Zuerst haben sie sein Auto in die Luft gesprengt. Sie haben das Hauptquartier seiner Partei angezündet. Es wurde in sein Haus eingebrochen, und seine Frau wurde bedroht. Dann legten sie noch einmal eine Bombe unter sein Auto. "Sie haben schon alles getan, was sie konnten – außer mich zu erschießen", sagte der bekannte kosovo-serbische Politiker Oliver Ivanović während eines Fernsehinterviews im November 2017.

Fast drei Monate später, am 16. Jänner 2018 gegen 8.10 Uhr, ging Ivanović zum Hauptquartier seiner Partei in Mitrovica im Norden des Kosovo, als sechs Schüsse aus einem fahrenden Fahrzeug zu hören waren. Er wurde in den Rücken getroffen und war innerhalb einer Stunde tot.

Nicht ethnisch motiviert

"Er hat mir immer gesagt: Du weißt, dass der Kosovo mein Leben ist, und am Ende hat er wirklich sein Leben für den Kosovo gegeben", sagt seine Witwe Milena Ivanović Popović. Oliver Ivanović stand zu dem Zeitpunkt wegen angeblicher Kriegsverbrechen gegen kosovo-albanische Zivilisten am Ende des Konflikts in den 1990er-Jahren vor Gericht. Er wies die Anschuldigungen stets zurück. Obwohl die Stadt Mitrovica geradezu symbolisch für die Konflikte zwischen Serben und Albanern steht, hielten nur wenige hier den Mord an Ivanović für ethnisch motiviert.

Denn Ivanović hatte zuvor in mehreren öffentlichen Äußerungen kriminelle Elemente in der kosovo-serbischen Gemeinschaft für die gewaltsamen Einschüchterungsversuche verantwortlich gemacht. Er behauptete auch, diese Leute hätten Verbindungen zu der von Belgrad unterstützten serbischen Partei im Kosovo: der Srpska Lista, die Ivanović stets lautstark kritisierte.

Feinde der Medienfreiheit: Die eingeschossene Scheibe des Büros des unabhängigen Nachrichtenportals "Kossev" in Nord-Mitrovica.

Der eigentliche Strippenzieher

Die Polizei nannte kürzlich Milan Radoičić, den Vizepräsidenten der Srpska Lista, als Verdächtigen im Mordfall Ivanović. Radoičić, den Ivanović einst als den "eigentlichen Strippenzieher" im serbischen Norden des Kosovo bezeichnete, ist mittlerweile nach Serbien geflüchtet und bleibt auf freiem Fuß. Er bestreitet die Beteiligung an der Tötung.

Die Polizei des Kosovo hat inzwischen auch zwei serbische Offiziere der kürzlich integrierten Polizei des Landes und ein Mitglied des Fußballfanklubs Partizan Belgrad verhaftet. Die kosovarische Staatsanwaltschaft konnte aber bislang jene Person, die aus dem Maschinengewehr auf Ivanović schoss, nicht identifizieren.

Ein Jahr, nachdem Ivanovićs Tod weltweit Schlagzeilen gemacht hat, wird vor allem deutlich, dass dieses Verbrechen nur die Spitze eines Eisbergs ungeklärter Fälle von politischer Gewalt in der serbischen Gemeinschaft im Norden des Kosovo ist.

Mahnung an die Mörder: An vielen Hauswänden in Nord-Mitrovica ist ein Graffito zu sehen, das Oliver Ivanović zeigt. Darunter steht einfach: Oliver.

64 Angriffe auf "Illoyale"

Seit 2014, als die Srpska Lista bei den Kommunalwahlen große Erfolge in den serbisch geführten Gemeinden feiern konnte, wurden 64 Angriffe auf Kosovo-Serben mit Feuerwaffen, Granaten, Brandstiftungen oder Sprengkörpern verübt. Ziele sind Politiker, Angehörige der Polizei oder der Sicherheitskräfte, Journalisten, Unternehmer, Beamte und prominente Persönlichkeiten, die die Annäherung an die Albaner fördern.

Die Polizei des Kosovo behandelt keinen dieser Fälle als "ethnische Gewalt", dies bedeutet, dass sie nicht davon ausgeht, dass hinter den Anschlägen Kosovo-Albaner stehen.

Abgesehen von dem Mord an Ivanović und einem anderen Oppositionspolitiker vor vier Jahren war keiner der Vorfälle tödlich – die Einheimischen sagen aber, dass die Angriffe den Angstquotienten deutlich erhöht haben.

Die Daten zeigen, dass die Gewaltakte rund um die lokalen und nationalen Wahlen deutlich ansteigen. Bei den meisten Vorfällen geht es um die Zerstörung von Autos oder Eigentum, sie passieren meist spät in der Nacht. Deshalb meinen Experten, dass die Täter möglicherweise mehr daran interessiert sind, eine Nachricht zu hinterlassen, als wirklich jemanden zu verstümmeln oder zu töten.

Die Witwe von Oliver Ivanović, Milena Ivanović Popović, ist mittlerweile nach Belgrad gezogen.

Keine Täter identifiziert

Bisher hat allerdings kein einziger dieser Gewaltakte zu einer Strafverfolgung geführt. Shyqyri Syla, Chefankläger der Staatsanwaltschaft von Mitrovica, sagt: "Niemand wurde als Täter für die Gewaltakte seit 2014 identifiziert. Je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger ist es, die Täter zu benennen."

Es gibt zwar keinen Beweis dafür, dass die Führer der Srpska Lista selbst Granaten oder Molotow-Cocktails einsetzen, Kritiker werfen der Partei jedoch vor, ein Klima der Angst und der Einschüchterung zu schaffen, das darauf hinausläuft, Gewalt auszulösen.

Diese Kritiker sagen auch, dass die regierende Serbische Fortschrittspartei (SNS) in Belgrad durchaus "glücklich" darüber sei, die Flammen der Zwietracht anzufachen. Einige behaupten, diese Angriffe würden eine Legitimation dafür schaffen, dass man sich seit langem im Nordkosovo der Integration widersetzt.

"Ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen sollte als ein "staatlich gesponsertes Verbrechen, das unter dem Vorwand der Erhaltung der serbischen Gemeinschaft im Norden verübt wird", sagt Bojan Elek, Forscher am Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik.

Viele Hauswände im Nord-Kosovo sind voll mit nationalistischen Zeichnungen.

Geteilte Welten

Die Ibar-Brücke im Zentrum von Mitrovica ist ein dauerhaftes Symbol für die ethnischen Animositäten in der Stadt. Die Serben leben im Norden, die Albaner im Süden. Der Fluss Ibar bildet eine Trennungslinie dazwischen.

Die 30 Meter lange Brücke war während und nach dem Kosovokrieg in den 1990er-Jahren ein berüchtigtes Spannungsgebiet. Auch heute ist sie noch für den Verkehr gesperrt. Sie bietet aber den Fußgängern einen verlockenden Einblick in verschiedene – und geteilte – Welten.

Auf der Südseite verkaufen albanischsprachige Kioskinhaber albanische und US-amerikanische Flaggen. Geldautomaten geben Euro aus. Eine Moschee erhebt sich über einem belebten Marktplatz.

Auf der Nordseite handeln serbischsprachige Ladenbesitzer in Dinar, während Glocken aus orthodoxen Kirchen läuten. Hier wird kyrillisch geschrieben. Die meisten Unternehmen akzeptieren keine Kreditkarten oder stellen keine Quittungen aus, und einige Autos haben keine Kennzeichen.

Das zerbombte Auto des Arztes Dragiša Milović, dessen Fehler offenbar darin bestand, dass er nicht der von Belgrad unterstützten Srpska Lista, sondern einer anderen Partei angehört.

"Freiheit, Demokratie und Justiz"

Drei Blocks nordöstlich der Brücke befindet sich das Büro der Partei für "Freiheit, Demokratie und Justiz", der größten Oppositionspartei im Norden des Kosovo. Hier versuchte Oliver Ivanović seine politische Karriere wiederaufleben zu lassen, als er im Oktober 2017 bei den Kommunalwahlen als Bürgermeister für Nord-Mitrovica kandidierte, nur wenige Monate, bevor er erschossen wurde.

Er war ziemlich frisch nach drei Jahren aus der Haft entlassen worden. In dem Verfahren ging es darum, dass er mutmaßlich im April 1999 im Kosovo die Ermordung von Zivilisten angeordnet haben soll. Damals war er einer der "Brückenwächter" von Mitrovica. Der Begriff "Brückenwächter" wurde für serbische Nationalisten verwendet, die sich dafür "einsetzten", ethnische Albaner von der nördlichen Hälfte der Stadt fernzuhalten.

Im Jänner 2016 hatte ihn ein EU-Gericht zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Ivanović legte Berufung ein und argumentierte, dass die Beweise gefälscht waren. Im Februar 2017 hob ein Berufungsgericht in Prishtina die Verurteilung auf, ordnete ein erneutes Verfahren an und ließ ihn zwischenzeitlich frei.

Der kosovarische Premier Ramush Haradinaj empfängt den schwerverdächtigen Geldeintreiber Milan Radoičić, der sich mittlerweile nach Serbien abgesetzt hat.

Ein Paradoxon

Ivanović war ein Paradoxon: ein angeblicher Kriegsverbrecher, der den Ruf hatte, politisch moderat zu sein; ein überzeugter Gegner der Unabhängigkeit des Kosovo, der fließend Albanisch sprach und mit seinen nichtserbischen Nachbarn für ein friedliches Zusammenleben plädierte.

Als er nach seiner Brückenwächter-Zeit in die Politik ging, wurden seine Ansichten milder. Er wurde zu einem Befürworter des Nachkriegsdialogs mit den Albanern, die laut der letzten Volkszählung 91 Prozent der Bevölkerung des Kosovo ausmachen.

Zwischen 2008 und 2012 diente er als Staatssekretär für den Kosovo in der serbischen Regierung, wodurch er den Ruf eines Mannes erlangte, mit dem Prishtina zusammenarbeiten konnte.

Im Jahr 2012 gründete Ivanović die Partei "Freiheit, Demokratie und Justiz" und forderte die Kosovo-Serben auf, sich selbst zu helfen, indem sie Positionen in kosovarischen Institutionen einnehmen, auch in der Polizei und Justiz. Er kandidierte 2013 als Bürgermeister für Nord-Mitrovica und verlor gegen die damals neue Srpska Lista.

Oliver Ivanović galt in Nord-Mitrovica als einer, dem die Menschen vertrauten. Er setzte sich für das Zusammenleben von Serben und Albanern ein und sprach Albanisch. Ivanović wäre gegen eine Teilung des Landes entlang ethnischer Kriterien gewesen, wie sie nun vom serbischen und kosovarischen Präsidenten Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi forciert wird.

Wiederholte Angriffe

Ivanović waren Einschüchterungen nicht fremd. Unbekannte Angreifer sprengten 2005 und 2017 zweimal sein Auto in die Luft. Vor den Kommunalwahlen im Jahr 2013 wurde das Büro seiner Partei in Brand gesetzt, erzählt Ksenija Božović, die Vizepräsidentin der Fraktion.

Ein paar Monate später brach ein Eindringling in Ivanovićs Haus ein und erschreckte seine Frau Milena. "Ein Mann mit Kapuze brach in die Wohnung ein und begann alles Glas zu zerbrechen", erinnert sie sich. "Mein Sohn, der damals ein Baby war, schlief im anderen Raum. Bogdan fing an zu weinen. Der Mann schlug mir ins Gesicht und sagte: 'Das ist für deinen Mann!' – und rannte weg."

Die Polizei hat den Eindringling nie erwischt. Ivanović beschuldigte einige Kosovo-Serben und sagte, diese seien an der organisierten Kriminalität beteiligt und hätten Verbindungen zu Srpska Lista.

Wie unter einer Militärdiktatur

"Es ist wie das Leben unter einer Junta, aber statt des Militärs werden wir von einer kriminellen Bande regiert", sagte er kurz vor seinem Tod. "Die wahre Quelle der Macht in Mitrovica sind nun die kriminelle Strukturen, die hinter der lokalen Regierung stehen, nicht die Politiker oder die Institutionen."

In seinem letzten Interview mit "Balkaninsight", kurz vor seinem Tod, identifizierte Ivanović Herrn Radoičić – einen damals wenig bekannten Geldeintreiber und Lastwagenbesitzer – als Schlüsselfigur im trüben Machtsystem des serbisch geführten Teils des nördlichen Kosovo. "Das Machtzentrum befindet sich nicht im Rathaus – weil das Rathaus zu diesem anderen informellen Machtzentrum gehört", so Ivanović.

Nachdem die Srpska Lista Radoičić im Sommer 2018 zum Vizepräsidenten ernannt hatte – was viele Kommentatoren überraschte, weil sie noch nie von ihm gehört hatten –, berichteten Medien, dass er sowohl im Kosovo als auch in Serbien enge Beziehungen unterhalte, unter anderem zum serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und zum kosovarischen Premierminister Ramush Haradinaj.

Ein Bild des Politikers in Nord-Mitrovica erinnert an den ungeklärten Mordfall.

Empfang für einen Verdächtigen

Haradinaj wurde im Juli kritisiert, nachdem er Radoičić in seinem Büro zu einem Treffen empfangen hatte, welches der Oppositionspolitiker, Armend Zemaj, als "feierlichen Empfang" für einen Mann bezeichnete, "der des organisierten Verbrechens, der Erpressung, Gewalt und der Einschüchterung von Bürgern im Norden von Mitrovica verdächtigt wird".

Rada Trajković, die Leiterin einer in Belgrad ansässigen Nichtregierungsorganisation namens "Europäische Bewegung der Serben aus dem Kosovo", meint: "Wenn ich mit Haradinaj spreche und er sagt, Radoičić sei der Mann, der ihm Garantien für alles gebe, was man für den Norden aushandle und auch alles erfülle, so heißt das, dass er die Unterstützung des serbischen Staates hat, die Dinge genau so zu machen, wie er das will, und damit das Geschäft zu erledigen, das für Vučić und seine Politik funktioniert."

Im November stürmte die Polizei des Kosovo im Zusammenhang mit dem Mord an Ivanović das Haus von Radoičić, dieser konnte sich jedoch der Festnahme entziehen. Er befindet sich in Serbien, das kein Auslieferungsabkommen mit dem Kosovo hat.

Ein wahrer Patriot

Nachdem öffentlich bekanntgeworden ist, dass Radoičić von der kosovarischen Polizei gesucht wird, verteidigten ihn prominente Vertreter der serbischen Regierung sogar. Marko Đurić, der Direktor des Kosovo-Büros der serbischen Regierung, nannte ihn einen "wahren Patrioten".

Präsident Vučić sagte dem serbischen öffentlich-rechtlichen Sender RTS: "Milan Radoičić ist nicht der Mörder von Oliver ... Die Spezialeinheiten der Kosovo-Polizei wollten ihn bei seiner Festnahme töten, um Belgrad die Verantwortung für den Mord an Oliver Ivanović zuzuschieben." Solche Anschuldigungen würden die Verhandlungsposition Serbiens schwächen.

Mitglieder der Srpska Lista erschienen in der Öffentlichkeit zudem in weißen T-Shirts mit einer Karte des Kosovo aus den Farben der serbischen Flagge und einem Bild von Radoičić. Darunter standen die Worte: Wir alle sind Milan.

"Wir alle sind Milan"

Im November nahm die Polizei des Kosovo drei weitere Verdächtige fest: Dragiša Marković und Nedeljko Spasojević, beide Mitglieder der Kosovo-Polizei, und Marko Rosić, einen Montenegriner, der als Mitglied des Partizan-Belgrad-Fanklubs identifiziert wurde. Die Kosovo-Staatsanwaltschaft schreibt in einem Dokument, dass die Festgenommenen verdächtigt werden, den Mord unterstützt zu haben, indem sie Hilfsmittel angeboten oder Beweise versteckt hätten.

Abgesehen von Ivanović wurden fünf andere kosovo-serbische Oppositionspolitiker in den letzten vier Jahren von nicht identifizierten Angreifern attackiert, einige mehr als einmal. Dimitrije Janićijević, 35 Jahre alt, wurde am 16. Jänner 2014 um 12.20 Uhr vor seinem Haus in Mitrovica erschossen – vier Jahre vor dem Tod von Ivanović. Janićijević und Ivanović waren Freunde. Ivanovićs Witwe zufolge war Ivanović Pate von vier Kindern von Janićijević.

Wie Ivanović war Janićijević ein prominenter Kritiker der Srpska Lista. Als Mitglied der Gemeindeversammlung von Mitrovica kandidierte er zum Zeitpunkt seiner Ermordung als Bürgermeister bei den Kommunalwahlen für die Unabhängige Liberale Partei. Nach Angaben der Polizei feuerte der Attentäter sechs Kugeln aus einer Neun-Millimeter-Handfeuerwaffe auf ihn ab und riss ihm Schultern, Brust und Bauch auf. Niemand wurde wegen dieses Mordes festgenommen.

Büro in Brand gesetzt

Bei einem anderen Vorfall drei Jahre später wurde das Büro der Demokratischen Partei Serbiens (DSS), einer serbischen Oppositionspartei in Mitrovica, in Brand gesetzt. Es gehörte Slaviša Ristić, einem ehemaligen Bürgermeister von Zubin Potok, der seit 2016 DSS-Abgeordneter im serbischen Parlament ist.

"Wir sind erst gerade in das Büro eingezogen", erzählt Ristić bei einem Interview in einem Café in Belgrad. "Etwa einen Monat später haben sie es niedergebrannt. Die Polizei hat nichts unternommen."

Die Polizei wurde am 7. Februar 2017 um 3.35 Uhr in das sechsstöckige Gebäude in Mitrovica gerufen, nachdem Nachbarn den Geruch von Rauch gemeldet hatten, sagt ein Sprecher der Polizei. Ein Anwohner erinnert sich, dass die Menschen in den Wohnungen über dem DSS-Büro zusammengeknotete Laken benutzten, um zu flüchten. Vier Kinder landeten mit Rauchgasvergiftung im Krankenhaus, berichteten die Medien.

Ta-ta-ta

Es ist nicht klar, wie das Feuer ausbrach, aber Ristić meint, er sei sich sicher, dass es sich um eine Brandstiftung handelte. Er war auch nicht das erste Mal, dass sein Eigentum angegriffen wurde, erzählt er.

In der Nacht zum 24. April 2016, als die serbische Regierungspartei SNS ihren größten Sieg bei den Parlamentswahlen in Serbien feierte, sah Ristić die Ergebnisse im Fernsehen zu Hause in Zubin Potok an. "Meine ganze Familie war im Haus, auch mein Bruder, und wir haben die Wahlergebnisse mit ungläubiger Miene verfolgt, als wir ta-ta-ta, Schüsse vor dem Haus, hörten", erzählt er. "Wir legten uns alle auf den Boden, die Kinder und meine Frau, und nach ein paar Minuten, als sich alles beruhigt hatte, gingen mein Bruder und ich in die Dunkelheit, um zu sehen, was los war."

Die beiden sahen zerbrochene Fenster und dass die Außenwand des Hauses von Kugeln durchsiebt war. Am nächsten Tag fand seine Frau eine nicht explodierte Bombe im Gras. Für Ristić steht außer Frage, dass die Täter viel eher Kosovo-Serben waren als ethnische Albaner.

Nicht der Parteilinie folgen

"Die Albaner greifen Serben in den Enklaven im Süden des Kosovo an, aber im Norden stehen all diese Angriffe mit der Srpska Lista in Verbindung, denn sie passieren nur Leuten, die nicht der Parteilinie folgen", sagte er.

Im Juli 2017 wurde im Norden des Kosovo auch das Auto von Dragiša Milović, einem Arzt, der bei den Kommunalwahlen von Zubin Potok angetreten war, mit einem Sprengsatz zerstört.

Obwohl Milović aus einer anderen Partei stammt, ging er mit Ivanović eine informelle Allianz gegen die Srpska Lista ein. "An diesem Morgen war ich geschockt – auch meine Familie", sagte Milović im Gesundheitszentrum von Mitrovica, wo er als orthopädischer Chirurg arbeitet. "Mir war klar, dass dies eine Bedrohung und eine politische Botschaft war."

Auf die Frage, was genau diese Botschaft sei, meint Milović: "Es gab nur ein Ziel: Die Srpska Lista musste gewinnen. Die Botschaft an mich war, mich von den Wahlen zurückzuziehen, und die Botschaft an die anderen Leute war, nicht für mich zu stimmen."

Lasst uns eine Bombe werfen

Dragan Jablanović, ein ehemaliges Mitglied der Srpska Lista, der dann unabhängiger Politiker wurde, war Bürgermeister von Leposavić, als sein Haus im Oktober 2015 mit einer Feuerbombe in Brand gesetzt wurde. Niemand wurde verletzt. Im Mai 2017 schoss jemand auf das Gebäude, in dem sich sein Bürgermeisteramt befand.

Im Dezember 2016 warf ein unbekannter Angreifer eine Bombe ins Haus von Dražen Stojković, dem Präsidenten des Gemeinderats der Serbischen Volkspartei in Mitrovica.

Nebojša Vlajić, Freund und Rechtsanwalt von Ivanović, betrachtet die Gewalttaten nüchtern: "So sind die Dinge hier einfach: Ein Weg, um gegen Gegner zu kämpfen, ist zu sagen: 'Lasst uns eine Bombe werfen'", erklärt er.

Dušan Janjić vom Forum für die Beziehungen zwischen den Volksgruppen meint, die Bombenanschläge im Norden des Kosovo seien so häufig, dass die Menschen sich so an sie gewöhnt hätten, dass sie sogar vergessen, dass es sich um "Terrorakte" handele.

Keine Rechtsstaatlichkeit

"Sie sind ein Mittel zur Einführung von Regeln, weil es keine Rechtsstaatlichkeit gibt", sagt er. Janjić fügt hinzu, dass in der Regel Handgranaten aus der jugoslawischen Zeit und hausgemachte Flaschenbomben oder Molotowcocktails verwendet würden.

Alle befragten Politiker waren der Meinung, dass sie wegen ihrer Opposition zur Srpska Lista – und damit auch zur SNS in Belgrad – angegriffen wurden.

Die Srpska Lista trat erstmals bei den Kommunalwahlen im Kosovo Ende 2013 und Anfang 2014 an, etwa zwei Jahre nach der Machtübernahme von SNS in Serbien. Die Partei ist jetzt Teil einer Koalitionsregierung in Prishtina. Die Srpska Lista hat neun von zehn Sitzen, die den Kosovo-Serben in einer Versammlung von 120 Parlamentariern vorbehalten sind, und drei Minister im Kabinett.

Brüsseler Abkommen

Zumindest auf dem Papier bekennen sich die Srpska Lista und die SNS zu den Verpflichtungen, die Serbien und der Kosovo 2013 in Brüssel unterzeichnet haben, dass nämlich parallele staatliche Institutionen im Kosovo integriert und Hindernisse für eine Normalisierung der Beziehungen beseitigt werden sollen.

Allerdings erkennt keine der Parteien die Unabhängigkeit des Kosovo an, und ihre öffentliche Rhetorik steht im Widerspruch zur offiziellen Politik gegenüber dem von der EU gesponserten politischen Prozess, meinen Beobachter.

Analysten sagen, die Srpska Lista und die SNS seien wegen der fehlenden Fortschritte bei der Gründung einer Vereinigung der serbischer Gemeinden nicht zufrieden. Die Gründung dieser Vereinigung ist Teil des Brüsseler Abkommens, seine Umsetzung wir aber von Abgeordneten im Kosovo erbittert bekämpft.

Verbindungen nach Belgrad

Auf ihrer Website präsentiert sich die Srpska Lista als einzige serbische Partei, die von der serbischen Regierung unterstützt wird. Und natürlich hat die SNS der Partei vor den Kommunalwahlen 2017 ihre exklusive Unterstützung gegeben.

"Der Sieg der Srpska Lista ist für die Serben im Kosovo von nationaler und wesentlicher Bedeutung", meinte etwa Darko Glišić, Vorstandsvorsitzender der SNS, bei einem Treffen mit einem Srpska-Lista-Kandidaten im Oktober dieses Jahres.

Aleksandar Vulin, der serbische Verteidigungsminister und ehemalige Chef des Büros für den Kosovo, forderte die Serben auf, die Srpska Lista zu wählen, und meinte: "Sie wissen am besten, dass die Srpska Lista Verbindungen zur serbischen Regierung hat."

Đurić, der derzeitige serbische Direktor des Kosovo-Büros, sagte in Zvečan vor einer Wahlkundgebung: "Die Srpska Lista ist die einzige Verbindung der Menschen im Kosovo mit Serbien."

Ivanovićs Gesicht über der albanischen Flagge

Auch Pro-SNS-Medien in Serbien und im Kosovo packten mit an und starteten Kampagnen gegen Oppositionsführer, die von Kritikern als schmutzig verurteilt wurden.

Einen Tag vor Beginn der Wahlen strahlten Pink TV in Serbien und TV Most im Kosovo eine Minute politische Werbung aus, die zu jeder vollen Stunde Ivanovićs Gesicht über der albanischen Flagge zeigte. Ein Sprecher sagte zu diesem Bild, Ivanović vertrete "Menschen, die unser Vertrauen verraten haben, Menschen, die die Unterstützung von Prishtina haben".

Fünf Medienrechtsverbände in Serbien gaben daraufhin eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie die Werbung nachdrücklich verurteilten. Sie bezeichneten diese als "heftigen Verstoß gegen journalistische Standards und Codes, aber auch gegen die Wahlregeln".

Am Ende gewann die Srpska Lista in allen zehn Gemeinden, in denen die Serben die Mehrheit bilden, mit einem Erdrutschsieg. In Nord-Mitrovica erhielt der Bürgermeisterkandidat Goran Rakić rund 67 Prozent der Stimmen, Ivanović 19 Prozent.

Tiefes Einschüchterungsmuster

"Das Wahlkampfumfeld für die erste Wahlrunde war durch ein tiefes Einschüchterungsmuster in den meisten kosovo-serbischen Gemeinden geprägt, das auf jene politische Einheiten und Wähler abzielte, die nicht zur Sprska Lista gehören", schrieben die Wahlbeobachter der EU im Februar 2018 in einem Bericht.

Sie fügten hinzu: "Bevor die offizielle Kampagne begann, gab es gewalttätige Zwischenfälle, etwa das Verbrennen von Fahrzeugen zweier prominenter Oppositionsbürgermeister. Institutionen, die im Rahmen des 'serbischen Systems' im Kosovo tätig waren, waren daran beteiligt, die Kandidaten, die nicht zur Srpska Lista gehörten, und deren Familien unter Druck zu setzen. In einigen Fällen führte dies zur Entlassung aus Arbeitsverhältnissen."

"Lasst uns ihre Knochen brechen"

Viele Angriffe richten sich auch gegen kosovo-serbische Geschäftsleute, Beamte oder Einzelpersonen, die sich geweigert haben, die Institutionen des Staates Kosovo zu boykottieren.

Das Äußere des Cafés Dolce Vita in Mitrovica wurde im August 2016 in Brand gesetzt, nachdem die kosovarische Ministerin für den Dialog mit Serbien, Edita Tahiri, dort Kaffee getrunken hatte. Einige Monate später wurde das Hotel Saša in der Stadt mit einer Bombe angegriffen, nachdem Tahiri es besucht hatte.

Das Draževića, ein von Serben geführtes Restaurant am Gazivoda-See in der Nähe der Grenze zwischen Kosovo und Serbien, wurde mit einer Feuerbombe attackiert, nachdem der kosovarische Präsident Hashim Thaçi Ende September 2018 dort hineingegangen war.

Auch kosovo-serbische Polizeibeamte wurden als Angriffsziele "ausgewählt". In den letzten vier Jahren wurden zehn Autos verbrannt, drei von ihnen wurden durch Sprengsätze beschädigt. Alle Opfer waren Mitglieder der 2014 neu gegründeten Polizei des Kosovo, die im Rahmen des Brüsseler Abkommens geschaffen wurde.

"Verräter" bekommen Todesdrohungen

Laut dem Sprecher der kosovarischen Polizei, Besim Hoti, haben ungefähr 280 Kosovo-Serben in diesem Jahr Sicherheitskontrollen durchlaufen, um der Polizei des Kosovo beizutreten. Von diesem Moment an hätten sie eine Art Zielscheibe auf ihrem Rücken getragen, erzählt er. Viele erhielten Briefe, in denen sie "Verräter" genannt wurden und die Todesdrohungen enthielten.

In einigen Fällen wurden sie direkt ins Visier genommen, "weil sie ihre Arbeit ordentlich erledigt haben", meint der Staatsanwalt Shyqri Syla. Er erwähnt das Beispiel von zwei Offizieren, deren Autos durch eine Bombe gesprengt wurden, nachdem sie gegen Figuren aus der serbischen Unterwelt ermittelt hatten, die verdächtigt werden, Drogen geschmuggelt zu haben.

"Manchmal ist es nicht im Interesse bestimmter Leute, dass etwas untersucht wird", meint er. "Gerade die Autos jener Leute, die am meisten arbeiteten, wurden in Brand gesetzt."

Angriffe gegen serbische KSF-Mitglieder

Auch die Autos zweier kosovo-serbischer Angehöriger der kosovarischen Sicherheitskräfte (KSF) wurden in Brand gesetzt. Die KSF ist eine Militäreinheit, deren Mandat auf Reaktionen in Krisensituationen beschränkt ist. Sie wurde 2009 nach einem von der UN gesponserten Plan geschaffen. Fünf Jahre später sollte sie eine reguläre Armee werden. Seit 2014 unterstützt Prishtina diese Entwicklung, die Serbien vehement ablehnt.

Von 137 Kosovo-Serben, die seit Ende 2018 der KSF beigetreten sind, hat nach Angaben von KSF-Vizeminister Agim Çeku etwa die Hälfte – 66 Personen – den Antrag gestellt, die Streitkräfte wieder zu verlassen.

"Sie standen unter Druck von Serbien", sagte Çeku. "Ihnen wurden anonyme Nachrichten geschickt, ihre Familien wurden bedroht, und sie wurden beim Überqueren der Grenze nach Serbien belästigt."

Armee des Nordens

Im Jänner 2018 gab das Gemeindekomitee von Srpska Lista und Zubin Potok eine öffentliche Erklärung ab, in der die Rekruten missbilligt wurden und die Leute aufgefordert wurden, ihnen aus dem Weg zu gehen.

"Alle, die versuchen, in der Institution der Kosovo-Armee ihre Zukunft zu finden, werden von der serbischen Gemeinschaft erbittert boykottiert", sagte das Komitee. Weniger als einen Monat später erschienen in ganz Zubin Potok Flugblätter, die unter den Scheibenwischern der geparkten Autos und an den Eingängen öffentlicher Gebäude hinterlassen wurden. Unterzeichnet mit "Die Armee des Nordens", listeten die Flugblätter die Namen von sieben Kosovo-Serben auf, die beschuldigt wurden, der KSF beigetreten zu sein, sie nannten sie "Verräter", die nicht in Zubin Potok leben oder arbeiten dürften.

"Lasst uns deren Knochen brechen", hieß es auf dem Flugblatt, hinzugefügt wurde: "Wir serbische Patrioten schwören feierlich, dass wir dies mit unserem Leben beenden werden." Das Amt für den Kosovo in Belgrad setzte im April 2018 noch eines drauf, als Direktor Đurić im nationalen Fernsehen sagte, dass alle Serben, die der KSF beigetreten sind, bis zu zehn Jahren Gefängnisstrafe für den Beitritt zu einer ausländischen Armee bekommen könnten.

Angst vor Repressalien

Die Staatsanwaltschaft bestätigte im Jänner 2019, dass noch niemand wegen der 64 Angriffe vor Gericht gestellt wurde. "Die am schwersten aufzuklärenden Straftaten sind für uns die Autobomben", sagt Besim Hoti, stellvertretender Kommandeur der Polizei des Kosovo im Norden von Mitrovica. "Es gibt dabei keine Spuren, und die Bürger berichten der Polizei nicht, was sie wissen, weil sie Angst haben."

Hoti sagt, dass die Anzahl der Menschen hinter den Anschlägen ziemlich gering sei. "Es ist nicht so, dass das 200 Leute tun. Es gibt zwei oder drei Gruppen, die Bomben unter die Autos legen. Viele Opfer zögern zudem, sich zu äußern, aus Angst vor Repressalien, sagt Syla, der Oberstaatsanwalt der Grundstaatsanwaltschaft von Mitrovica. "Sie handeln so, weil sie Angst um ihr Leben haben, sollte jemand herausfinden, dass sie ausgesagt haben, und nicht weil ihnen das Vertrauen in die Polizei fehlt", meint er.

Ein Geschäftsmann, dessen Eigentum zweimal mit Sprengsätzen zerstört worden ist und der anonym bleiben möchte, sagt: "Ich traue niemandem mehr. Ich kann und will nicht mehr darüber reden. Ich wohne hier, und ich habe eine Familie."

Sieben Schüsse ins Büro

Eines Nachts im Juni 2015 feuerte jemand siebenmal durch das Bürofenster des unabhängigen Nachrichtenportals in Mitrovica namens "Kossev". Zu der Zeit war niemand im Haus. Besucher können immer noch Einschusslöcher im Glas und Anzeichen von forensischer Arbeit der Polizei sehen. "Wir leben an einem gefährlichen Ort, und was mich am meisten erschreckt, ist, dass die Täter nie gefunden werden", sagte Tanja Lazarević, Chefredakteurin von "Kossev".

Fünf Monate später, in einer Novembernacht gegen zwei Uhr morgens, zerbombten die Angreifer ein Auto der "Kossev"-Journalistin Nevenka Medić. "Ich kann keinen bestimmten Grund nennen, warum dies geschah, aber Tatsache ist, dass alles 'bestraft' wird, was der offiziellen Meinung der lokalen Machtstrukturen und der Politiker widerspricht", so Medić.

Bojan Elek vom Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik bezeichnet die von Serben kontrollierten Teile des nördlichen Kosovo als gesetzlose Zonen, die von mafia-ähnlichen Strukturen kontrolliert werden. "Auf der einen Seite scheint es so, dass Prishtina nicht den Willen oder die Möglichkeit hat, den Norden zu kontrollieren, außer durch Institutionen, die sich im Integrationsprozess befinden", sagt er. "Auf der anderen Seite hat Belgrad ein Interesse daran, die Dinge so zu belassen, wie sie sind."

"Kontrolliertes Chaos"

Analysten meinen, dass der Zustand des "kontrollierten Chaos" im Norden des Kosovo Serbiens Position in den Gesprächen zwischen Belgrad und Prishtina stärken könnte – und Serbien dabei helfen könnte, an einer von Serben beherrschten Enklave festzuhalten.

Einige serbische und kosovarische Politiker haben zudem die Möglichkeit eines Gebietstauschs aufs Tapet gebracht. Dabei sollten Gebiete mit albanischer Mehrheit in Südserbien gegen Gebiete mit serbischer Mehrheit im Norden des Kosovo ausgetauscht werden.

"Ich denke, dass Belgrad weiß, dass es den Kosovo anerkennen muss", sagt Elek. "Aber es geht darum, etwas in dem Verhandlungsprozess zu bekommen, damit die Anerkennung von den serbischen Bürgern leichter akzeptiert wird, damit sie dann sagen können: 'Wir haben nicht den gesamten Kosovo verloren. Wir haben den Norden.'"

Vaterlos

Zurück in Belgrad, ein Jahr nach der Ermordung ihres Mannes, wartet Milena Ivanović Popović immer noch auf Aufklärung darüber, wer ihren siebenjährigen Sohn vaterlos gemacht hat. "Ich kann die Hoffnung nicht verlieren", sagte sie. "Oliver hat es verdient – und wir alle verdienen es – herauszufinden, wer hinter diesem Mord steht und wer ihn angeordnet hat. Ich denke, das ist für jeden ehrlichen und gerechten Menschen in Serbien wichtig." (Andjela Milivojević, 16.1.2019)