Wie kann man Lawinenwarnungen verbessern?

Unter anderem durch Zusammenarbeit. Schnee kennt keine Bundesländer- oder Staatsgrenzen. Also sollten jene Experten, die vor den einhergehenden Gefahren warnen, auch keine kennen. Deshalb ist man gerade dabei, Lawinenwarnungen über Grenzen hinweg einheitlicher zu gestalten und den Austausch von Know-how zu fördern. Mit dem Projekt "Albina" wird bereits ab der aktuellen Saison ein gemeinsames, mehrsprachiges Lawinenwarnsystem für die Region Tirol, Südtirol und Trentino umgesetzt – inklusive der regelmäßigen Veröffentlichung von Neuschneekarten für die gesamte Region.

Ein ähnlicher Vernetzungsprozess läuft gerade in der Steiermark, Kärnten und Slowenien. Während im Nordstau der Alpen derzeit große Schneemengen vorhanden sind, blieb diese Region bisher weitgehend schneefrei. Das ist natürlich nicht immer so. Arno Studeregger von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), einer Forschungseinrichtung des Wissenschaftsministeriums, kann sich durchaus an Situationen in den vergangenen Jahren erinnern, als auch hier Lawinenwarnstufe 5 herrschte. "Jeder Nutzer, jeder Tourengeher soll Informationen in der gleichen Qualität bekommen. Es soll zum Beispiel nicht so sein, dass in Kärnten Warnstufe 3, auf der anderen Seite der Grenze, in Slowenien, dagegen nur 2 ausgegeben wird", erklärt Studeregger.

Lawinenwarnschild am Pass Lueg
Foto: APA

Beispielsweise führe die jeweils unabhängige Beurteilung in manchen Fällen zu widersprüchlichen Einschätzungen in der Region um Selenitza. Im Projekt "Crossrisk", das im Rahmen des EU-Programms Interreg Slowenien-Österreich gefördert wird, arbeitet die ZAMG mit der FH Joanneum, den Ländern Steiermark und Kärnten, der Slowenischen Akademie der Wissenschaften, der Universität Maribor und dem slowenischen Umweltministerium zusammen. Einschlägige Kurse für Tourengeher und Experten werden veranstaltet. Gemeinsam soll auch hier ein länderübergreifender Lawinenlagebericht entstehen. Hier soll er in Deutsch, Englisch und Slowenisch zugänglich sein. Ob das Modell ähnlich wie in Tirol-Südtirol-Trentino aussehen wird, ist laut Studeregger offen. Gleichzeitig sollen im Rahmen des Projekts auch lokale Lawinenvorhersagen – für konkrete Hänge etwa nahe von Skigebieten – verbessert werden. Auf Basis von Quellen wie Schneehöhenradaren sollen Modellketten entwickelt werden, die örtlich zur Anwendung kommen können. Drei Studienregionen in der Steiermark, in Kärnten und in Slowenien sind geplant.

In einem weiteren Projekt, "Alarm 2", kümmern sich ZAMG, Boku Wien und Partnerorganisationen darum, dass das Lawinen-Know-how auch tatsächlich in den jeweiligen Gemeinden vorhanden ist. Organisatorische Kapazitäten sollen aufgebaut werden, damit im Notfall alles glattläuft. "Besonders wichtig ist, dass das lokale Wissen der Lawinenkommissionen weitergegeben und langfristig erhalten wird", so Studeregger.

Wird der umfangreiche Schneefall das Abschmelzen unserer Gletscher stoppen?

Die Nahrung der Gletscher ist Schnee. Angesichts der vorherrschenden Wetterlage in den Alpen müssten bei den Gletscherforschern nun die Sektkorken knallen. Denn das ewige Eis in unseren Bergen müsste ja eigentlich von den enormen Schneefällen dieser Tage profitieren. Doch das ist ein Trugschluss, wie der renommierte Glaziologe und Klimaforscher Georg Kaser von der Universität Innsbruck erklärt, dem 2007 gemeinsam mit Al Gore der Friedensnobelpreis verliehen wurde und der als einziger Wissenschafter aus Österreich bereits zweimal beim Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), dem Weltklimarat der Vereinten Nationen, mitgearbeitet hat.

Bei der Frage des Einflusses der Schneefälle auf den Gletscherschwund zeige sich einmal mehr, dass Wetter und Klima eben zwei Paar Schuhe sind, wie der Forscher erklärt. Zwar stimme es prinzipiell, dass ein Gletscher vom sogenannten Massehaushalt bestimmt wird. "Das funktioniert wie bei einer Einnahmen-Ausgaben-Rechnung", erklärt Kaser. Die Einnahmen seien bei den meisten Gletschern im Wesentlichen die Schneefälle. Die Ausgaben wiederum sind das Abschmelzen des Gletschereises und das damit verbundene Abfließen dieses Schmelzwassers.

Neben der Funktion, den Gletschern einen Massegewinn zu bescheren, erfüllt der Schnee auch eine schützende Aufgabe. Die weiße Schneeschicht kann nämlich bis zu 90 Prozent des Sonnenlichtes reflektieren. Blankes Gletschereis, das wegen Verunreinigungen oft eine dunkle Farbe hat, weist hingegen nur eine Reflexionsfähigkeit von ungefähr zehn Prozent auf.

Abgerutschter Schnee auf Häusern in Lackenhof.
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Der Schnee bildet somit eine weiße Schutzschicht, die das Abschmelzen des Gletschers verhindert oder zumindest verzögert. "Je mehr Schnee da ist, desto länger dauert es, bis diese Schutzschicht weg ist", erklärt Kaser. Gerade bei den Eisfeldern in den Ostalpen sei dies von großer Bedeutung. "Weil unsere Gletscher schon in einem sehr jämmerlichen Zustand sind. Die schmelzen nicht nur an der Zunge ab, sondern der ganze Gletscher ist betroffen", sagt der Experte. Solange Schnee das dunkle Eis bedeckt, werde dieser Prozess zumindest verlangsamt.

Doch die Balance zwischen den beiden Seiten ist aufgrund viel zu heißer Sommer nicht mehr gegeben. "Unsere Winter sind sehr variabel, was die Schneemengen angeht", sagt Kaser. Und selbst die im Moment zu verzeichnenden Rekordschneefälle würden nicht ausreichen, um der sommerlichen Hitze etwas entgegenzusetzen. In der Massebilanz überwiegt seit vielen Jahren somit insgesamt das Abschmelzen der Gletscher.

Kaser verweist auf die sogenannte Akkumulationsperiode, also den Herbst, den Winter und den Frühling des Vorjahres, weil die unseren Gletschern außergewöhnlich viel Schnee gebracht hat. Im vergangenen Winter fiel in den Zentralalpen deutlich mehr Schnee als bisher im diesjährigen: "Doch der August war dann wiederum so warm, dass am Ende nichts davon übrig geblieben ist." Die Sommer seien in den Alpen mittlerweile so heiß, dass selbst die stärksten Winter nichts mehr dagegen auszurichten hätten.

Doch weder Massenzuwachs noch Schutzfunktion werden die in den vergangenen Tagen gefallenen Schneemassen merklich beeinflussen. Denn die Flocken fielen aufgrund der Wetterlage schlicht an den falschen Stellen (siehe dazu auch den Text rechts). "Die jetzige Schneesituation betrifft vor allem Gebiete am Alpennordrand", erklärt Glaziologe Kaser die Nordstauwetterlage. Die heimischen Gletscher befinden sich aber allesamt in den Zentralalpen. "Dort hatten wir bisher normale Schneemengen zu verzeichnen", weiß Kaser. Und die seien eben für das Wohlergehen der Gletscher nur von geringer Bedeutung.

Erschwerend hinzu kommt der starke Wind, der zu erheblichen Schneeverfrachtungen in den Bergen geführt hat. "Wir hatten sehr heftigen Wind in der Höhe, sodass der Schnee vielfach weggeblasen wurde" , sagt Kaser. Insgesamt sei derzeit in den Gletschergebieten Österreichs nicht mehr Schnee als in durchschnittlichen Jahren zu verzeichnen, und das genüge eben nicht, um das Abschmelzen im Sommer zu stoppen.

Wieso ist Kärnten praktisch schneefrei?

Während Salzburg förmlich im Schnee ertrinkt, ist es in Kärnten vielerorts aper (schneefrei). Im Karwendel herrscht Lawinenwarnstufe 5, während eine halbe Autostunde weiter im Sellrain ein relativ unspektakulärer Winter wie üblich auf dem Programm steht. Das Wetterphänomen hinter dieser ungleichen Schneeverteilung nennt sich Nordstau. Meteorologe Thomas Wostal von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) erklärt, was es damit auf sich hat.

"Man kann sich die Alpen wie eine gewaltige Staumauer vorstellen", sagt der Wetterexperte. Seit Anfang Jänner ziehen nun kalte und feuchte Luftmassen von Norden heran, die genau dort aufgehalten werden. Im konkreten Fall ist es feuchte Luft aus dem Nordatlantik, die zum Polarkreis gezogen ist, wo sie schließlich abkühlte und Kurs in Richtung Süden, zu den Alpen eingeschlagen hat.

Zu Beginn der heftigen Schneefälle lud diese feucht-kalte Front ihre Feuchtigkeit noch eher im Osten bei Salzburg, Ober- und Niederösterreich in Form von Schnee ab. "In den vergangenen Tagen drehte die Strömung dann mehr auf Nordwest, wodurch viele Regionen Vorarlbergs und Nordtirols sehr viel Schnee bekamen", erklärt Wostal.

Eingeschneite Schaufel vor einem Haus in St. Koloman bei Salzburg
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Die Nordalpen sind die erste gebirgige Staumauer, auf die Luftmassen treffen, wenn sie von Nordeuropa hereinziehen. Darum laden sie dort auch den Großteil ihrer weißen Fracht ab. "Mit jeder Bergkette weiter südlich nimmt dieser Niederschlag bei Nordstaulagen ab", sagt der Meteorologe. Und er kann dies auch mit Zahlen veranschaulichen: "Nimmt man die Neuschneemenge eines durchschnittlichen Jahres, so weist Reutte im Tiroler Außerfern 3,02 Metern auf. Das weiter südlich gelegene Innsbruck hingegen nur 99 Zentimeter." Noch ergiebiger als Nordstau ist sein südliches Pendant. "Weil die Luft, die vom Mittelmeer kommt, in der Regel noch mehr Feuchtigkeit mitbringt", wie Wostal erklärt. Die Zahlen verdeutlichen das. So liegt der Rekord für die größte in 24 Stunden gefallene Menge an Neuschnee bei 1,70 Metern und wurde am 1. Februar 1986 im Osttiroler Sillian gemessen. Der Rekord im Norden, am 13. März 1988 in Holzgau gemessen, beträgt hingegen nur 1,16 Meter.

"Grundsätzlich sind die Alpenränder die niederschlagsreicheren Regionen" , sagt Wostal. Das erkläre auch das Phänomen der inneralpinen Trockentäler, die wegen dieser Staulagen deutlich weniger Niederschlag abbekommen. Das Inntal und das obere Salzachtal seien Beispiele.

Die bisher gefallenen Neuschneemengen seien sehr ungewöhnlich, wie Wostal erklärt, müssten aber nicht zwingend zu Hochwasser führen, wenn die Temperaturen wieder steigen: "Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen viel Schnee im Winter und Überschwemmungen im Frühling." Nur wenn zum Tauwetter auch noch Starkregenereignisse hinzukämen, könnte sich die Hochwassersituation zuspitzen.