Philippe Barbarin während des Prozessauftakts in Lyon.

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Mehr als ein Jahrzehnt lang hatten Missbrauchsopfer auf diesen Moment hingearbeitet: Mit Baskenmütze und Lederjacke bekleidet erschien Erzbischof Philippe Barbarin am Montag vor dem Strafgericht in Lyon. Der Vorwurf gegen ihn lautet auf Vertuschung pädophiler Akte durch einen Untergebenen.

Der stark mediatisierte, zum Teil auch politisierte Rechtsstreit dreht sich um Verfehlungen eines Kaplans, der von 1986 bis 1991 junge Pfadfinder sexuell missbraucht haben soll. Die "Berührungen" des geständigen Priesters sind möglicherweise verjährt, und der Prozess richtet sich nicht gegen den Täter, sondern gegen seine Hierarchie, die den Fall vertuscht haben soll. Insbesondere Kardinal Barbarin soll die Aufklärung verschleppt und den pädophilen Geistlichen bis 2015 im Dienst und im Kontakt mit Jugendlichen belassen haben.

"Gegen das System"

Das behauptet ein Dutzend Mitglieder der Pfadfindergruppe, die sich im Verein "la parole libérée" – wörtlich: "das befreite Wort" – zusammengeschlossen haben. Die Rechtslage ist umstritten. Vereinsvorsteher François Devos erklärte, er wolle "nicht einen Prozess gegen einen Mann, sondern gegen ein System": Anders als in Deutschland, Irland oder den USA seien die sexuellen Missbräuche durch Vertreter der katholischen Kirche in Frankreich bisher systematisch unter den Teppich gekehrt worden.

Im Zuge der Barbarin-Affäre verlangte eine Reihe prominenter Politiker und Intellektueller bereits im vergangenen September die Einrichtung einer parlamentarischen Untersuchungskommission zum Thema "Pädophilie in der Kirche".

"Gott sei Dank"

Barbarins Anwälte halten den Vorwürfen entgegen, der Prozess könne nicht einem abstrakten System gelten, sitze doch konkret ein Mensch auf der Anklagebank. Der Kardinal habe vor den Behörden nichts vertuscht und sich überdies entschuldigt, falls er zu lange gewartet habe, den Gerüchten über den Priester nachzugehen.

In einer zumindest ungeschickten Formulierung hatte Barbarin allerdings auch erklärt, die meisten Vorwürfe seien "Gott sei Dank" verjährt.

Der ehrgeizige Kirchenmann gilt als brillanter Denker, dem die Zeitung Le Parisien "Papstfähigkeit" attestierte, nachdem er schon mit 51 Jahren Erzbischof von Lyon und damit höchster katholischer Würdenträger Frankreichs geworden war. Aber er verkörpert auch für viele Franzosen die "Kultur des Schweigens", die in der Kirche seines Landes vorherrschte oder immer noch herrscht.

Rückhalt des Papstes

Papst Franziskus hat sich zwar 2016 hinter den "mutigen und kreativen Missionar" gestellt. In Lyon soll Barbarin aber nur noch beschränkt Rückhalt genießen. Auch der frühere Premierminister Manuel Valls hatte ihn 2016 vielsagend aufgefordert, die "Verantwortung zu übernehmen". Barbarins Anhänger machten einen politischen Prozess aus: Der konservative Kardinal hatte sich gegen liberale Beschlüsse des ehemaligen Staatspräsidenten François Hollande wie etwa die Homo-Ehe ausgesprochen. Nun drohen Barbarin drei Jahre Haft und eine Geldbuße bis 45.000 Euro. Der Prozess dürfte am Mittwoch zu Ende gehen. (Stefan Brändle aus Paris, 7.1.2019)