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Zwar seien Jihadisten und Rechtsextreme unterschiedlich, sagt Julia Ebner. "Aber trotzdem hatte ich das Gefühl, Menschen zu begegnen, die genau die gleiche Geschichte erzählen." Ebner ist Extremismusforscherin und recherchierte im Rahmen ihrer Arbeit verdeckt unter Islamisten und Rechtsradikalen. Primär entstanden ihre Ergebnisse durch Profile, mit denen sie unterschiedlichsten Gruppierungen im Netz beitrat, sie besuchte aber auch Events und traf etwa den in Österreich bekannten Rechtsextremen Martin Sellner. Zu dem Thema veröffentlichte sie das Buch "The Rage", heuer soll ein weiteres Werk folgen.

Opferbild der Frau

"Sie teilen sich dieselbe Erzählung. Sie sehen einen unvermeidbaren Konflikt zwischen Religionen oder Rassen", sagt Ebner. Dabei würden sich beide Gruppen in eine Opferrolle versetzen. Vor allem die Gefahr, denen "ihre Frauen" ausgesetzt seien, sei ein populäres Motiv. "Das spielt auf rückständige Frauenbilder an", sagt Ebner. Rechtsextreme würden immer wieder von der Gefährdung der Frauen vor Asylanten sprechen, während Islamisten auf von Hass motivierte Angriffe verweisen.

Ähnliche Symbolik und Sprache

Auch in der Symbolik erkannte Ebner immer wieder Parallelen. So sei ein beliebtes Motiv bei Jihadisten jenes des "Islams gegen das Kreuz", während Rechtsextreme immer wieder von einer "Reconquista", also der "Wiedereroberung" Europas vor dem Islam sprechen. Solche Bilder fänden sich immer wieder bei Propagandainhalten, die im Netz verbreitet werden. Doch auch in der Sprache fand sie Gemeinsamkeiten. "Sven Lau, ein führender deutscher islamistischer Radikalisierer, der das Opferrollenbild von Muslimen in seiner Rhetorik nutzt, hat etwa sein Buch 'Fremd im eigenen Land' genannt", sagt Ebner.

Das bei Rechtsextremen gelesene, verschwörungstheoretische Magazin "Compact" habe bei einer seiner Ausgaben denselben Titel genutzt. Die rechtsextreme Neonazi-Gruppierung National Action aus Großbritannien nutze zum Teil sogar Vokabular wie "White Jihad". Die Propaganda- und Trainingscamps seien an jene von Jihadisten orientiert.

Bei einem Event im Bruno-Kreisky-Forum erzählte die Extremismusforscherin Julia Ebner von ihren Erfahrungen.
Foto: Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog

Offline-Verbindung?

Offline sah Ebner ebenso eine Beziehung: So habe es ihren Forschungen zufolge immer wieder einen zeitgleichen Anstieg und Rückgang von Anschlägen bei beiden Gruppierungen gegeben. "Das sagt natürlich noch nichts über Kausalität aus, suggeriert aber ein Wechselspiel." Bei Feldstudien besuchte sie Orte in Großbritannien, die die höchste Rate von IS-Kämpfern aufweisen. "Ich habe bemerkt, dass es vor Ort starke rechtsextreme Strömungen gab." Ein Beispiel sei die Stadt Luton in England. "Dort haben sich islamistische Gruppierung auf Basis des Hasses gegen Muslime mobilisiert", sagt Ebner. Das habe aber dazu geführt, dass letzten Endes Rechtsextreme davon profitiert hätten – und die rechte English Defence League gegründet wurde.

Mehr im Netz als außerhalb

Auseinandersetzungen würden online aber noch viel stärker stattfinden als offline. Die Propaganda von Jihadisten beziehe sich aber nicht nur auf Rechtsextreme, sondern auch auf "Politiker mit binären Weltbildern, die Fremdgruppen dämonisieren", sagt Ebner. Rechtspopulistische Politiker nützen häufig das Feindbild von Jihadisten. Etwa teilte Marine Le Pen Ende 2015 unkommentiert ein Foto, welches extreme Gewalt der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) zeigte.

Ein Salafist parodierte den Rechtsextremen Tommy Robinson, indem er bei jedem Posting das umgekehrte Beispiel in Verbindung mit dem Islam teilte. "Man sieht: Man könnte dasselbe 1:1 übersetzen und hat ein Spiegelbild", sagt Ebner.
Foto: screenshot/julia ebner

Opferrolle einnehmen

Jihadisten stellen sich als Opfer von antimuslimischem Hass, Rassismus und Unterdrückung dar und versuchen auf diese Weise, neue Mitglieder anzuwerben. In verschlüsselten Kanälen des IS auf Telegram würden vor allem Extrembeispiele gezeigt, um darzustellen, wie "feindlich" der Westen gegenüber Muslimen gestimmt sei. Umgekehrt würden Rechte das Narrativ verbreiten, dass man sich gegen Muslime und Migranten wehren müsse. "Es kommt aber auch zu anderen Opferrollen und Narrativen, wie der Frustration gegen Mainstream-Medien", sagt Ebner. Weitere Themen seien Immigration und Meinungsfreiheit.

Junge Generation erreicht

Ein beliebtes Ziel sind Jugendliche.
Foto: screenshot/julia ebner

Vor allem junge Nutzer werden von der Propaganda angesprochen, erzählt Ebner. "Games sind ein beliebtes Mittel", sagt sie. Etwa wurde der Neofaschist Luca Traini, der mehrere Afrikaner in Italien attackierte, in Anspielung auf das Spiel "God of War" als "God of Racewar" illustriert. Rechtsextreme würden überhaupt viel mit Memes arbeiten, Hasskampagnen seien wie Computerspiele aufgebaut.

"Sie wissen, wie sie die Algorithmen ausnutzen können, um gezielte Kampagnen durchzuführen", sagt Ebner. Oft ginge es um die Manipulation von "Normies" – der Begriff wird bei Rechtsextremen häufig für "Normalbürger" der politischen Mitte genutzt. Gängig seien auch Einschüchterungskampagnen gegen Gegner – Ebner verweist auf Hacks und Leaks. Außerdem seien alternative Social-Media-Kanäle wie Gab, alternative Crowdfunding-Seiten und sogar alternative Datingplattformen im Einsatz.

Aus Social Media verbannen?

In der Vergangenheit wurde immer wieder der Ruf laut, Extremisten gänzlich aus gängigen Social-Media-Plattformen auszusperren. Gegner argumentieren hingegen, dass sie leichter zu beobachten seien, wenn sie auf solchen Seiten unterwegs sind. "Einerseits reduziert man die Reichweite, die Extremisten mit ihrer Propaganda im Mainstream haben können, wenn man ihre Accounts von den großen Plattformen nimmt. Andererseits können solche Entfernungen aber auch die Radikalisierungsdynamik ankurbeln, weil erstens neue Frustrationen und Verschwörungstheorien zum Thema Meinungsfreiheit entstehen, und zweitens sich in den alternativen Foren radikale Filterblasen bilden", sagt Ebner zum STANDARD.

"Wenn die Kommunikation dann gänzlich in verschlüsselte Foren und Privatchats abrutscht, kann das auch die Arbeit für die Sicherheitsbehörden deutlich erschweren. In jedem Fall wäre ein konsistenter Umgang mit Online-Hassrede wünschenswert." Dabei verweist sie auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Deutschland, welches erst bei Plattformen mit über zwei Millionen Nutzern zur Anwendung kommt. "Dann ist klar, dass es leicht zu einer Online-Migration zu kleineren, oft extremeren Plattformen kommt", kritisiert Ebner.

Technikaffin und organisiert

Auch der IS nutze eigene Apps, etwa in Deutschland einen eigenen verschlüsselten Messenger. In bekannteren sozialen Medien würden die Gruppen oft Masseneinladungen an arabisch oder muslimisch klingende Accounts versenden. Generell seien die Gruppierungen auf beiden Seiten sehr technikaffin. "Sie verwenden neue Technologien, wissen, wie sie sich international koordinieren sollen, haben ein transnationales Niveau und betreiben Hacking", sagt Ebner. (Muzayen Al-Youssef, 25.1.2019)