Die seit 2011 laufenden Verhandlungen zwischen Serbien und dem Kosovo über eine Verständigung in ungeklärten Fragen sowie die Herstellung eines regulären Verhältnisses zwischen den beiden Staaten stehen derzeit unter keinem guten Stern. Im September 2018 waren sie gar ausgesetzt worden, nachdem sich Serbiens Präsident Aleksandar Vučić durch Äußerungen kosovarischer Politiker gekränkt gefühlt hatte. Etwaige Gebietstäusche bleiben ein Streitpunkt. Vuk Jeremić war selbst von 2007 bis 2012 serbischer Außenminister.

STANDARD: Wie wird in Serbien über den Plan der Präsidenten Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi, den Kosovo nach ethnischen Kriterien aufzuteilen, diskutiert?

Jeremić: Auf der serbischen Seite wird das in absoluter Geheimhaltung von Präsident Vučić verfolgt. Es wird daher schwer zu einem nationalen Konsens oder einer Unterstützung durch eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung kommen, wie diese für eine derart schwerwiegende Entscheidung in einem demokratischen Land notwendig wäre. Inhaltlich geht es um eine Korrektur des derzeitigen Grenzverlaufs zwischen dem Kosovo und dem Rest von Serbien auf Grundlage der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung.

STANDARD: Sind Sie der Ansicht, dass Vučić bereit ist, auf das zu Serbien gehörende Preševo-Tal bei dem Gebietsaustausch zu verzichten?

Jeremić: Ja.

Vuk Jeremić glaubt, dass Serbiens Präsident Vučić bereit ist, das Preševo-Tal im Gegenzug für einen Teil des Nordkosovo aufzugeben.
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STANDARD: Wann haben Sie zum ersten Mal von den Gebietstauschplänen gehört?

Jeremić: Das war, als Tony Blair nach Deutschland reiste, um Angela Merkel von dieser Idee zu überzeugen. Sie ist die einzige westliche Regierungschefin, die die Grenzänderungen öffentlich abgelehnt hat. Dadurch wurde in den diplomatischen Kreisen publik, dass Vučić bereit ist, das Preševo-Tal an den Kosovo zu geben, im Austausch mit den Gebieten im Norden des Kosovo. Das umfassende Normalisierungsabkommen soll dann einen Passus beinhalten, der besagt, dass sich Serbien und der Kosovo nicht mehr wechselseitig bei der Aufnahme in internationale Organisationen behindern. Aber ich bin nicht überzeugt, dass die Haltung Serbiens die Positionen Russlands oder Chinas gegenüber der Aufnahme des Kosovo in die Vereinten Nationen – denen die beiden als Sicherheitsratsmitglieder zustimmen müssten – verändern würde. Russland würde dafür wohl noch einen zusätzlichen Preis verlangen. Selbst eine Einigung auf einen Gebietstausch zwischen Vučić und Thaçi garantiert nicht die Zustimmung des Sicherheitsrats. Zudem würden Grenzziehungen zwischen ethnischen Gruppen, um sie voneinander zu trennen, auf dem Balkan nicht beim Beispiel Kosovo und Serbien enden.

STANDARD: Wäre damit das Thema Großalbanien und Großserbien auf dem Tisch und damit die Infragestellung aller Staaten auf dem Balkan?

Jeremić: Zwei vollständig souveräne UN-Mitgliedsstaaten können nicht daran gehindert werden, sich zu vereinigen. Zurzeit kann der Kosovo – ein unter UN-Mandat stehendes umstrittenes Territorium – sich nicht mit Albanien vereinigen. Eine Grenzänderung würde aber zu einer sehr mächtigen nationalen Botschaft für alle anderen Albaner in Mazedonien und in Montenegro werden, sodass sie fordern können, dem Mutterland angeschlossen zu werden.

STANDARD: Was wären die Konsequenzen für Bosnien-Herzegowina und die separatistischen Bestrebungen von Milorad Dodik, dem Präsidenten der Republika Srpska, und der völkisch-kroatischen HDZ?

Jeremić: Wenn man einmal das Prinzip angewandt hat, ist alles möglich.

STANDARD: Offensichtlich arbeiten Albaniens Premier Edi Rama, Vučić und Thaçi in dieser Causa zusammen. Weshalb?

Jeremić: Sie haben begriffen, dass ein Beitritt zur EU in weiter Ferne liegt, deshalb setzen sie andere Prioritäten. Vučić baut seine autokratische Herrschaft aus, Thaçi versucht an der Macht zu bleiben, und Rama bläst ins nationalistische Horn. Trotz öffentlicher gegenseitiger Beschimpfungen arbeiten diese Nationalisten hinter verschlossenen Türen extrem gut und extrem eng zusammen. Man bildet aber keine Stabilität und gute Beziehungen zwischen den Völkern, indem man die Menschen durch kriegstreiberische Rhetorik gegeneinander aufhetzt. Es ist an sich nicht schlecht, wenn drei, vier Männer gut befreundet sind. Aber wenn sich gleichzeitig alle anderen streiten, dann gerät das außer Kontrolle. So war das auch in den frühen 1990er-Jahren, als Slobodan Milošević (damals serbischer Präsident, Anm.) und Franjo Tudjman (damals kroatischer Präsident, Anm.) herzliche Beziehungen pflegten und hinter verschlossenen Türen über die Teilung Bosniens sprachen. Das endete in einer verhängnisvollen Katastrophe.

STANDARD: Was hat bei der EU und den USA zur Abkehr von ihren Prinzipien in der Balkanpolitik geführt?

Jeremić: Der wichtigste Kurswechsel fand im derzeitigen EU-Außendienst statt, weil man aus Mangel an anderen außenpolitischen Erfolgen einen kurzfristigen Triumph ankündigen wollte. Dabei wissen die EU-Vertreter, dass so eine kurzfristige Sichtweise langfristig ein Rezept für eine neuerliche Destabilisierung des Balkans ist. Aber da man keinen Appetit hat, den Balkan in die EU zu integrieren, ist ihnen das egal. Weil man ohnehin nicht an den Beitritt glaubt, lässt man sich auf kurzfristige Risiken ein, weil man mit den langfristigen Folgen selbst nicht leben muss. Was die USA betrifft, so können nur die Amerikaner die Albaner dazu bringen, irgendetwas zu unterzeichnen. Die USA haben fast vollständig das Interesse an der Region verloren. Abgesehen davon sind für die USA unter Trump die demokratischen Prinzipien nicht mehr wichtig.

STANDARD: Welche Rolle spielen von serbischen Regierungsstellen bezahlte Berater, die sich für den Gebietstausch einsetzen, wie der Mitarbeiter der Kanzlei Lansky, Ganzger und Partner, Wolfang Petritsch?

Jeremić: Herr Petritsch arbeitet auf der Ebene der Europäischen Union daran. Tony Blair arbeitet als ehemaliger britischer Premierminister auf allen Ebenen und in allen Kontexten. In Amerika ist es im Umfeld von Trump Corey Lewandowski, der in der Präsidentschaftswahlkampagne mitgearbeitet hat und eine Beratungsfirma in Washington leitet, die umstritten ist, weil sie nicht transparent über ihre Kunden Rechenschaft abgibt. Lewandowski hat in Belgrad Vučić getroffen und propagiert in Washington die Teilung des Kosovo. Er wurde offiziell von der Republika Srpska angeheuert, doch er lobbyiert für die Teilung des Kosovo (offiziell arbeitet eine Firma, die unter seiner Anschrift registriert ist, als Vertreterin der RS-Regierungspartei SNSD, Anm.). Alexander Soros versucht vor allem Vertreter der Demokraten in den USA von der Teilung des Kosovo zu überzeugen.

STANDARD: Wie kann man in Serbien herausfinden, wie viel Geld die Regierung für das Lobbyieren für die Teilung des Kosovo aufwendet? Die Regierung beantwortet diese Frage nicht.

Jeremić: Ich würde Ihnen das gerne beantworten, aber Serbien ist keine Demokratie mehr. Ein Oppositioneller bekommt überhaupt keine Fragezeit mehr im Parlament. Das Recht auf öffentliche Information ist nicht mehr gewährleistet. Serbien ist eine korrupte Autokratie. Ich weiß daher nicht, wie viel bezahlt wird, aber ich nehme an, dass das keine Peanuts sind.

STANDARD: Kommt es dieses Jahr noch zu einer Vereinbarung zwischen Vučić und Thaçi inklusive Gebietstausch?

Jeremić: Ich schätze die Wahrscheinlichkeit auf 50 Prozent, denn es gibt deutlichen Widerstand, sowohl in Serbien als auch im Kosovo ist die Mehrheit der Bevölkerung dagegen, in Serbien auch die orthodoxe Kirche. Und ich würde mir wünschen, dass die europäische Öffentlichkeit wieder auf langfristige Perspektiven setzt und nicht schnelle Scheinlösungen macht. Deshalb sind Transparenz und öffentliche Diskussion darüber so wichtig. (Adelheid Wölfl, 17.1.2019)