Einer (Samuel L. Jackson) kann per Gedanken manipulieren, ein anderer (James McAvoy) switcht zwischen 23 Persönlichkeiten hin und her. In "Glass" ist das Ausnahmetalent schon die Regel.

UPI

Mit einer Reihe von Mysterythrillern, die den Zuschauer mit kühnen visuellen Manövern an der Nase herumführten, tauchte der Filmemacher M. Night Shyamalan rund um das Millennium wie ein neuer Stern am Himmel über Hollywood auf. Nach den Welterfolgen von The Sixth Sense bis The Village ist seine Karriere allerdings ins Stocken geraten, er fiel in der Gunst von Publikum und Kritik, bis er vor drei Jahren mit dem billig produzierten Split einen Überraschungserfolg erzielte – samt Überraschungsende. Da saß nämlich plötzlich David Dunn im Diner, der von Bruce Willis verkörperte, bärenstarke Held aus Unbreakable aus dem Jahr 2000.

Das Konzept eines von mehreren Superhelden geteilten Universums ist aus millionenschweren Comic-Franchises wie dem von Marvel bestens vertraut. Mit seinem neuen Film Glass folgt Shyamalan nun einem ähnlichen Rezept und führt seine Figuren in einer eigenen Privatmythologie zusammen. Dunn trifft auf Kevin (James McAvoy), auch als The Horde bekannt, den Psychotiker aus Split. Er hat 23 unterschiedliche Persönlichkeiten, wovon einige eine Vorliebe für weibliche Teenager hegen. Elijah (Samuel L. Jackson), der Mr. Glass aus Unbreakable – kopfstark, aber höchst zerbrechlich -, feiert ebenso sein Comeback. Auch wenn es eine Weile dauert, bis aus der katatonischen Starrheit der alte, böse Taktierergeist heraussticht.

Skip

Ja, es benötigt durchaus ein wenig Vorwissen, um sich in Glass zurechtzufinden. Man muss die Spleens der drei Figuren kennen, die bald in einer geschlossenen Anstalt einsitzen müssen, in der die Psychiaterin Dr. Staple (Sarah Paulson) sie davon zu überzeugen versucht, dass ihre besonderen Fähigkeiten das Resultat traumatischer Einwirkungen aus der Kindheit sind. Shyamalans Grundkonstellation hat durchaus Witz. Er setzt seine Superhelden auf eine Hochsicherheitscouch. Ein wenig wie in Sam Fullers Klassiker Shock Corridor, in dem ein investigativer Journalist bald selbst wie ein Verrückter behandelt wird, gelten die übernatürlich Begabten nun als bemitleidenswerte, wahnhafte Figuren. Oder können sie das alles wirklich?

Die Gebote des Comics

Mit den Attraktionen eines großen Superheldenschaulaufs à la Avengers kann und will Shyamalan vermutlich gar nicht mithalten. Der Film verlegt sein Augenmerk mehr auf die Frage, was die Figuren im Innersten miteinander eint und ob (oder wie) sie sich vom Rest der Menschheit unterscheiden. Das erinnert natürlich an X-Men, insgesamt ist Glass aber als delirierende Metaerzählung angedacht. Elijah ist bekanntlich selbst Comicexperte. Eines der wiederkehrenden Manöver des Films ist es nun, sich mit den Regeln dieser Welt kurzzuschließen oder sie demonstrativ nach außen zu stellen.

Damit wird Glass auch zu einer Reflexion der anhaltenden Faszination des Superheldentums. Diese kämpfen hier, mal abgesehen von ihren internen Animositäten, auch um ihren Platz in der Welt. Sie wollen nicht eingesperrt, sondern als Wesen anerkannt werden. Der US-Autor Peter Biskind, bekannt durch den anekdotenreichen New-Hollywood-Reader Easy Riders, Raging Bulls, hat für solches Begehren im jüngst veröffentlichten Buch The Sky is Falling (erschienen bei Allen Lane) eine Erklärung parat. Der Drang von Außenseitern und Exoten in die Mitte der Gesellschaft sei Merkmal eines Extremismus in der Popkultur. Toleranz würde von links wie rechts über "den magischen Kreis des vitalen Zentrums" ausgeweitet, wobei linksgerichtete Filme und Serien ein utopisches Ziel verfolgten, rechte dagegen restaurativ agieren würden.

Ärger als Antrieb

Auch wenn sich Biskind mit so disparaten Beispielen wie Dunkirk, The Walking Dead oder Avatar oft verzettelt, hat seine These, dass Pluralismus und Kompromissbereitschaft im Blockbuster-Kino abgenommen hätten, einiges für sich. Die "Cops" und "Docs", die einander im klassischen Hollywoodkino zwar ideologisch gegenüberstanden, letztlich aber die Hand reichten, wenn es darum ging, die Ordnung wiederherzustellen, haben abgedankt oder sind wie ihre Institutionen in Ungnade gefallen. Die nackte Emotion, der Ärger und Zorn, der im Herzen so manchen Superhelden schlummert, wäre stattdessen in den Mainstream gerückt; wie bei Trump ging es den entsprechenden Figuren oft darum, die "Sümpfe trockenzulegen".

In M. Night Shyamalans Glass lassen sich einige dieser Verschiebungen wiederfinden. An der bloßen Frage, ob es sich um Superhelden handelt oder um ein paar Verrückte mit Allmachtsfantasien, entscheidet sich das Drama des Films. Die Institutionen sind noch einmal gefordert, alles zu bewahren. Doch niemand hält sich an die Regeln. Und der Regisseur steht mit seinem empathischen Blick auf die Außenseiter eigentlich schon auf der anderen Seite. (Dominik Kamalzadeh, 17.1.2019)