Was zeitgemäße Lerninhalte sind, wenn man jede Wissenslücke durch schnelles Googeln schließen kann, beantwortet Thomas Kerstan in seinem Buch.

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Goethes Faust und Integralrechnungen, die Jahreszahlen der Französischen Revolution und die Molekülformel von Wasser. Daran mag sich fast jeder – zumindest dunkel – aus seiner Schulzeit erinnern.

Was sollten Jugendliche heute wissen, wenn sie von der Schule in die Ausbildung, an die Uni, in die Arbeitswelt, ins Leben wechseln? Und was sind zeitgemäße Lerninhalte, wenn man jede Wissenslücke durch schnelles Googeln schließen kann?

Thomas Kerstan ist langjähriger Bildungsredakteur der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" und findet es einen "gängigen Irrglauben, dass in Zeiten von Google das Wissen weniger wichtig sei als früher", wie er in seinem aktuellen Buch "Was unsere Kinder wissen müssen" schreibt. "Wie soll denn jemand, der nichts von der Französischen Revolution weiß, danach googeln, wer sie anführte?" Wer ein breites Allgemeinwissen habe, könne in der heutigen Informationsflut Wichtiges von Unwichtigem trennen, Erkenntnisse einordnen und hinterfragen.

Klassiker und Aktuelles

Für sein Buch hat er hundert Werke, die aus seiner Sicht im 21. Jahrhundert relevant sind, zusammengetragen. In der kommentierten Liste ("Darum geht es" und "Warum man es kennen muss") finden sich Klassiker der Hochkultur wie die "Mona Lisa", "Faust", "die Blechtrommel", die Oper "Zauberflöte" oder Kants "Idee der Aufklärung". Interessanter, weil überraschender, ist allerdings Kerstans Fokus auf Werke wie das Lied "All you need is Love" der "Beatles", Alfred Hitchcocks "Psycho", "Star Wars", George Orwells "1984", "Harry Potter" oder Werke, die den Zeitgeist widerspiegeln. Etwa "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" von Alice Schwarzer, die "Geschichte des Islam" von Gudrun Krämer, der Film "Die Silicon Valley Revolution" oder das Computerspiel "Minecraft".

Zudem sei es in Zeiten der Digitalisierung wichtig, digitale Medien im Unterricht einzusezten und Programmiersprachen zu lehren, darüber hinaus sollten Schüler etwa mit dem Buch "Total Berechenbar?" über die Macht von Algorithmen aufgeklärt werden. Auch das deutsche Grundgesetz, die Brennstoffzelle und die Wahrscheinlichkeitsrechnung zählt Kerstan zu seinem Kanon der Allgemeinbildung.

Wissen auf dem Prüfstand

Dieses Faktenwissen helfe nicht nur im richtigen Umgang mit Google, sondern sei vielmehr die Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens. "Als Gesellschaft im Wandel brauchen wir einen gemeinsamen Bezugsrahmen für den so dringend nötigen Diskurs untereinander." Der Kanon ist für Kerstan ein Mittel, einander besser verstehen zu können. In einer globalisierten Welt sieht er ihn auch als Orientierungshilfe: So müsste man sich als Einwanderungsland wie Deutschland mit der Kultur der Zuwanderer auseinandersetzen, gleichzeitig erführen diese so die Kultur ihrer neuen Heimat.

Nicht nur Schülern und Lehrern ist das Buch zu empfehlen, denn bei der Lektüre kann jeder sein Wissen auf den Prüfstand stellen – und erweitern. (set, 17.1.2019)