Die artifiziell klingenden Geräuschattacken in der und um die US-Botschaft in Havanna dürften natürlichen Ursprungs sein.

Die Sache ist und bleibt mysteriös. Zahlreiche Mitarbeiter der US-Botschaft in Havanna klagten ab Ende 2016 über Kopfschmerzen, Übelkeit und andere Beschwerden, nachdem sie durchdringende Geräusche gehört hatten. Das führte dazu, dass die Botschaft die Zahl ihrer Mitarbeiter im Jahr 2017 mehr als halbierte. Über die Ursache der Geräusche und der Erkrankungen wurde lange spekuliert; man vermutete jedenfalls akustische Attacken als Auslöser – welcher Art auch immer diese "Lärmwaffen" waren.

Im März letzten Jahres kam ein US-Medizinerteam der University of Pennsylvania nach Untersuchungen der betroffenen Diplomaten zum Schluss, dass diese kleine Läsionen im Hörapparat erlitten haben könnten. Andere Mediziner zweifelten freilich an den Interpretationen. Im September behauptete dann eine Medizinerin der Universität von Kalifornien in San Diego in einer Studie, dass die Effekte von gepulsten Radio- und Mikrowellen zu den Symptomen bei den Diplomaten geführt haben könnten.

Entomologische Vergleichsanalysen

Nun aber gibt es in diesem rätselhaften Fall eine Wende, die einer gewissen Ironie nicht entbehrt. Alexander Stubbs von der Universität von Kalifornien in Berkeley und Fernando Montealegre-Zapata von der britischen Universität Lincoln analysierten die mysteriösen Geräusche, die von US-Diplomaten aufgenommen worden waren und von der Nachrichtenagentur Associated Press veröffentlicht wurden.

Und in diesen Vergleichsstudien entpuppte sich die akustische Waffe als das durchdringende Zirpen einer karibischen Kurzschwanzgrillenart namens Anurogryllus celerinictus. (Anhören kann man das durchaus laute und unangenehme Zirpen hier. Dass Zikaden hinter der Schallattacken stecken könnten, war bereits kurz nach Veröffentlichung durch die AP vermutet worden, wie der STANDARD berichtete.)

Ein totes Exemplar der Gattung Anurogryllus. Die lebenden karibischen Verwandten namens Anurogryllus celerinictus gehören zweifellos zu den unangenehmer zirpenden Grillen dieses Planeten.
Foto: Franziska Walz, CC BY-SA 3.0

Für ihre Untersuchung, die vorab auf dem Preprint Server "BioRxiv" veröffentlicht wurde, suchten Montealegre-Zapata und Stubbs in einer wissenschaftlichen Datenbank nach Insektengeräuschen, die mit der kubanischen Aufnahme übereinstimmen. Der Ruf von Anurogryllus celerinictus erwies sich als bemerkenswert ähnlich: Die Frequenz liegt bei knapp 7000 Hertz und wird mit einer ungewöhnlich hohen Rate abgegeben, was Menschen das Gefühl eines kontinuierlichen scharfen Trillers gibt.

Echos durch den Innenraum

Es gab aber auch eine Abweichung: Der in Havanna aufgenommene Ton hatte eine ungleichmäßige Pulsstruktur, die man bei den Paarungsrufen der Insekten in natura nicht hört. Diese Diskrepanz dürfte aber durch die Umgebung erklärbar sein, wie die beiden Forscher experimentell herausfanden. Sie spielten die charakteristischen Geräusche der Grille über einen einzigen Lautsprecher in einem Raum ab. Und tatsächlich veränderte das Echo von Wänden, Boden und Decke die Pulsstruktur so wie auf der Aufnahme aus Kuba.

Der von der britischen Zeitung "Guardian" zur Studie befragte Tiersensoriker Gerald Pollack (McGill University in Montreal) zeigte sich von den Analysen überzeugt, insbesondere auch von der Erklärung, wie außergewöhnliche Pulsstruktur zustande gekommen sein könnte. Pollack selbst verfügt zwar laut eigenen Angaben über keine akustischen Erfahrungen mit dieser speziellen Grillenart. Aber nach allem, was er über Grillenzirpen weiß, habe das noch nie zu Verletzungen geführt, sondern schlimmstenfalls zu schlaflosen Nächten.

Mag die Urheberschaft der "akustischen Attacken" damit gelöst sein: Mysteriös bleibt, wie es zu den gesundheitlichen Schäden kam. Wenn es sie denn wirklich gab. (tasch, 7.1.2019)