Bewerbungstag in einer Welt der grauen Bürolemuren:
Sandro Panseri in Ermanno Olmis "Il Posto".

Foto: Filmmuseum

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Marcello Mastroianni in Federico Fellinis "La dolce vita"

Foto: Reuters

Einer wurde zum Inbegriff eines europäischen Kunstkinos, das mit Sozialkritik ebenso wie mit schrillen Schauwerten aufwarten konnte. Er gehört zu den wenigen, dessen stilistische Extravaganz mit einem eigenen Adjektiv geadelt wurde: "fellinesk". Das Werk des 1993 verstorbenen Federico Fellini ist jedoch mannigfaltiger, als es solche Attribute vermuten lassen. Der Blick auf die drallen Frauen und fantastischen Hirngespinste vernebelt ein wenig die Historizität seines Schaffens. Mehrmals hat er sich neu ausgerichtet.

Der andere, Ermanno Olmi, 1931 geboren, erscheint wie die Antithese zu seinem Landsmann. Statt Ausschweifung und Überhöhung herrscht bei ihm Konzentration und Zurückhaltung vor. Ein Kind des Nordens, begann Olmi beim Energieunternehmen Edison-Volta zu arbeiten, wo er erste Kurzfilme realisieren konnte. Viele seiner Filme verblieben in der Lombardei, und wiederholt befasst er sich damit, wie die Industrialisierung dort den Bauernstand überrollte.

Zuerst der Wein, dann das Schwein

In L’albero degli zoccoli (Der Holzschuhbaum, 1978), für den er die Goldene Palme in Cannes bekam, ging Olmi zwei Schritte zurück. Basierend auf den Erzählungen seiner Großmutter lässt er in diesem mit richtigen Bauern gedrehten Opus magnum noch einmal die versunkene Welt auf einem Gutshof an der Schwelle zum 20. Jahrhundert auferstehen. "Im Herbst machen wir den Wein, im Winter schlachten wir das Schwein" – zyklisch wie solche Verse ist auch der Verlauf des Films, der sich der Lebensweise der Bauern auf geradezu magische Weise anverwandelt.

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Olmi verschweigt die Klassenunterschiede der Ära nicht, liebäugelt aber nicht mit dem Zeitgeist, indem er seinen mit Volkskultur durchdrungene Darstellung mit einem Drama des Aufbegehrens verfälschte. Die progressive Kritik hat das dem katholischen Regisseur durchaus spüren lassen. Das eint ihn interessanterweise wieder mit Fellini, auf dessen säkular-christlichen Motive wie die Suche nach Erlösung (etwa in Filmen wie La Strada oder Il Bidone, 1954 bzw. 1955) damals ablehnend reagiert wurde.

Die Entscheidung des Filmmuseums, beide Regisseure in einer Schau zu bündeln, erscheint besonders aus dieser Perspektive sinnvoll: Olmi und Fellini beginnen mit dem vom Neorealismus geprägten Verständnis vom Menschen als Produkt seiner Umwelt. Das wird bald zu eng. Fellini interessiert sich auch für die Subjektivität seiner Figuren, fürs Unbewusste – Filme wie La città della donne (Stadt der Frauen), in dem ein irritierter Marcello Mastroianni durch das Reich der Weiblichkeit gehetzt wird, scheinen in Zeiten von MeToo einer Relektüre würdig.

Olmi arbeitete dagegen beharrlich daran, die Risse in Systemen zu studieren, die schon dem jungen Domenico in der Bürowelt von Il Posto (Der Job, 1961) das Leben verdrießen. Im späten Il villagio di cartone (2011) weigert sich ein Priester (Michael Lonsdale), den Ort der aufgelassenen Kirche zu verlassen, weil er in Flüchtenden neue Schützlinge bekommen hat. Wenn Wohltätigkeit wieder ein Risiko ist, sagt er, ist es gerade notwendig, diese anzubieten.
(Dominik Kamalzadeh, 11. 1. 2019)