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Muslime verlassen nach dem Gebet die Sultan-Ahmed- oder Blaue Moschee in Istanbul. Viele von ihnen hätten gerne, dass auch die gegenüberliegende Hagia Sophia wieder ein Gotteshaus wird.

Foto: AP Photo/Emrah Gurel

Die Ayasofya oder Hagia Sophia in Istanbul hat in ihrer knapp 1500-jährigen Geschichte schon einiges erlebt: Eroberungen, Erdbeben, Religionswechsel – und jede Menge Gottesdienste natürlich. Da war es an und für sich eine weise Entscheidung des türkischen Staatsgründers Kemal Atatürk, das imposante Gebäude 1935 in ein Museum umzuwandeln. So sollte aus dem Wahrzeichen Istanbuls ein Touristenmagnet werden, der Menschen aller Religionen gleichermaßen offensteht. Schließlich ist die Ayasofya mittlerweile auch Unesco-Weltkulturerbe.

Seitdem aber reißt der Streit um den rötlichen Kuppelbau, den einst der oströmische Kaiser Justinian I. 537 nach Christus errichtet hatte, nicht ab. Vor kurzem sorgte ein Foto auf dem Instagram-Account der türkischen Unternehmerin Leyla Alaton für Ärger. Darauf ist zu sehen, wie eine Ballerina einen Spagat in der Hagia Sophia macht. Konservative Muslime liefen Sturm. Das sei keine Kunst, sondern Blasphemie. Quasi als Racheaktion versammelten sich daraufhin fünf Männer in dem Bau und beteten gemeinsam. Von der Aktion existiert ein Video. Ein Sicherheitsmann unterstützt die Betenden offensichtlich bei ihrer Performance, und eine Gruppe Zuschauer applaudiert.

Die Geschäftsfrau Alaton geriet zudem in einen ordentlichen Shitstorm, woraufhin sie das Foto der Ballerina löschte und um Entschuldigung bat. Sie hätte nicht gedacht, dass Kunst die religiösen Gefühle so vieler Menschen verletzen könnte.

Unruhe nach Säkularisierung

Der Streit, der dahintersteckt, ist ein alter und steht gewissermaßen auch für die Spaltung der Türkei. Die Hagia Sophia war das Zentrum der orthodoxen Christenheit und wurde nach der Eroberung Konstantinopels 1453 durch die Osmanen in eine Moschee umgewandelt.

Nach der Republikgründung 1923 empfand die Mehrheit der Türken die Säkularisierung durch Kemal Atatürk als aufgezwungen. Seitdem gibt es immer wieder Bestrebungen, der Religion im Staat mehr Raum zu geben – Tendenzen, die vor allem die AKP-Regierung unter Präsident Erdogan geschickt kanalisiert. Die Frage, ob die Ayasofya Moschee oder Museum ist, steht quasi symbolisch für diese Spannungen.

Erdogan windet sich

Konservative Muslime fordern seit Jahrzehnten die Rückumwandlung in eine Moschee. Immer am Jahrestag der Eroberung Konstantinopels versammelt sich eine Menge auf dem Platz vor dem Gebäude zum Morgengebet. Auch die staatliche Religionsbehörde Diyanet ließ dort Koranlesungen organisieren. Erdogan selbst windet sich. Einerseits hat er immer wieder eine Rückumwandlung in eine Moschee in Aussicht gestellt, doch geschah dies wohl meist aus wahltaktischem Kalkül für den ultrareligiösen Teil seiner Wählerschaft. Und dazu gekommen ist es bisher eben nicht. Tatsächlich würde der Schritt wohl international für großen Aufruhr sorgen.

Besonders sensibel reagieren die Griechen auf diese Tendenzen. Für orthodoxe Christen ist das Gebäude nach wie vor ein kultureller Fixpunkt und die Hagia Sophia ein Symbol für das Byzantinische Reich – das allerdings vor mehr als 560 Jahren untergegangen ist. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 9.1.2019)