Laut Ex-Mitarbeitern warb Mhoch3 mit Fake-Postings für Produkte aus dem Bereich Homöopathie.

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Haben Sie schon einmal im Netz Empfehlungen für Krebstherapie mithilfe von Homöopathie bekommen? Falls ja, könnte hinter der Kampagne eine Werbeagentur aus Wien stecken. Modern Mind Marketing (abgekürzt als "Mhoch3") hatte in den vergangenen Jahren immer wieder Kunden aus der Branche: Wie vier ehemalige Mitarbeiter dem STANDARD sagen, produziere sie noch heute massenhaft gefälschte Postings für ihre Auftraggeber. Schon 2014 war die Agentur für diese Praktik in die Schlagzeilen geraten, zu ihren Kunden sollen, wie das Magazin "Datum" damals berichtete, die Wiener ÖVP (die ihre Zusammenarbeit jedoch immer dementierte), ÖBB und Red Bull gehört haben.

Kunden aus der Pharmabranche

Heute sei man, so die ehemaligen Mitarbeiter, etwas vorsichtiger geworden. Politik sei etwas, worin die Agentur sich nicht mehr einmischen möchte. Andere Kunden kämen dafür – unter anderem – aus der Pharmabranche. Und beliebte Produkte, die immer wieder beworben würden, sind homöopathisch.

Die Verbesserung des Rufs im Netz wird in der Marketingbranche als "Online Reputation Management" bezeichnet. Das Prinzip der Methode ist bei Modern Mind Marketing simpel: Zuerst machen die "Redakteure" Foren ausfindig, die nicht flächendeckend moderiert werden, sagen die ehemaligen Mitarbeiter, deren Name der Redaktion bekannt ist.

Keywords, um bei Google aufzuscheinen

Auf solchen Seiten stellen sie mit gefälschten Profilen selbst Fragen. Besonders oft im Titel genutzte Keywords sind der Name des jeweiligen Produkts oder auch des Unternehmens und Worte wie "Erfahrungen mit …" oder "Kennt wer …" Der Sinn dahinter ist, langfristig bei Google-Suchen aufzutauchen. Im besten Falle bereits bei den ersten zehn Ergebnissen, wie dem STANDARD vorliegende, interne Dokumente belegen.

In dem jeweiligen Beitrag wird etwa gefragt, wie gut das Produkt ist, zudem werden beispielsweise bei pharmazeutischen Produkten Symptome genannt, gegen die das jeweils beworbene Mittel wirken soll. Zum Beispiel fragt ein Redakteur mit einem Fake-Account, was er tun könne, da er schon länger an Kopfschmerzen leide. Daraufhin antwortet ein weiteres Konto, oft derselbe Redakteur, mit einer Empfehlung des jeweiligen Mittels des Werbekunden. Die zahlreichen Accounts seien zum Teil bereits über lange Zeiträume hinweg im Einsatz und kommentieren auch andere Beiträge, wodurch sie glaubwürdiger erscheinen, sagt ein Mitarbeiter.

"Glaubwürdige Kommunikation"

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Modern Mind Marketing selbst bewirbt die Methode als "glaubwürdige Kommunikation der Erfahrungen". Die "Redakteure" würden gezielt Diskussionen auslösen, aufklären und informieren, heißt es in einer Präsentation, mit der potenzielle Kunden gewonnen werden sollen. Auch auf der Website von Mhoch3 wird die Methode prominent beworben – laut ehemaligen Mitarbeitern handle es sich auch um das "Hauptgeschäft" der Agentur.

Mehrere Mitarbeiter des Unternehmens erzählen zudem, dass neben dem sogenannten "Reputation Management" auch Blogpersönlichkeiten für unterschiedliche Werbekunden kreiert wurden, die nicht direkt mit dem Unternehmen assoziiert sind. Diese Persönlichkeiten wurden aufgebaut, in den Beiträgen sei dezent – aber ungekennzeichnet – Werbung für die Produkte des jeweiligen Kunden gemacht worden.

Privatkliniken und Kunden aus der Pharmabranche

Unterschiedliche Mitarbeiter nannten als Werbekunden das österreichische Unternehmen Apomedica. Diese bietet die Marke für homöopathische Mittel Apozema an sowie auch gegen unterschiedliche Beschwerden angebotene Produkte der Marke Dr. Böhm und das Erkältungsmittel Luuf. Apomedica erklärte auf Anfrage, dass es die "Online Reputation Management" der Agentur nicht in Anspruch genommen habe. "Dem von Ihnen angeführten gefälschten Postings im Netz im Namen von regulären Usern, um Produkte zu bewerben, haben wir nie zugestimmt und überlegen unsererseits rechtliche Schritte, sollte sich dies bewahrheiten", heißt es von dem Unternehmen.

Apomedica habe nur seine Facebook-Kanäle von Modern Mind Marketing betreuen lassen. Das Unternehmen war an der Initiative "Homöopathie Verstehen", die von der Österreichischen Gesellschaft für Homöopathische Medizin (ÖGHM) ins Leben gerufen und von Mhoch3 betreut wurde, beteiligt. Zudem habe die Agentur Online-Monitoring und Krisenmanagement betrieben. "Unabhängig davon haben wir unsere Unterstützung dieser Initiative mit 30. 7. 2018 aufgekündigt, da wir mit der Arbeit, den Inhalten und der generellen Herangehensweise nicht zufrieden waren", heißt es.

Auch nichthomöopathische Mittel werden beworben, sagen die Mitarbeiter. Weitere Kunden seien laut den Ex-Mitarbeitern deutsche Pharmakonzerne, welche gegenüber dem STANDARD auch nach wiederholter Nachfrage jedoch keine Stellungnahme abgeben wollten.

Kunden seien zudem Privatkrankenhäuser – namentlich das Hansa Privatklinikum und die Privatklinik Rudolfinerhaus. Das Hansa Privatklinikum gab an, zumindest in letzter Zeit nicht mit Modern Mind Marketing zusammengearbeitet zu haben, wollte aber auf weitere Nachfrage keine Statements abgeben.

"Ethische Richtlinien"

Das Dokument, in welchem sich das Unternehmen ethische Richtlinien vorschreibt, belegt gleichzeitig die Methoden. Etwa wird im Bezug auf Fake-Postings im Rahmen von "Online Reputation Management" davon gesprochen, dass Informationen "positiv" sein sollen und die Vorteile eines Produktes, welches beworben wird, in den Vordergrund stellen.
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Ein Sprecher des Rudolfinerhauses gibt an, die Zusammenarbeit mit Modern Mind Marketing mit 2018 beendet zu haben. Man habe zwar Dienste im Bereich "Online Reputation Management" von August 2017 bis Juni 2018 bezogen, jedoch seien zuvor vertraglich Ethikrichtlinien beschlossen worden. In diesen wird etwa spezifiziert, dass nur "korrekte und nachvollziehbare Informationen" in solchen Postings verbreitet werden dürften. Auch dürften beispielsweise Mitbewerber nicht verunglimpft werden – stattdessen sollen Beiträge die "Vorteile des beworbenen Produktes" in den Vordergrund stellen.

Ein weiterer Kunde der Agentur war, wie ein internes Papier belegt, die ÖGHM, wobei in dem Dokument nicht spezifiziert wird, inwiefern "Online Reputation Management" angewandt wurde. Presseanfragen blieben unbeantwortet. Weitere Unternehmen seien etwa Bäckereien und Leuchtmittelhersteller, wobei nicht alle Quellen diese Information unabhängig voneinander bestätigen konnten.

Rechtlich problematisch

Wie die Anwältin Gabriela Staber der Kanzlei CMS auf Anfrage des STANDARD erklärt, ist "Online Reputation Management" grundsätzlich rechtlich sehr problematisch, da ein Unternehmen die Agentur bezahlt, mit Fake-Profilen Postings zu erstellen. "Somit handelt es sich um bezahlte Werbung, die kennzuzeichnen ist", sagt Staber. Ebenfalls bedenklich sei, dass es bei pharmazeutischen Mitteln zusätzliche, strengere Werbeauflagen gibt. Etwa müssten die Postings mit der Fachinformation vereinbar sein und keine Übertreibung beinhalten. Dazu käme die Frage, ob es sich um nichtrezeptpflichtige Arzneimittel oder registrierte pflanzliche Arzneispezialitäten oder aber um rezeptpflichtige oder registrierte homöopathische Mittel handelt.

"Für rezeptpflichtige Arzneimittel und registrierte homöopathische Arzneispezialitäten ist Werbung gegenüber Verbrauchern überhaupt verboten", sagt Staber. Außerdem muss sich Arzneimittelwerbung an weitere Auflagen halten. "Beispielsweise muss sie einen Warnhinweis, wie man ihn aus der Fernsehwerbung kennt, enthalten."

Der Präsident des Werberates, Michael Straberger, sagt: "Sollte sich der Verdacht erhärten, wäre diese Vorgehensweise der Auftraggeber sowie insbesondere der Agentur nicht nur nach dem Ethikkodex des Österreichischen Werberats zu prüfen, sondern auch nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, dem Konsumentenschutzgesetz, vielleicht sogar nach dem Strafgesetz zu beurteilen."

Dementi

Martin Kirchbaumer, Chef von Modern Mind Marketing, dementiert die Vorwürfe. Zunächst erklärte er, dass bei den meisten genannten Unternehmen nur Dienste einer klassischen Social-Media-Agentur im Einsatz waren. Bei einigen Firmen gab er an, sich nicht sicher zu sein. "Hier ist große kriminelle Energie im Spiel", sagt Kirchbaumer. So versuche ein einzelner Akteur seiner Firma schon seit "längerer Zeit" zu schaden. Es habe sogar einen versuchten Hackerangriff und einen Erpressungsversuch gegeben. Nachdem das Unternehmen das Geld gezahlt hatte, habe die Person aber nicht aufgehört. Später bat Kirchbaumer darum, die Inhalte des Telefonats nicht zu zitieren. Eine Autorisierung war nicht vereinbart. Das Angebot eines weiteren Statements blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. (Muzayen Al-Youssef, 18.1.2019)