Lisa Stuckey, Doktorandin an der Akademie der bildenden Künste Wien und Junior Fellow am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften der Kunstuniversität Linz

Foto: anthrazit.studio / Manuel Carreon Lopez

Architektur ist nicht nur ein Werkzeug zur Gestaltung von Bauwerken. Sie kann auch zum Mittel der Analyse werden, um ökologische und politische Krisen zu untersuchen und Leid und Ungerechtigkeit nachvollziehbar zu machen. Das ist eine Grundidee der Agentur Forensic Architecture – einer Einrichtung, die seit 2011 an der Goldsmiths University of London besteht. Die Recherchen, die der Gründer Eyal Weizman mit seinem Team von Künstlern, Juristen, Programmierern und Architekten durchführt, betrafen etwa Foltergefängnisse in Syrien, rechtsextremen Terror in Deutschland und zuletzt den Brand im Londoner Grenfell-Tower mit dutzenden Toten.

Das "Kartografieren" von Vorfällen und Krisen durch Forensic Architecture findet sowohl im Kunstbereich als auch in Gerichten Resonanz. Diese Übersetzbarkeit von Kunst und Rechtsprechung ist es auch, was Lisa Stuckey besonders interessiert. Als Doktorandin an der Akademie der bildenden Künste Wien und Junior Fellow am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften der Kunstuniversität Linz untersucht sie Diskurslinien und Methoden dieser neuartigen "investigativen Ästhetik".

"Das Konzept von Forensic Architecture bewegt sich vor dem Hintergrund der institutskritischen Kunst der 1990er-Jahre, der Medienökologie-Debatte der 1970er-Jahre und im Kontext sozialer Bewegungen wie Occupy Wallstreet, die eine gerechtere Gesellschaft anstreben", erläutert Stuckey. Dabei markiere der Ansatz Umbrüche sowohl in der Gerichtsbarkeit – etwa das sich verändernde Zusammenspiel nationaler und internationaler Instanzen – als auch im Selbstverständnis musealer Institutionen, die im Sinne einer "Entgrenzung" ihre Aufgabengebiete erweitern.

Spieß umdrehen

Zentral sei die Idee von "Counter-Forensics", die den Spieß umdreht und sich mit den Mitteln der Recherche und Informationsaufbereitung einer staatlichen Informationspolitik entgegenstellt. Stuckey setzt ihre "investigative Ästhetik" auch in Kontext zu Standpunkten der Medienkünstlerin Constanze Ruhm und der Poetin M. NourbeSe Philip.

Die Dissertantin sieht in Konzepten wie jenem von Forensic Architecture auch Potenzial, Figuren wie den Detektiv oder den Spion zu aktualisieren, wie sie in ihrem Vortrag "Artist-as-Detective" am Freitag bei der von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien organisierten Konferenz "Arts & Citizenship: Towards Diversity of Cultural Expressions" ausführt. An die Stelle der genialen Einzelgänger treten Kollektive aus Expertinnen und Experten, anstelle linearer Beweisketten entstehen "kartografische Kreuzverhöre".

Die Wienerin, die Kunsttheorie und Medienkunst an der Akademie der bildenden Künste Wien und am Royal Institute of Art in Stockholm studiert hat, schätzt die gesellschaftliche Relevanz ihres Arbeitsbereichs: "Soziale Gerechtigkeit ist für mich ein zentrales Interesse. Insofern sehe ich auch keine Trennung zwischen privatem und professionellem Bereich." Neben der Kunst- und Medientheorie haben noch Projekte als freie Kuratorin Platz, in denen neben Text die Fotographie und das Bewegtbild im Zentrum stehen. (pum, 13. 1. 2019)