London/Berlin – Nur wenige Tage vor der wichtigen Abstimmung über das britische EU-Austrittsabkommen haben die Abgeordneten im Londoner Parlament die Spielregeln geändert. Zum Auftakt der fünftägigen Debatte entschieden die Parlamentarier mit 308 zu 297 Stimmen am Mittwoch, dass die Regierung innerhalb von drei Sitzungstagen einen Plan B vorlegen muss, sollte der Brexit-Vertrag am Dienstag abgelehnt werden.

Premierministerin Theresa May könnte damit nach Ansicht von Beobachtern nicht mehr auf Zeit spielen, um ihr Abkommen durchs Unterhaus zu bringen. Das Parlament könnte dagegen Einfluss auf die weiteren Schritte nehmen.

Abstimmung verschoben

Die Regierungschefin hatte die Abstimmung über das mit Brüssel ausgehandelte Brexit-Abkommen im Dezember zunächst verschoben, weil sich eine deutliche Niederlage abzeichnete. Sie soll nun am kommenden Dienstag, dem 15. Jänner, stattfinden. Es gilt jedoch weiterhin als unwahrscheinlich, dass der Brexit-Deal eine Mehrheit findet.

Großbritannien scheidet voraussichtlich am 29. März 2019 aus der EU aus. Sollte bis dahin kein Abkommen mit Brüssel unter Dach und Fach sein, droht dem Land ein ungeregelter Brexit mit erheblichen Folgen für die Wirtschaft und viele weitere Lebensbereiche.

Ausgang offen

May drängt auf eine Zustimmung des Unterhauses, um einen ungeregelten Austritt aus der EU zu verhindern. Der Ausgang der Abstimmung ist allerdings völlig offen, eine notwendige Mehrheit von 320 Stimmen noch nicht in Sicht. Der Vertrag ist vor allem auch in den Reihen von Mays Konservativer Partei umstritten. Der Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union soll am 29. März erfolgen.

Angewiesen sind May und ihre Konservativen auf die Stimmen der nordirischen DUP. Diese fordert jedoch, dass der Passus zum Notfallplan für die Grenze zum EU-Mitglied Irland gestrichen wird. "Nur damit können wir umgestimmt werden", sagte der Brexit-Beauftragte der DUP, Sammy Wilson. Zu den Plänen der Regierung, der britischen Provinz mehr Kontrolle über die Einführung des Notfallplans einzuräumen, äußerte er sich kritisch. Die Vorschläge seien "bedeutungslos" und gingen nicht weit genug. Der Brexit-Vertrag sei insgesamt ruinös und so nicht zustimmungsfähig.

Verschiebung ausgeschlossen

May hat eine Verschiebung des Austritts wiederholt ausgeschlossen. Ihr Kabinettschef David Lidington warnte die Abgeordneten vor Forderungen nach einem neuen Vertrag. "Ich denke nicht, dass der britischen Öffentlichkeit mit Fantasien über magische alternative Verträge gedient ist, die irgendwie in Brüssel aus der Kiste springen." Das vorliegende Abkommen habe beiden Seiten schwierige Zugeständnisse abverlangt.

Die EU hat Neuverhandlungen ausgeschlossen. Auch eine Verschiebung wird kritisch gesehen. Noch gehe es darum, einen harten Brexit unbedingt zu vermeiden, erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Berlin. Erst dann müsse man auch über eine Verschiebung nachdenken. "Aber jetzt ist es noch zu früh", sagte Kurz der deutschen Zeitung "Die Welt".

Eine erste Abstimmung im Dezember hatte May einen Tag zuvor verschoben, da sich eine Niederlage abzeichnete. Einen weiteren Rückschlag erlitt sie am Dienstag: Die Abgeordneten stimmten mehrheitlich für einen Gesetzeszusatz, der es erschwert, im Budget für 2019 zusätzliche Mittel für einen ungeordneten Brexit freizumachen. Dazu braucht der Finanzminister explizit die Zustimmung des Parlaments.

Sollte das Unterhaus den Brexit-Vertrag ablehnen, droht ein ungeordneter Austritt mit schweren Folgen für die Wirtschaft. Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier äußerte die Hoffnung, dass eine rechtzeitige Ratifizierung des Brexit-Abkommens gelinge. "Bis dahin bleiben aber auch Vorbereitungen auf ein No-Deal-Szenario weiterhin essenziell – gerade auch für Akteure in der Wirtschaft."

Deutsche EU-Abgeordnete für Fristverlängerung

Eine Vizepräsidentin des Europaparlaments hält unterdessen eine Fristverlängerung beim Brexit für denkbar. "Wenn es helfen kann, warum nicht?", sagte die deutsche SPD-Abgeordnete Evelyne Gebhardt dem Sender SWR am Mittwoch. Vorstellen könne sie sich eine Verlängerung um ein oder zwei Wochen, Nachverhandlungen über die Inhalte des Brexit-Vertrags schloss sie jedoch aus.

Der Brexit-Koordinator der Europäischen Volkspartei (EVP) hält eine Verschiebung des Brexit-Termins für schwierig. "Es gibt nichts Neues zu verhandeln", sagt der Deutsche Elmar Brok (CDU). Eine Verschiebung des Austritts um zwei oder drei Monate wäre deshalb wenig sinnvoll. Anders wäre es, wenn sich die Situation in Großbritannien grundlegend ändern würde, etwa durch Neuwahlen oder eine zweite Brexit-Abstimmung. (APA, Reuters, 9.1.2019)