwicklung der Organisation zu untersuchen, die die Institution repräsentiert: das Außenministerium und seine Botschaften. Eine Fallstudie zur Entwicklung des österreichischen Außenministeriums während der ersten 20 Jahre der EU-Mitgliedschaft Österreichs ermöglicht erste Einblicke in dieses Feld. Im Rahmen dieser Studie wurden nicht nur Aufgaben und Prozesse an Botschaften innerhalb und außerhalb der EU untersucht, sondern auch der Wandel der Rolle des Außenministeriums sowie des Berufsbildes von Diplomaten.

Die französische Botschaft in Rom.
Foto: APA/AFP/TIZIANA FABI

Unterschiede zwischen West und Ost

Die Untersuchung hat gezeigt, dass der Aufgabenbereich von österreichischen Botschaften innerhalb der EU stark vom Level der Integration im Empfängerstaat sowie von dortigen kulturellen Gegebenheiten abhängt. Diplomaten, die in "alten" westeuropäischen Mitgliedstaaten tätig sind, gaben an, dass unterstützende Aktivitäten seitens der Botschaft in politischen, wirtschaftlichen oder kulturpolitischen Belangen deutlich weniger geworden sind, da diese Systeme in der EU einer zunehmenden Harmonisierung unterliegen. Diplomaten in "neuen" osteuropäischen Mitgliedsstaaten hingegen beteuern die anhaltende Bedeutung ihrer Tätigkeit in der Unterstützung österreichischer Interessen, speziell im Bereich Wirtschaft. Allerdings können diese Unterschiede nicht ausschließlich der vorangeschrittenen Harmonisierung politischer und wirtschaftlicher Systeme zugeschrieben werden. Auch sozio-kulturelle Unterschiede, wie hierarchische Strukturen, sind von Bedeutung. In manchen Mitgliedsstaaten spielt der Status von Diplomaten eine deutlich größere Rolle, als in anderen. Hier ist es in der Tat von großer Bedeutung, wenn eine Person im Rang eines Botschafters ein Interesse vertritt und so als Türöffner auf diversen Ebenen fungiert. Anderswo hingegen ist bei ähnlichen Initiativen keinerlei staatliche Intervention notwendig. Diese Differenzierung ist jedoch nicht an einer Trennlinie zwischen West und Ost festzumachen, sondern hat auch eine Nord-Süd Dimension.

Was machen nun Botschaften in Mitgliedsstaaten, in denen der Integrationsprozess weit vorangeschritten ist? Ist ihre Tätigkeit noch notwendig? Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich der Fokus in diesen Empfängerstaaten von klassischer bilateraler Diplomatie verschoben hat, hin zur Unterstützung österreichischer EU-Interessen, um die Bildung von Koalitionen auf der multilateralen EU-Ebene vorzubereiten. Ähnliche Tendenzen zeigen sich auch in der Arbeit bilateraler Botschaften anderer EU-Staaten. Dies sagt jedoch nur wenig über ihre verbleibende Bedeutung aus. Natürlich beeinflussen bilaterale Beziehungen die Bildung von Koalitionen in Brüssel. Forschungen zu diesem Thema haben gezeigt, dass Koalitionsformen, die überwiegend auf den zugrundeliegenden Beziehungen der Koalitionspartner beruhen, durchaus üblich sind. Ob hierfür eine bilaterale Repräsentation notwendig ist, bleibt jedoch offen. Entscheidend wird sein, wo zukünftig politische Positionen der Mitgliedsstaaten vorbereitet werden.

Die Untersuchung des Tätigkeitsfeldes der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU hat gezeigt, dass österreichische Positionen nicht zwingend in Wien vorbereitet und anschließend in Brüssel vertreten werden. Immer öfter werden österreichische Positionen im multilateralen Gefüge in Brüssel formuliert, in Wien vorgeschlagen, dort bestätigt oder angepasst, und dann in Brüssel vertreten. Diese Verlagerung von Positionierungsprozessen von der Hauptstadt nach Brüssel mag ein Phänomen sein, das eher bei kleineren Mitgliedsstaaten zu beobachten ist, die über weniger Ressourcen und weniger spezialisierte Experten in der Hauptstadt verfügen. Wenn sich die Arbeit bilateraler Botschaften in der EU nun aber zunehmend auf das Bewerben von EU-Positionen des entsendenden Staates in der Hauptstadt des Empfängerstaates konzentriert, Positionierungsprozesse jedoch gleichzeitig von der Hauptstadt nach Brüssel wandern, zumindest in kleineren Mitgliedsstaaten, verlieren diese Botschaften weitere Aufgabenfelder und langfristig möglicherweise ihre Legitimation. Erste Tendenzen in diese Richtung sind bereits in der Entwicklung des Netzwerkes österreichischer Botschaften in der EU zu beobachten. Nachdem das österreichische Außenministerium 20 Jahre lang eine eurozentrische Strategie in der Entwicklung seines Botschafts-Netzwerkes verfolgte, in jedem Mitgliedsland vertreten war und Botschaften in neuen oder zukünftigen Mitgliedsstaaten eröffnet hat, wurde 2015 damit begonnen, Botschaften in kleineren Mitgliedsstaaten aufgrund geringer Auslastung zu schließen.

Anpassungen im Zuge der Europäischen Integration

Wendet man sich dem Außenministerium zu, sind vor allem Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit von Interesse. Das Ministerium hat nach dem EU-Beitritt lange Zeit nur marginale Anpassungen in seiner Struktur vorgenommen, die überwiegend die multilaterale Arbeit betrafen und Veränderungen auf der EU-Ebene geschuldet waren. 2015 hat das Ministerium jedoch eine umfassende Modernisierungsstrategie angekündigt. Im Kontext des Europäischen Integrationsprozesses ist hier vor allem eine Anpassung von Interesse: die Etablierung einer Europa-Sektion, die fortan alle EU-Kompetenzen bündeln sollte. Zuvor wurden multilaterale EU-Agenden und Wirtschaftsbeziehungen sowie bilaterale Beziehungen von zwei Sektionen betreut. Folglich waren unterschiedliche Sektionen für politische und wirtschaftliche Beziehungen zu EU-Mitgliedsstaaten zuständig. Darüber hinaus wurde in der Europa-Sektion eine Abteilung eingerichtet, die Westbalkan- und Erweiterungsagenden sowie sogenannte Twinning-Projekte, die Bewerberstaaten beim EU-Beitritt unterstützen sollen, zusammenfasst. Die Westbalkan-Region steht im Fokus österreichischer Außenpolitik und Österreich fördert Beitrittsambitionen dieser Staaten. Mit diesen Schritten hat das Ministerium auf Entwicklungen im Zuge des Integrationsprozesses reagiert und seine Struktur der Arbeit in der EU, auch auf bilateraler Ebene, angepasst.

Diplomatie unter Legitimitätsdruck

Die Koalitionsverhandlungen nach den Nationalratswahlen 2017 haben diesen Anpassungsprozess jedoch unterbunden und das Ministerium zudem in eine ungünstige Position manövriert. Sebastian Kurz hat zentrale EU-Agenden vom Außenministerium ins Kanzleramt verlegt und Gernot Blümel ist nun Minister für EU, Kunst, Kultur und Medien im Kanzleramt. Woraufhin das Außenministerium in großen Teilen zu seinem Organisationsaufbau vor der Modernisierung zurückgekehrt ist. Diese Entwicklungen mögen überwiegend der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft geschuldet sein und möglicherweise auch dem Umstand, dass eine FPÖ-nahe Außenministerin den Pro-EU-Kurs der ÖVP konterkariert. Sollte sich diese Form der Kompetenzverteilung jedoch etablieren und auch nach einem Regierungswechsel weiterbestehen, könnten nicht nur Botschaften des Ministeriums in der EU, sondern das Ministerium an sich, Legitimität einbüßen. Denn anders als bei anderen Ministerien lässt sich der Mehrwert der Arbeit des Außenministeriums für die österreichische Bevölkerung nur schwer quantifizieren.

Darüber hinaus werden Diplomaten in der öffentlichen Wahrnehmung nach wie vor häufig mit einem aufwändigen Lebensstil, Dinner-Partys und Parkprivilegien in Verbindung gebracht. In Zeiten angespannter nationaler Budgets entsteht so ein Legitimationsproblem, das durch einen EU-Minister im Kanzleramt verstärkt wird. Das Außenministerium hat bereits im Rahmen der Modernisierungsstrategie 2015 versucht dem entgegenzuwirken, indem die Serviceorientierung für österreichische Bürger und Unternehmen im Ausland betont wurde. Vor allem die Unterstützung von Österreichern im Ausland ist im Kontext des Legitimitätserhalts vielversprechend, da das Ministerium selten mehr und bessere Medienberichterstattung erhält, als wenn seine Botschaften Österreicher in Krisensituationen unterstützen. Anders stellt sich die Situation mit österreichischen Unternehmen dar, da hier die Wirtschaftskammer mit ihren Außenwirtschafts-Centern der zentrale Ansprechpartner bleiben wird.

Das Beispiel Österreichs zeigt, dass der Europäische Integrationsprozess das vorherrschende Konzept von Diplomatie verändert und traditionelle Formen der Organisation von Diplomatie unter Druck setzt. Dabei ist die inner-europäische Perspektive nur ein Blickwinkel. 2010 hat die EU den Europäischen Auswärtigen Dienst ins Leben gerufen, der die EU in Drittstaaten vertritt. Damit tritt die EU als neuer Akteur im diplomatischen System auf und verändert durch verstärkte Koordination nicht nur die Art und Weise wie Botschaften von EU-Mitgliedsstaaten in Drittstaaten arbeiten, sondern verändert auch hier das diplomatische System an sich. Art und Voranschreiten dieser Veränderungen hängen in erster Linie von der Weiterentwicklung der EU und der Intensität des Integrationsprozesses ab. Hier haben sich vor allem in den letzten Jahren auch desintegrative Elemente gezeigt, weshalb nicht von einem kontinuierlichen Voranschreiten ausgegangen werden kann. (Sandra Sonnleitner, 8.1.2019)