Der Angriff der Bundesregierung auf die Mindestsicherung, die Flüchtlinge und andere Migranten beziehen, hat neben offensichtlichen populistischen Motiven auch eine sachliche Basis: Es gibt in Österreich eine wachsende Unterschicht, die keine Ausbildung und daher schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat – und oft keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgeht. Aus rechter Perspektive wird es diesen Menschen zu leicht gemacht, nicht zu arbeiten – deshalb die Kürzung der Mindestsicherung. Aus linker Sicht sind diese Menschen ohnehin arbeitswillig, finden aber einfach keine Jobs.

Beide Positionen greifen zu kurz. Wie die Pariser OECD, der Thinktank der Industriestaaten, in ihrer neuen Studie zeigt, hat Österreich ein gravierendes Problem, junge Zuwanderer in den Arbeitsmarkt zu integrieren, und schneidet dabei im europäischen Vergleich besonders schlecht ab. Dieser Befund enthält – anders als die oben genannten Sichtweisen – keine einseitigen Schuldzuweisungen, aber zeigt einen massiven Handlungsbedarf auf.

Dass viele Migranten in Österreich weniger gut gebildet und integriert sind als etwa in Deutschland, hat auch historische Gründe. Eine große Gruppe stammt aus der Türkei, und dort aus der besonders rückständigen Gegend von Yozgat in Zentralanatolien, von wo aus sich die Gastarbeiter erst spät auf den Weg nach Westeuropa gemacht haben. Die Ehepartner ihrer Kinder und Enkel kommen oft aus dem Heimatdorf und sprechen kein Wort Deutsch. Das Recht auf Familienzusammenführung bremst dadurch die Integration.

Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt

In den Schulen wurde das Problem der Kinder aus bildungsfernen Häusern jahrelang ignoriert. Als endlich das Bewusstsein entstand, dass es keine Schulabgänger geben darf, die weder schreiben noch rechnen können, hatte die Wirtschaft bereits eine Lösung gefunden: Ab den 1990er-Jahren strömten tausende gut qualifizierte junge Menschen aus Osteuropa oder Bosnien nach Österreich. Für Türken der zweiten Generation sowie Flüchtlinge aus Tschetschenien oder zuletzt Afghanistan ist der Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt besonders hart.

Das belastet nicht nur die Betroffenen, sondern die ganze Gesellschaft. Auch wenn die Migrationskonflikte in Österreich heute weniger akut sind als etwa in Frankreich, stellt die große Zahl junger Menschen ohne Ausbildung und Job dennoch eine Zeitbombe dar. Dagegen hilft auch eine Kürzung der Mindestsicherung nichts.

Warum nicht von Wien nach Tirol?

Sehr wohl aber kann man sich die Frage stellen, warum Arbeitslose in Wien nicht stärker dazu gedrängt werden, im Tourismus in Westösterreich zu arbeiten, wo verzweifelt nach Arbeitskräften gesucht wird. Die Zumutbarkeitskriterien für Jobsuchende sind auch nach Meinung von AMS-Chef Johannes Kopf zu großzügig – und tragen damit zum Entstehen von Langzeitarbeitslosigkeit bei.

Noch wichtiger ist das Bildungssystem. Hier hat die letzte Regierung durch die Einführung und Ausweitung der Kindergartenpflicht einen wichtigen Schritt gesetzt, der laut OECD helfen sollte – aber erst langfristig. Ob die neue Ausbildungspflicht bis 18 ebenso positiv wirkt, hängt von den Begleitmaßnahmen ab. Denn eines steht fest: Erfolgreiche Integrationspolitik kostet Geld. Wenn sich die türkis-blaue Koalition mehr mit verbesserten Bildungschancen für Migranten als mit deren Sanktionierung beschäftigen würde, dann könnte sie ihre selbstgesteckten Ziele viel eher erreichen. (Eric Frey, 16.1.2019)