Im Strand wollen sie nicht, dass sie unter Denkmalschutz gestellt werden. Ein entsprechendes Protestplakat am Eingang der Buchhandlung

Foto: Frank Herrmann

Das Zeichen des Widerstands ist nicht zu übersehen. Sie haben es gleich am Eingang platziert, neben den Regalen, in denen unter roten Markisen die Ein-Dollar-Bücher stehen: "Protect the Strand!", "Schützt The Strand!", ist in Großbuchstaben auf dem Protestplakat zu lesen. Darunter, kurz und herausfordernd: "Wir sind schon ein Wahrzeichen." Man müsse nicht erst zu einem erklärt werden, hat Nancy Bass Wyden, Besitzerin des Strand, neulich angemerkt. Da tagte die Landmarks Commission, die Behörde, die darüber entscheidet, ob ein Gebäude in New York unter Denkmalschutz gestellt wird. Nach deren Willen soll auch Strand Schutzstatus erhalten. Eine Buchhandlung in Greenwich Village, angesiedelt in einem Elfstöcker, der 1902 errichtet wurde, im selben Jahr wie das berühmte Flatiron Building mit seiner markanten Bügeleisenform. Es war die Zeit, als man in Manhattan in großem Stil begann, Hochhäuser zu bauen, im Grunde Stahlskelette mit Steinfassade. Und weil es in der Geschichte New Yorks so ein Meilenstein war, möchten sie im Rathaus gern unverändert bewahren, was daran erinnert. Auch The Strand, Broadway Nr. 826, seit gut 20 Jahren im Besitz der Familie Bass.

Dass sie nichts von der Idee hält, hat Nancy Bass Wyden, Buchhändlerin in dritter Generation, bei einem Bürgerforum mit den Nöten ihrer Branche begründet. Man arbeite schon mit derart geringen Gewinnspannen, argumentierte sie, dass man sich eine zusätzliche Bürde nicht leisten könne. Wäre man erst ein amtlich deklariertes Wahrzeichen, brauchte man für jede noch so kleine Änderung eine Genehmigung, was Zeit und Aufwand koste. Die Erbin würde The Strand gern um ein Café bereichern, wie es auch andere Buchhandlungen tun, um ihr Überleben zu sichern. Dazu möchte sie irgendwann eine separate Eingangstür einbauen lassen. Die Landmarks Commission könnte ihr einen Strich durch die Rechnung machen. Deshalb das Protestposter neben den Ein-Dollar-Büchern. Jeff Bezos, der reichste Mann Amerikas, sagt Nancy Bass, kassiere drei Milliarden Dollar an Subventionen: dafür, dass er das zweite Hauptquartier von Amazon in New York ansiedle, in Long Island City, am Ostufer des East River. "Ich will keine Staatssubventionen, keinen Steuernachlass. Ich will einfach nur in Ruhe gelassen werden."

Wer im Strand das Buch, das er suche, nicht finde, der werde es wahrscheinlich nirgends finden, hat Fred Bass, Nancys vor einem Jahr verstorbener Vater, Reklame für seinen Laden gemacht. "18 Miles of Books" lautet ein Werbespruch. Reihte man alles aneinander, was in den Regalen steht, ergäbe es eine Kette von 18 Meilen, was knapp 29 Kilometern entspricht. Wie auch immer sie auf die Zahl kommen, es ist unmöglich, auf drei Etagen voller Bücher den Überblick zu behalten. Im dritten Stock, unter Glas, die seltenen Exemplare: Andy Warhol's Exposures, in limitierter Edition, für 2500 Dollar, um nur ein Beispiel zu nennen. Im Parterre steht auf einem gelben Zettel über den Bestsellern: "Ein Leser lebt tausende Leben, bevor er stirbt. Wer nichts liest, lebt nur eines." Der Spruch stammt von George R. R. Martin, auf dessen Büchern die Serie Game of Thrones beruht.

The Strand, eine traditionsreiche Buchhandlung in der Nähe des Union Square in Manhattan
Foto: Frank Herrmann

The Strand, schwärmt die Schriftstellerin Fran Lebowitz, sei ein Denkmal der Unsterblichkeit des geschriebenen Worts. Gary Shteyngart spricht von dem Ort, den er aufsuchte, um zur Literatur zu pilgern und von ihr zu lernen. Als er jung und knapp bei Kasse gewesen sei, habe er im Strand Bücher zu enormen Rabatten gekauft: "Diese Bücher haben aus mir einen Schriftsteller gemacht." Der Dichter Charles Simic, geboren in Belgrad, seit 1958 New Yorker, beschrieb einmal bei einer der vielen Diskussionsrunden im Strand voll spitzer Ironie den sauertöpfischen Mann, dessen Aufgabe es war, gebrauchte Ware zu beurteilen, bevor man sie kaufte – oder auch nicht. Der sich, so Simic, "nie ein Lächeln abringen konnte und sich strikt darauf beschränkte, dir den Preis zu nennen". Den Sauertopf sucht man vergebens, geblieben ist ein knallrotes Transparent mit der Aufschrift "Sell your books here", unter dem freundliche Menschen begutachten, was ihnen zum Kauf angeboten wird. Mit Secondhandware begründete The Strand seinen Ruf.

An der Book Row

Die Geschichte beginnt 1927, zwei Jahre vor dem Börsencrash an der Wall Street, der die USA ins Krisental der Großen Depression stürzt. In Greenwich Village beginnt Benjamin Bass, eingewandert aus Litauen, mit Büchern zu handeln. An der Book Row, einem Abschnitt der Fourth Avenue zwischen 14th Street und Astor Place in Manhattan, gab es damals an die fünfzig solcher Läden. Bass investiert dreihundert Dollar seines Ersparten, leiht sich weitere dreihundert von einem Freund und gründet The Strand Book Store, benannt nach einer Londoner Prachtstraße. Es läuft gut, 1956 verlegt Bass sein Geschäft in das heutige Domizil. 1996 kauft Benjamins Sohn Fred das Haus, in weiser Voraussicht, um nicht immer höhere Ladenmieten zahlen zu müssen. "Es war die Rettung", sagt Nancy Bass Wyden: "Andernfalls gäbe es uns heute nicht mehr." Das Phänomen ist: The Strand ist unabhängig. Nicht Teil einer Kette. Bisher hat es bestanden im Kampf gegen den Onlineriesen Amazon, was bemerkenswert ist, weil Amerika keine Buchpreisbindung kennt, sodass Amazon die Konkurrenz oft unterbieten kann. Und während den alten Schwergewichten der Branche, Ketten wie Barnes & Noble, der Atem ausgeht, schlagen sich die Unabhängigen wacker.

The Strand. Ein Labyrinth aus Büchern
Foto: Frank Herrmann

In Washington erfreut sich Politics & Prose, 2011 von einem Journalistenehepaar übernommen, das die Branche wechselte, so großer Beliebtheit, dass man mittlerweile drei Läden betreibt: den ursprünglichen und dazu zwei neue. Jonathan Franzen, Jeffrey Eugenides, Salman Rushdie: Wer in Amerika einen Roman geschrieben hat, liest in aller Regel auch im Politics & Prose daraus vor, einer Institution. Busboy and Poets, 2005 von einem Iraker namens Andy Shallal gegründet, kombiniert Buchhandlungen mit Restaurants. Dann wäre da noch Jim Toole, ein Washingtoner Original, der vor wenigen Monaten, im Alter von 81 Jahren, seinen Capitol Hill Bookshop einer Gruppe von Mitarbeitern und besonders treuen Kunden vermachte. Einst Admiral der Navy, trägt er gern eine Mütze mit der Aufschrift "River Division 53", eine Erinnerung an seine Zeit in Vietnam. Toole kann wunderbar sarkastisch sein. Bei ihm mit Büchern aufzukreuzen, die im eigenen Regal keinen Platz mehr hatten, war ein Vergnügen. Einmal kam ich mit The Prince of the City, einer Biografie Rudy Giulianis, der am 11. September 2001 New Yorks nervenstarker Bürgermeister war, später bei Donald Trump anheuerte und den Mann heute auf mitunter skurrile Weise in Fernsehstudios verteidigt. "Hätte aufhören sollen", knurrte Jim Toole, als er das Buch auf den Stapel der unverkäuflichen legte. "Hätte loslassen sollen, als er noch Würde hatte."

Berl’s Poetry Shop, eine auf Poesie spezialisierte Buchhandlung in Brooklyn. Bei der Lesung des "Tscheburaschka-Kollektivs": die Poesie der sowjetischen Diaspora
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Zurück in New York: Berl's Poetry Shop, die Nische schlechthin. Draußen rattern U-Bahn-Züge über die Manhattan Bridge, wobei der Lärm nichts daran ändert, dass dies eines der angesagtesten Viertel von Brooklyn ist, dem Stadtteil, der lange die biedere Schwester der glamourösen Wolkenkratzerinsel Manhattan war, nun aber längst aus deren Schatten herausgetreten ist. Dumbo heißt das Viertel, Down Under the Manhattan Bridge Overpass, was allerdings kein Mensch sagt. Boutiquen, Lofts in alten Lagerhäusern, dahinter der East River. Ein teures Pflaster. Ausgerechnet in Dumbo haben Jared White und Farrah Field, beide Poeten, 2013 eine auf Poesie spezialisierte Buchhandlung gegründet, nachdem sie jahrelang auf Flohmärkten Gedichtbände aus kleinen Verlagen angeboten hatten. Ihr Name geht auf Whites unternehmerisch begabten Großvater zurück – dessen Spitzname war Berl.

Russische Antwort auf Mickey Mouse

An einem regnerischen Winterabend dreht sich dort alles um Tscheburaschka, eine Figur aus einem russischen Kinderfilm. Auf die Kante eines Sofas hat jemand ein Plüschtier gesetzt, halb Äffchen, halb Kobold, so genau lässt es sich nicht definieren, jedenfalls ausgestattet mit übergroßen Ohren, Kulleraugen und scharfen Krallen. Tscheburaschka, eine Trickfilmfigur, 1965 von Eduard Uspenski erschaffen und die Antwort der Sowjetunion auf Mickey Mouse. Im Poetry Shop dient das Fabelwesen an diesem Abend als Klammer. Eingeladen ist das "Tscheburaschka-Kollektiv", um, so wörtlich, die Poesie der sowjetischen Diaspora zu präsentieren: Gedichte und Erzählungen aus Migrantenperspektive.

Die sowjetische Diaspora, das sind Frauen, von denen die meisten noch nicht einmal im Schulalter waren, als sie mit ihren Familien auswanderten. Karina Vahitova, geboren in Kiew, schildert den Konflikt mit ihrer konservativen Mutter, der sich in der neuen Heimat mit voller Wucht entlädt. Die Mutter entdeckt das Video einer Performance, bei der ihre Tochter so gut wie unbekleidet auftritt. "Sie rief an, um zu sagen, dass sie mich nicht in dieses Land gebracht hat, damit ich eine nackte, lesbische, feministische Hure werde." Luisa Muradyan kam im Alter von vier Jahren aus Odessa in die USA. Nach Kansas City am Missouri. Heute schreibt sie in Texas, an der University of Houston, ihre Doktorarbeit. "Wir waren Kosmonauten", beginnt sie mit der Titelzeile eines ihrer Gedichte und beschreibt, wie sie im Abschiedsschmerz, vor dem Aufbruch nach Amerika, auf diesen gewissermaßen fremden Planeten, die einzigen Wörter herausheulte, die sie damals auf Englisch kannte. "Oh God! Oh Pepsi! Oh Cheerios! – Oh America!" (Frank Herrmann, 12.1.2019)