Es war im Mittelalter so wertvoll wie Gold: Ultramarin erlaubte leuchtend blaue Farbgebungen in den kostbarsten Manuskripten. Nun hat ein internationales Forschungsteam um die US-Anthropologin Christina Warinner das Pigment im Zahnstein einer Frau aus dem Mittelalter nachgewiesen. Damit liefern die Forscher den ersten direkten Nachweis, dass auch Frauen mit dem wertvollen Pigment als Illustratorinnen arbeiteten.

In diesem Unterkiefer entdeckten die Forscher Zahnstein mit Lapislazuli-Pigmenten.
Foto: Christina Warinner

Hergestellt wurde der Farbstoff mit einem aufwendigen Verfahren aus Lasuritkristallen, einem Bestandteil von Lapislazuli. Nur Schreibern und Illustratoren von herausragendem Können wurde das Pigment anvertraut, schreiben die Forscher im Fachblatt "Science Advances".

Wiederholter Kontakt

Die Forscher entdeckten das Pigment im Zahnstein einer Frau, deren sterbliche Überreste neben dem Kloster Dalheim bei Lichtenau in Deutschland beerdigt worden waren und auf einen Zeitraum von 997 bis 1162 unserer Zeitrechnung datiert werden konnten. Das Team um Warinner nutzte Ultraschall in extrem reinem Wasser, um die Partikel aus dem Zahnstein zu lösen.

Die Verteilung ließ darauf schließen, dass die Partikel nicht nur während eines einzigen Ereignisses in den Zahnbelag gelangten, sondern über einen längeren Zeitraum. Genauere Analysen der blauen Teilchen bestätigten, dass es sich um Lapislazuli-Pigment handelte.

Hübscher Zahnstein: Mikroskopische Aufnahme der Lapislazuli-Partikel.
Foto: Monica Tromp

Ordensfrau als Künstlerin?

Bei der Frau könnte es sich somit um eine Schreiberin oder Illustratorin gehandelt haben, oder um eine Gehilfin, die die Materialien vorbereitete. Im letzteren Fall wäre die ausführende Illustratorin aber wahrscheinlich auch eine Frau gewesen, vermuten die Forscher, denn Ordensfrauen arbeiteten wohl nicht mit Männern zusammen. Andere Gründe für die Einschlüsse im Zahnstein, etwa dass die Frau Lapislazuli aus medizinischen Gründen einnahm, ließen sich zwar nicht ganz ausschließen, seien aber sehr unwahrscheinlich, schreiben die Wissenschafter.

Mit ihrer Studie zeigen Warinner und ihre Kollegen auch, dass sich Analysen von Partikeln im Zahnstein möglicherweise eignen, um Schreiberinnen und Illustratorinnen zu identifizieren. Damit ließe sich die Rolle von Frauen in der Produktion kostbarer Schriften im Mittelalter beleuchten.

Grundmauern der Klosterkirche von Dalheim.

Foto: Christina Warinner

Unbekannte Meister

Die Identität der Menschen, die die kostbaren Manuskripte handschriftlich kopierten und aufwendig illustrierten, ist in vielen Fällen ein Rätsel. Vor dem 15. Jahrhundert versahen die Verantwortlichen ihre Werke nämlich nur selten mit ihrem Namen. Selbst unter den Büchern in Nonnen-Klöstern tragen weniger als 15 Prozent weibliche Namen. Vor dem 12. Jahrhundert gibt es in weniger als einem Prozent der Bücher Hinweise auf die Illustratoren. Man nahm lange an, dass eher Mönche als Nonnen die Buchproduktion im Mittelalter übernahmen.

Mit neueren Forschungsergebnissen mehren sich jedoch die Hinweise, dass Ordensfrauen durchaus eine aktive Rolle in der Produktion wertvoller Bücher spielten, vor allem in Deutschland und Österreich. Aufgrund der begrenzten Zahl an Büchern, die die Zeit überdauert haben, sowie der bruchstückhaften Dokumentation von Nonnenklöstern, ist es jedoch schwierig, ein genaues Bild über die Rolle der Schreiberinnen und Illustratorinnen zu gewinnen. Analysen von Einschlüssen im Zahnstein könnten helfen, ein klareres Bild darüber zu gewinnen, hoffen die Wissenschafter. (red, APA, 13.1.2018)