Sozialstadtrat Peter Hacker und die Vorsitzende der Wiener Grünen, Sozialsprecherin Birgit Hebein bei einer Pressekonferenz zur Mindestsicherung der Bundesregierung.

Foto: Matthias Cremer

Das Sozialhilfegesetz, das die Mindestsicherung neu regelt, ist ein unbeabsichtigtes Geschenk der türkis-blauen Bundesregierung an das rot-grüne Wien. Auch im Hinblick auf die Regierungsklausur war das Regierungsmarketing hier nicht ganz so ideal wie sonst.

Zunächst einmal durch das Timing: Dass die Begutachtungsfrist just am Donnerstag vor der Klausur in Mauerbach endete, war für den Wiener Sozialstadtrat Peter Hacker ein Elfer, den er als SPÖ-Politiker verwerten musste. Mit seinem Nein zur Umsetzung der Mindestsicherung setzte er, mitten in die Positivbotschaften der Regierung zur Steuerreform, einen unangenehmen Stachel. Bürgermeister Michael Ludwig legte nach: Hier stehe das rot-grüne Wien, in dem soziale Kälte keinen Platz habe – dort die rücksichtslose Bundesregierung, der die Menschen da draußen egal seien, suggeriert Ludwig.

Bundeskanzler Sebastian Kurz reagierte entsprechend scharf und auch ungewohnt flapsig, indem er "immer mehr" Wienerinnen und Wiener als verschlafen, faul und arbeitsscheu hinstellte. Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache präzisierte dann: Die Wiener betrieben mit ihrer Weigerung ein "Förderprogramm für tschetschenische Großfamilien". Nicht die autochthonen Wiener, sondern die "Ausländer" sind demnach faul.

Schicksalswahl für die SPÖ

Der Kampf um Wien ist hiermit eröffnet – recht früh im Übrigen. Erst im Herbst 2020 steht planmäßig die nächste Wien-Wahl an. Vor allem für die SPÖ wird das eine Schicksalswahl: Gelingt es Ludwig, den Bürgermeistersessel zu verteidigen und eine türkis-blaue Koalition in Wien zu verhindern? Das ist keineswegs sicher.

Zwar lebt in Wien eine kritische Masse an Wählerinnen und Wählern, die Kürzungen im Sozialbereich kritisch sehen, auch wenn sie selbst nicht davon betroffen sind. Diese Wählerschicht findet es gut, wenn Wien hier ein politisches Gegengewicht zum Bund bietet.

Andererseits ist das Bild, das die Regierung Kurz bietet, keineswegs eindimensional: Denn einerseits wird die Mindestsicherung gekürzt, andererseits wurde gerade ein üppiger Familienbonus beschlossen, und bei der Steuerreform sollen vor allem kleine Einkommen entlastet werden. Dass der Konjunkturmotor gerade ziemlich rund läuft, hilft der Regierung obendrein dabei, Goodies zu verteilen.

Existierende Probleme

Dazu kommt, dass Strache und Kurz (wenn auch pauschalierend und zugespitzt) Probleme ansprechen, die existieren und sichtbar sind – die von der Wiener Stadtregierung aber jahrzehntelang kleingeredet wurden: Sprachprobleme an den Schulen, Bildungsdefizite bei Kindern aus sozial schwachen Schichten, daraus resultierend Perspektiv- und Arbeitslosigkeit. Lehrerinnen und Lehrer fühlen sich oft alleingelassen, und die schöne Geschichte vom sozialen Wohnbau, der Ghettobildung in Wien verhindere, stimmt so auch nicht ganz. Ghettos wie in Paris gibt es in Wien nicht, wohl aber geschlossene, wenig durchlässige Gemeinschaften von Zugezogenen.

Der neue Bürgermeister Michael Ludwig muss, wenn er dies bleiben möchte, wohl zweierlei tun: einerseits genau jene Probleme schonungslos (auch der eigenen Partei gegenüber) angreifen – und gleichzeitig zeigen, dass die Wiener SPÖ bessere (und sozialere) Reformideen hat als Türkis-Blau im Bund. Andererseits sollte Ludwig endlich sagen, wie seine Vision für ein modernes Wien aussieht. Bis jetzt war davon noch nicht viel zu sehen. (Petra Stuiber, 11.1.2019)