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Vier Frauen wurden seit Jahresbeginn brutal aus dem Leben gerissen. Dass diese Taten innerhalb nur weniger Tage verübt wurden und die mutmaßlichen Täter allesamt Männer waren, wirft die Frage auf, ob es sich um Auswüchse einer strukturellen Entwicklung handelt. Einige Zahlen, die das zu beantworten versuchten, machten in den vergangenen Tagen die Runde – oftmals waren sie aber aus dem Zusammenhang gerissen oder beanspruchten für sich, die eine Mordopferstatistik abzubilden. Dass es die nicht gibt, zeigt schon die erste Anlaufstelle: der polizeiliche Kriminalitätsbericht.

Die jährlich erscheinende Anzeigenstatistik umfasst nach Paragraf 75 des Strafgesetzbuches ("Mord") beim Geschlechterverhältnis nicht nur die Zahl der getöteten Personen, sondern auch der Überlebenden von Mordversuchen. Begründbar ist das mit der Tatsache, dass sich der Täter eines Vorsatzdeliktes durch einen Versuch in gleicher Weise strafbar macht wie durch die Deliktvollendung. (Überlebt das Opfer, so kann die Nichtvollendung höchstens als Milderungsumstand gewertet werden.)

Nach dieser Berechnung lag der Frauenanteil in den vergangenen Jahren relativ konstant zwischen 33 und 42 Prozent.

Einen höheren Anteil weiblicher Opfer registrierte die Polizei bei den über 64-Jährigen. Das dürfte zumindest teilweise der höheren weiblichen Lebenserwartung und dem daraus erwachsenden höheren Frauenanteil in diesem Alterssegment der Gesamtbevölkerung geschuldet sein.

Jede Analyse des Kriminalitätsberichts hat jedoch die Unschärfe, dass die Polizei Delikte unabhängig von der gerichtlichen Aufarbeitung und rechtskräftigen Urteilen einordnet. So scheinen in den Kriminalitätsberichten 2013 bis 2017 in Summe nur zwei Fälle von Totschlag auf, die Gerichte entschieden im selben Zeitraum allerdings in zwölf Fällen nicht auf Mord, sondern auf Totschlag.

Eurostat misst die Todesursachen der Opfer

Einen erweiterten Zugang, um die Opfer von Tötungsdelikten zu zählen, wählt Eurostat mit dem Begriff der "Sterbeziffer aufgrund von Mord und Totschlag" ("death rate due to homicide"). Die Kalkulation der EU-Behörde gründet auf den nationalen Todesursachenstatistiken und berücksichtigt auch Delikte mit tödlichem Ausgang, deren Qualifikationsmerkmale nicht den Tatbestand des Mordes erfüllen müssen.

In Österreich fällt darunter auch Totschlag; welche Delikte in den anderen Mitgliedstaaten einbezogen werden, hängt von ihren teils stark variierenden Strafrechtssystemen ab. Das erschwert die Vergleichbarkeit genauso wie die von Land zu Land abweichende Autopsiepraxis: In Staaten, in denen Todesfälle auch nur beim kleinsten Zweifel von Gerichtsmedizinern untersucht werden, sollten Fälle mit Fremdeinwirkung eher erkannt werden als in Staaten mit nachlässiger Obduktionsdisziplin.

Für Österreich verschiebt sich die Geschlechterrelation bei dieser Zählung zuungunsten der Frauen, sodass sich bei langjähriger Betrachtung ein etwa ausgeglichenes Verhältnis mit sporadischen Ausreißern in beide Richtungen ergibt.

Diese Ausreißer zeigen beispielhaft, dass Häufungen in einzelnen Jahren – oder gar Monaten oder Wochen – keine gesicherte Auskunft über langfristige gesellschaftliche Entwicklungen geben können: So wurden 2010 eineinhalbmal so viele Frauen Opfer tödlicher Gewalt wie Männer, während sich im Folgejahr das Verhältnis umkehrte und eineinhalbmal so viele Männer wie Frauen durch fremde Hand starben.

Foto: kripo.at

Auch 2015 – im derzeit jüngsten Erhebungsjahr – gab es wieder um knapp 50 Prozent mehr weibliche Opfer. Die Auswertung dieses einen Jahres setzte das Polizeimagazin "kripo.at" vergangenen November vor dem Titelfoto eines zur blutverschmierten Frauenleiche geschminkten Models auf ihr Cover. Darauf berufen sich nun viele Medien und Politiker, wenn sie von "Österreichs EU-Rekord bei Morden an Frauen" sprechen.

Wie sich die Zahlen gemessen mit der Rest-EU seit 2015 entwickelt haben, lässt sich mangels jüngerer Vergleichsdaten freilich nicht sagen.

Rate an weiblichen Opfern im EU-Schnitt

Und was verraten die Zahlen im internationalen Vergleich bis dahin? Die Rate getöteter Frauen je 100.000 Einwohner wich in Österreich seit Anfang des Jahrhunderts kaum vom konstant sinkenden Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten ab.

Anders sieht die Entwicklung bei den getöteten Männern aus. Die Österreich-Rate sank zwar ebenfalls im ungefähren Gleichschritt mit dem EU-weiten Trend – allerdings auf etwa halbem Niveau. Im kontinentalen Vergleich wurden demnach nicht überdurchschnittlich viele Frauen getötet, sondern unterdurchschnittlich viele Männer.

Aus dem Mittelwert ergeben sich für 2015 österreichweit 0,57 Todesopfer je 100.000 Einwohner durch vorsätzliche Gewalt. EU-weit lag diese Rate nur in Deutschland, Frankreich, Irland und dem Vereinigten Königreich darunter.

Über neuere Zahlen zur international vergleichbaren Messung von Tötungsdelikten verfügt Eurostat lediglich beim Kennwert der polizeilich registrierten Fälle. Ungeachtet der Geschlechterkategorisierung und abseits bereits erwähnter Unschärfen durch die Zählweise der Exekutive ist "neuer" auch hier relativ: Sie reichen bis 2016. Für dieses Jahr wird nur Slowenien eine geringere Tötungsrate als Österreich ausgewiesen.

Weniger Interpretationsspielraum gibt es dagegen bei der Geschlechterzuordnung nach Tätern. Dafür liegen die Zahlen rechtskräftiger Verurteilungen seit 1976 vor, die bei Morden im langjährigen Schnitt einen 90-prozentigen Männeranteil zeigen. Lediglich ab den 1990er-Jahren stieg der Anteil der Täterinnen leicht an.

Dasselbe Diagramm aufgeschlüsselt nach Staatsangehörigkeit zeigt seit etwa 25 Jahren einen konstanten Zuwachs bei nichtösterreichischen Tätern. Der historisch höchste Ausländeranteil wurde 2013 mit 55 Prozent gemessen; 2017 waren es 36 Prozent.

Doch nicht nur der Ausländeranteil der Täter, sondern auch jener der Opfer stieg zuletzt an – sogar in ähnlicher Weise. Diese nahezu parallele Entwicklung spricht dafür, dass Morde häufig innerhalb der eigenen soziodemografischen Gruppen verübt werden.

Mehr noch: Morde finden in Österreich vorrangig im engsten Umfeld statt. Zwei Drittel bis drei Viertel der Täter und Opfer waren vor der Tat einander bekannt oder miteinander verwandt.

Das könnte eine Erklärung für den im EU-Vergleich höheren Frauenanteil sein: Frauen werden eher von ihnen bekannten Männern getötet, Männer in höherem Maß auch von ihnen unbekannten Männern.

Über die vier Fälle getöteter Frauen in nur zwei Wochen, die Anlass für die Debatte über Femizide waren, können die heute verfügbaren Kriminalitätsstatistiken natürlich noch keine Aussagen treffen. Seriöse Einordnungen werden erst möglich sein, wenn sich diese Intervalle entweder in ähnlicher Weise fortsetzen oder sich als zeitlich gedrängte Häufungen offenbaren, die sich im großen Bild wieder nivellieren. (Michael Matzenberger, 19.1.2019)