In Australien schoss Wim Wenders 1978 das Foto "Dusk in Coober Pedy".

Foto: Wim Wenders

Filmemacher und Fotograf: Wim Wenders.

Foto: APA

"Self Portrait with Mickey Mouse T-shirt", 1973.

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"Annie Leibovitz", 1973.

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"Airplane in Monument Valley", 1977.

Foto: Wim Wenders

"Paris Brasserie", 1980.

Foto: Wim Wenders

Er habe zwei Berufe, sagt Wim Wenders. Als Regisseur hat sich der 73-Jährige mit Filmen wie Paris, Texas (1984) oder Der Himmel über Berlin (1987) ins cineastische Gedächtnis eingeschrieben. Mit dem Fotografieren hat Wenders allerdings schon viel früher angefangen. Seine erste Kamera bekam er im Alter von sechs Jahren. Dass er einmal Ausstellungen machen würde, hatte er lange nicht im Sinn.

Auch nicht, als er 18-jährig begann, mit der Kamera durch die Welt zu reisen. Frühe Fotografien von diesen Touren zeigt das Filmarchiv Austria im Wiener Metro-Kinokulturhaus derzeit unter dem Titel Weltreisender. Sie führten Wenders unter anderem nach Australien und Amerika, nach Island, Bali und Algerien.

STANDARD: Machen Handykameras den Akt einfacher oder kaputt?

Wenders: Ich kann Ihnen mein Handy zeigen. Da sind 8645 Bilder drauf und das erst seit vorigem Jahr. Das ist ganz schön viel.

STANDARD: Was fotografieren Sie damit?

Wenders: Ich nenne das nicht Fotografie, sondern ein Notizbuch. Für den Film Submergence haben wir etwa in Dschibuti gedreht. Beim Anflug habe ich das Handy aus dem Flugzeugfenster rausgereckt, weil ich dachte, das ist so schön.

STANDARD: Wie waren die Bilder im Vergleich zu den Filmbildern?

Wenders: Dreimal haben wir versucht, solche Bilder mit der Filmkamera zu kriegen, aber es hat nicht mehr geklappt. Da habe ich beim Schnitt gesagt, ich habe es doch hier auf meinem Handy. Das Video haben wir dann genommen und ein bisschen bearbeitet. Niemand merkt jetzt, dass das aus meinem Handy kommt.

STANDARD: Schöne neue Technikwelt!

Wenders: Man musste sich früher auf eine andere Art auf den kreativen Prozess einlassen und verlassen. Wir haben etwa beim Drehen das Material mitunter erst sechs Wochen später gesehen, weil es ins Kopierwerk musste. Dann gab es aber da, wo wir gedreht haben, oft nur abgeschrammelte Kinos. Wenn wir versucht haben, die Muster dort anzusehen, dachten wir, um Himmels willen, was haben wir da für einen Scheiß gedreht. Irgendwann haben wir keine Muster mehr gekuckt. Anders war's nicht möglich. Man konnte eine Szene zweimal machen, wenn's hochkam dreimal. Heute kannst du so oft drehen, wie du willst. Die Cutter haben heute gar nicht die Zeit, das ganze Material zu sichten. Die gehen automatisch auf den letzten Take, weil sie sagen, das muss der beste gewesen sein, denn da habt ihr ja aufgehört! Das macht mich oft wahnsinnig.

STANDARD: Wie sind Sie gereist? Die frühesten Fotos der Schau sind von 1963, da waren Sie 18 Jahre ...

Wenders: Immer allein. Ich kann nur fotografieren, wenn ich allein bin. Das ist bis heute so. Ich habe auch kein großes Equipment, bei dem mir jemand schleppen helfen muss. Später bin ich auch viel mit dem Auto unterwegs gewesen. Bei meiner ersten Reise nach Frankreich aber bin ich in vier Wochen zu Fuß mit dem Rucksack die ganze bretonische Küste entlanggegangen. Davon habe ich aber nicht viele Fotos mitgebracht.

STANDARD: Warum?

Wenders: Damals habe ich noch vor allem gezeichnet. Das war für mich künstlerisch. Mein Problem war, dass ich mich für zu viel interessiert habe. Wenn ich überhaupt einen Wunsch hatte in meinem Leben, dann den, Maler zu werden. Fotografieren war dagegen etwas, das einfach Teil meines Lebens war. Alltag. Deshalb habe auch nie Abzüge gemacht.

STANDARD: Wann interessiert Sie ein Ort als Fotomotiv?

Wenders: Ich fotografiere ja nicht Landschaften mit Reklamen oder Tankstellen, weil ich ein Naturfotograf bin, sondern weil mich die Menschen interessieren. Orte können uns viel erzählen. Mich haben die Spuren interessiert, die übrig geblieben sind von Plänen und Hoffnungen. Deshalb habe ich verlassene, verfallene und vergessene Orte fotografiert. Durch den Akt des Fotografierens ist mir das alles präsenter geworden. Wenn man nur schaut, dann ist das vergänglich, dann vergisst man es auch wieder. Fotografieren war mir als Akt wichtig.

STANDARD: Heute geht jedes Foto gleich online. Wie finden Sie die Fotoplattform Instagram?

Wenders: Das Resultat ist heute so viel wichtiger geworden als das Fotografieren selbst. Wenn man uns vor 30 Jahren erzählt hätte, dass heute Kameras eine Linse nach vorne und eine nach hinten haben, hätten wir gedacht: Spinnt der? Warum soll eine Kamera da hinten fotografieren? Dass die Kamera einem nicht mehr nur dazu dient, die Welt einzufangen, sondern sich selbst, zeigt, dass Fotografie nicht mehr dasselbe ist.

STANDARD: Wie viele Filme sind vollkommen so geworden, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Wenders: Eigentlich nur die, die ohne Plan gemacht wurden. Ich hab bis in die 80er-Jahre vieles ohne Drehbuch machen können, auch Der Himmel über Berlin. Das geht heute nicht mehr. Da kriegt man keine Förderung, alle halten einen für verrückt.

STANDARD: Mit Netflix und Amazon sind neue Player am Markt, die Filme finanzieren, die in Hollywood nicht stattgefunden hätten. Würden Sie auch für Netflix drehen?

Wenders: Sicher. Autorenkino gibt es im Moment einfach nur noch da. Netflix mischt sich wenig ein, die Regisseure haben automatisch Final Cut. Dazu sind nicht 20 Dramaturgen an jedem Film beteiligt. Das ist ein viel freieres Arbeiten, als es einem heutzutage die Studios erlauben. Das Problem ist ein anderes.

STANDARD: Welches?

Wenders: Der Verlust des Kinos als Aufführort ist schon eine heftige Pille. Die Vorführungen, die diese Filme manchmal kriegen, sind ja dazu da, um Aufmerksamkeit zu generieren. Eigentlich interessiert Netflix und Amazon die Leinwand gar nicht. Die produzieren ja für ein Publikum, das eigentlich gar nicht ins Kino gehen will. Die Leute sehen diese Filme am Fernsehbildschirm oder iPad oder Smartphone – dafür finde ich die Mühe von guten Autoren und Schauspielern zu groß. Aber vielleicht ist das Kino als Kulturform ja demnächst beendet.

STANDARD: Wohin reisen Sie denn ohne Kamera, nur zum Spaß als Tourist?

Wenders: Ich bin dafür nicht geeignet. Ich kann keine Ferien machen oder irgendwo am Strand liegen. Mein idealer Urlaub ist, mit einer Kamera wohin zu fahren, wo ich mich nicht auskenne.

STANDARD: Sie schauen sich auf Tripadvisor also keine Ratings zu Sehenswürdigkeiten an?

Wenders: Das Gegenteil ist der Fall. Selbst wenn man irgendwohin kommt, wo man sich nicht auskennt – bloß nicht die Einheimischen fragen, wo hier etwas Interessantes ist. Dann macht man nie ein Foto. Oder wenn man sie fragt, und sie sagen, du musst jetzt da vorne hingehen, dann geh sofort in die entgegengesetzte Richtung. (Michael Wurmitzer, 12.1.2019)