Die Regierung macht Ernst mit dem ORF: Im Wochentakt verhandeln Politiker von ÖVP und FPÖ – von Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) abwärts – und ihre Referenten und Experten nun nach STANDARD-Infos über ein neues ORF-Gesetz. Die Schlüsselfragen für Österreichs weitaus größten Medienkonzern und sein noch immer weitaus größtes Publikum: Wer zahlt den Medienriesen – und wofür? Und: Wer führt diese große Öffentlichkeitsmaschine, die (oft unerfüllte) Hoffnung noch jeder Regierungspartei?

Viele Antworten zeichnen sich ab. Auch wenn das Medienministerium im Kanzleramt bisher nur im engsten Kreis am neuen Gesetz bastelte – sofern Österreichs EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 dafür Raum ließ.

Der – inoffizielle – Zeitplan: Spätestens bis Sommer soll der Medienminister den Entwurf für ein neues ORF-Gesetz vorlegen. Eine Begutachtungsphase, womöglich über den Sommer. Ein rascher Beschluss zu Herbstbeginn. Und bis Jahresende eine neue ORF-Führung. Großteils, aber nicht ganz neu, sagen jedenfalls die aktuellen türkis-blauen Prognosen.

Die Generalabrechnung

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz könnte, wiewohl Sozialdemokrat, auch das dritte ORF-Gesetz in der Führung des Medienmarktführers überstehen. Nun schon das zweite ORF-Gesetz einer ÖVP-FPÖ-Regierung. Dazwischen ein Gesetz eines SPÖ-geführten Bundeskanzleramts, das Wrabetz' Amtszeit ursprünglich mit Inkrafttreten vorzeitig beenden sollte.

So sehr ORF-Aufsichtsräte von ÖVP und FPÖ (und hier auch SPÖ) seit Monate öffentlich über verschlafene Digitalisierung murren (und mit zwei Sondersitzungen Druck machten): Alexander Wrabetz erfüllte rasch die drängendsten pragmatischen Wünsche der neuen Regierungsparteien. Zwei passende Channel-Manager für ORF 1 und ORF 2, zwei passende Channel-Chefredakteure statt eines Sozialdemokraten, doch kein ÖVP-inkompatibler Unterhaltungschef, aber eine der FPÖ zuzurechnende Personalchefin – eine interne Schlüsselposition für hunderte anstehende Nachbesetzungen mit Einblick in alle ORF-Verträge.

Alexander Wrabetz hat zudem über gut zwölf Jahre gezeigt, dass er den politmedialen Komplex ORF managen kann. Und: Die vorzeitige Ablöse eines Rundfunkchefs nach einem Regierungswechsel ist zwar nicht unüblich, die politische Optik aber nicht die schönste.

Das meistgehörte Argument für Wrabetz' Verlängerung über das nächste ORF-Gesetz hinaus ist noch simpler: Wrabetz' ORF-Vertrag von 2017 sieht vor, dass er jedenfalls bis zum regulären Vertragsende 31. Dezember 2021 rund 420.000 Euro im Jahr bekommt, ob er nun ORF-Chef ist oder nicht.

Foto: STANDARD; Corn

Die Hausbesetzung

Auch die vier übrigen ORF-Direktoren mit rund 300.000 Euro jährlich sind bis Ende 2021 auszuzahlen; dennoch ist mit Ablöse zu rechnen. Das neue Gesetz ersetzt den Alleingeschäftsführer (Generaldirektor) durch – voraussichtlich – vier Vorstände, die den Ein-Milliarden-Euro-Konzern führen. Faustformel: zwei Mandate für die FPÖ, zwei Mandate für die ÖVP.

Alexander Wrabetz könnte weitere zwei Jahre auf einem FPÖ-Ticket als Vorstandsvorsitzender erledigen, zuständig fürs Digitale. Kathrin Zierhut, wohl bald ORF-Personalchefin, könnte dann Finanzen plus Technik übernehmen – schon 2016 wurde sie als ORF-Finanzdirektorin gehandelt.

Für türkise Vorstandsmandate werden häufig etwa Lisa Totzauer, nun Channel-Managerin von ORF 1, und Presse-Herausgeber Rainer Nowak genannt, aber etwa auch Chefproducer Roland Weissmann.

Beim neuen ORF-Gesetz geht es aber um vielhundertfach mehr Geld als bei den Direktorengehältern: um mehr als 630 Millionen Euro pro Jahr aus Rundfunkgebühren. Und es geht um mehr als nur Geld: Die Finanzierung ist eine Existenzfrage des ORF und auch eine seiner Unabhängigkeit, zumindest so wie die Besetzung.

Weniger GIS

Der Verfassungsausschuss des Nationalrats diskutierte vorige Woche das Volksbegehren der Christenpartei CPÖ gegen die verpflichtende GIS-Gebühr für TV- und Radionutzer. Nur SPÖ und Liste Jetzt stellten sich dort hinter die Gebührenfinanzierung des Rundfunks, die ÖVP blieb vage, die FPÖ wünschte sich "Alternativen". Und das meint auch im übrigen Europa meist: Geld aus dem Staatsbudget statt Gebühren. Das könnte den ORF zum jährlichen Bittsteller der Regierung machen.

Doch die Überlebenschancen der GIS stehen Anfang 2019 aus pragmatischen Gründen ähnlich gut wie jene des Generals in der nächsten ORF-Führung: Ein Stück zurechtgestutzt und neu definiert könnte es sie weiterhin geben. Denn selbst wenn man die gut 600 öffentlichen Millionen Euro für den ORF bei der Gelegenheit ein wenig kürzt – im Budget der Republik liegen solche Summen auch nach ein paar Steuerreformen nicht einfach auf Abruf herum.

Die absehbare Kompromissformel zwischen Gebührenabschaffung und Budgetkonsolidierung: Zumindest weniger GIS-Gebühr pro Haushalt soll es werden. Weniger Gebührengeld für den ORF ist da Thema. Aber auch, dass Länder und Bund auf Abgaben auf die GIS verzichten – derzeit gut 300 Millionen Euro.

Eine geplante Werbesteuer auch für Onlinemedien könnte diese Einnahmenausfälle kompensieren – wenn diese Einnahmen künftig an die Länder statt wie bisher an Gemeinden gehen. Von heute rund 110 Millionen Euro Werbesteuer pro Jahr für TV, Radio, Zeitungen und Plakat bekommt Wien etwa die Hälfte.

Foto: STANDARD, Corn

Das Programm

Öffentliches Geld darf der ORF nur für öffentlich-rechtliche Aufgaben und Programme verwenden. An diesen Aufgaben, dem derzeit recht breiten Auftrag, werden ÖVP und FPÖ schrauben. Er schreibt etwa "angemessene" Anteile von Information, Kultur, Unterhaltung und Sport vor. Aber: Das ausgewogene Verhältnis braucht er nur über alle ORF-Fernsehkanäle von ORF 1 bis ORF Sport Plus, entschied der Verwaltungsgerichtshof 2015. Ein neues ORF-Gesetz könnte eine Ausgewogenheit pro Kanal festlegen – der ORF bereitet sich mit mehr Information in ORF 1 statt US-Serien darauf vor.

Mindestanteile für österreichische/europäische Produktionen und österreichische Musik in den ORF-Radios stehen ebenfalls auf der türkis-blauen Agenda.

Besonders beunruhigt blickt etwa die Mannschaft von FM4 dem nächsten ORF-Gesetz entgegen. Schon vor einem Jahr führte ein – galgenhumoriger – Scherz in einer internen Sitzung zum ORF-Zentrum zur Rettungspetition für den alternativen Jugendsender. Für FM4, so der Scherz sinngemäß, werde man unter der neuen Regierung wohl keine Räumlichkeiten mehr auf dem Küniglberg suchen müssen. Neue Vorgaben für den Sender könnten die Durchhörbarkeit des Programms erschweren.

Online soll der ORF indes künftig mehr dürfen. Etwa in der Onlinewerbung, um eine gemeinsame Vermarktung österreichischer Medien zu ermöglichen. Er soll sein Programm länger als sieben Tage nach der Sendung anbieten – auch für das große Projekt einer neuen Abrufplattform ("ORF-Player") mit Empfehlungsfunktionen. (Harald Fidler, 17.1.2019)