Charly Kahr (links) wird von Manfred Ainedter vertreten.

Foto: Jutta Berger

Bludenz – Keiner will das Gesicht verlieren, mutmaßte Richterin Daniela Flatz, als sie vergangenen April "einen Prozess, den sich niemand wünscht", eröffnete. Karl Kahr (86), unter Freunden und Fans der Downhill Charly, hatte die Klage gegen eine ehemalige Rennläuferin und deren Mann eingereicht. Üble Nachrede wird dem Ehepaar aus dem Montafon vorgeworfen.

Via Whatsapp an Annemarie Moser-Pröll hatten die beiden sexuelle Gewalt durch den ehemaligen ÖSV-Trainer und den vor zehn Jahren verstorbenen Skigott Toni Sailer angeprangert. Die Verhandlung brachte dunkle Seiten des Skisports zutage: Suff, mutmaßlich erzwungener Sex, Machtspiele und Intrigen, Angst und Verzweiflung der Gewaltopfer.

Zweite Runde

Im April wurde vertagt. Am Donnerstag geht der Prozess in die zweite Runde. Zeuginnen und Zeugen, die zum Teil den Skizirkus der 1960er- und 1970er-Jahre miterlebt haben, werden erwartet, Journalisten, aber auch Rennläuferinnen. Auch zwei Sportjournalisten des STANDARD stehen im Zeugenstand.

Charly Kahr 2013.
Foto: APA/EXPA/JOHANN GRODER

Aussagen wird Nicola Werdenigg, die im Herbst 2017 die Lawine ins Rollen brachte, indem sie ihre leidvollen Erfahrungen durch die Vergewaltigung eines Rennfahrerkollegen im STANDARD öffentlich machte. Werdenigg ist heute über den von ihr gegründeten Verein #WeTogether Ansprechperson für Opfer und will mit dem Verein Prävention von Machtmissbrauch im Sport fördern.

Konsequenzen für Täter

Werdeniggs Initiative hat viel bewirkt. Frauen wie Männer sprechen über (sexuelle) Gewalt im Spitzensport und an Sportschulen. Der Skiverband ÖSV richtete eine Meldestelle und Kommissionen ein. Unfassbare Missstände an Ausbildungsstätten und in Internaten wurden öffentlich. Nach Jahrzehnten des Vertuschens müssen Täter, auch jene der Vergangenheit, mit Konsequenzen rechnen: Ein Trainer der Skiakademie Schladming wurde vergangenen Oktober wegen Missbrauchs eines Schülers verurteilt.

Ein weiterer Trainer, der vor Jahrzehnten an einer Massenvergewaltigung teilgenommen haben soll, wurde vom ÖSV entlassen. Es gebe Vorfälle, die zwar strafrechtlich aber nicht moralisch verjähren, begründete ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel dies. Wegen Verjährung eingestellt wurden hingegen von der Staatsanwaltschaft Leoben die Ermittlungen gegen Karl Kahr wegen sexueller Übergriffe.

Kahr schlägt zurück

Bereit zur Aussage wäre laut Falter und NZZ auch jene Frau, die dem Magazin Spiegel gegenüber ihre Leidensgeschichte offenbart hat. Als 14-Jährige sei sie von Sailer in einem Innsbrucker Hotel vergewaltigt worden.

Sailer habe sie, die ein Autogramm wollte, in sein Zimmer gelockt und dort eingesperrt. Kahr habe davon gewusst und sie nach der Tat nach Namen und Telefonnummer der Eltern gefragt und nach Hause geschickt. Gemeldet habe sich der Trainer bei den Eltern des mutmaßlichen Opfers aber nie.

Nicht der einzige Prozess

Kahr erwartet im Jänner ein weiterer Gerichtstermin. Am 24. soll am Landesgericht für Strafsachen Wien das von ihm angestrengte medienrechtliche Verfahren gegen die Süddeutsche Zeitung fortgeführt werden. Geklagt hatte er die Süddeutsche wegen übler Nachrede, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und Verletzung des Identitätsschutzes.

Die SZ hatte zwei frühere Rennläuferinnen zitiert. Beide Frauen hatten, laut SZ durch eidesstattlichen Erklärungen abgesichert, erzählt, Kahr habe die eine als 16-Jährige vergewaltigt, bei der anderen sei es bei einem Versuch geblieben. Kahr blieb der ersten Tagsatzung fern. Nun wird gerätselt, ob Anwalt Manfred Ainedter auch in Bludenz allein die Stellung halten wird. (Jutta Berger, 9.1.2019)