Als seine Großmutter vor fast hundert Jahren ins Land kam, hätte sie wohl nie gedacht, dass ihr Enkelsohn diese Worte sprechen würde: "Ich bin Kandidat für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika."

Foto: AFP/SUZANNE CORDEIRO

Neu auf der politischen Bühne ist Julián Castro nicht – auch wenn er mit seinem jungenhaften Gesicht an ein aufstrebendes Nachwuchstalent denken lässt. Ein aufstrebendes Talent war er bereits, als er 2012 auf dem Parteitag der Demokraten eine Grundsatzrede halten durfte, mit der er Barack Obama zur Wiederwahl empfahl. Schon damals wurde er als Hoffnungsträger gehandelt, als einer, der Obama womöglich sogar im Amt beerben würde. Daraus wurde nichts, weil mit Hillary Clinton eine scheinbar glasklare Favoritin ins Rennen ums Weiße Haus ging und Castro entschied, sich zurückzuhalten. Nun aber will er es wissen.

Als seine Großmutter vor fast hundert Jahren ins Land kam, sagte er in seiner Heimatstadt San Antonio, wo er seine Bewerbung am Wochenende verkündete, hätte sie sich wohl nie vorstellen können, dass der eine ihrer Enkelsöhne, sein Zwillingsbruder Joaquín, dereinst im Kongress in Washington sitzen und der andere diese Worte sprechen würde: "Ich bin Kandidat für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika." Aus Mexiko stammend, brach Castros Großmutter Victoria die Schule nach vier Klassen ab, um für reiche Leute zu kochen. Victorias Tochter schloss sich La Raza Unida an, der Bürgerrechtspartei der US-Bürger mexikanischer Abstammung. Rosies Sohn Julián studierte Politikwissenschaften in Stanford und Jus in Harvard. Mit 26 wurde er in die Gemeindeverwaltung San Antonios gewählt, mit 34 zum Bürgermeister der Stadt. Mit 39 zog er als jüngster Minister ins Kabinett Obamas ein, zuständig für Wohnungsbau und Stadtentwicklung.

Steile Karriere

Die steile Karriere beflügelt die Fantasie, zumal es in den Augen seiner Anhänger keine bessere Antwort auf den Präsidenten Trump gäbe als einen Präsidenten Castro: den ersten Latino im Oval Office.

Als seine erste Amtshandlung, erklärt der heute 44-Jährige, würde er Trumps Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen rückgängig machen. Zudem will er landesweit subventionierte Krippenplätze anbieten, wie er es bereits in San Antonio tat. Mit seiner Familiengeschichte hofft er, bei den Hispanics zu punkten, der am schnellsten wachsenden Wählergruppe der USA. Von den Frauen, in deren Obhut er aufwuchs, habe er eines gelernt, erzählte Castro schon bei seinem großen Auftritt im Sommer 2012. Das mit dem amerikanischen Traum sei kein Sprint und auch kein Marathon, sondern ein Staffellauf über Generationen hinweg. (Frank Herrmann aus Washington, 13.1.2019)