870 Plätze wollen im Wiener Volkstheater allabendlich allein im Haupthaus gefüllt werden.

Foto: Volkstheater Wien

Wie soll das Volkstheater Wien ab 2020, dem Abgang von Direktorin Anna Badora, weitermachen? Das traditionsreiche Theaterhaus neben dem Museumsquartier sucht – nach künstlerisch einfallsreichen, aber erfolglosen Kämpfen gegen ein notorisches Auslastungstief – händeringend nach einem neuen, tragfähigen Profil. Allein im Haupthaus gilt es täglich 870 Plätze zu füllen. Die soeben erfolgte Neuausschreibung der künstlerischen Leitung (Bewerbungen bis 11. Februar) stellt eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft der gesamten Wiener Theaterlandschaft dar. Gesucht wird eine "profilierte Persönlichkeit oder ein profiliertes Kollektiv, die oder das für ein zeitgenössisches, politisches Theater mit einer unverwechselbaren Handschrift steht". Jahresetat: rund 15 Millionen Euro.

Diese Formulierung lässt vieles offen, um, so heißt es, vieles möglich zu machen. DER STANDARD hat fünf Theaterschaffende nach ihren Erwartungen an das Volkstheater der Zukunft gefragt.

"Wünsche mir Willi Resetarits und Tilda Swinton"

"Ich habe vor einem gutgemachten Musical gleich viel Respekt wie vor einer komplexen Performance. Für das Volkstheater wünsche ich mir keinen Glaubenskrieg über Theaterformen, sondern eine lebendige Bühne mit Mut und Lust. Ein Theater, das täglich über 800 Menschen ansprechen will, muss diese Menschen ehrlich schätzen. Das Publikum leistet so viel: sich informieren, Karten kaufen, Kinderbetreuung organisieren, sich auf den Abend einlassen und vieles mehr. Diesem Publikum schuldet man Zuwendung. Eine Mischung aus Ensembletheater und Raum für freie Arbeiten kann das leisten.

Wenn die freie Szene mit ihren Arbeitsweisen auf die Struktur eines Stadttheaters trifft, braucht es dort Veränderungen. Das ist meine Erfahrung, nachdem ich ein solches Residenzprogramm für Künstler am Schauspiel Leipzig initiiert habe.

Für das Volkstheater gibt es kein Patentrezept. Daher dürfen künstlerische Versuche nicht dem Prinzip Hire and Fire unterworfen werden. Persönlich wünsche ich mir vom Volkstheater eine Inszenierung mit Willi Resetarits und Tilda Swinton in einer Konzeption von Otmar Wagner im Bühnenbild von Pipilotti Rist – aber vielleicht mach ich das lieber selber im WUK."

Foto: Jana Kaunitz

Esther Holland-Merten, Leiterin WUK Performing Arts

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"Den Künstlern eine Manege bieten"

"Meiner Meinung nach ist die Komödie die beste Form, Inhalte zu transportieren und sie einem Publikum näherzubringen, einem Publikum, das die Wahl hat, mit einem Inhalt konform zu gehen oder nicht. Die Komödie erzwingt nichts. Die Komödie vermittelt von Natur aus die 'kind human message'. Sie funktioniert im Idealfall frei von Trends und Traditionen und entflieht somit leichtfüßig sowohl der Daumenschraube der verstaubten Erwartungen, also des Konservativen, als auch dem Diktat des bemüht Angesagten.

Außerdem kann ich mir vorstellen, dass Projekte, die weniger damit beschäftigt sind, sich selbst zu definieren, sondern vor allem den KünstlerInnen eine Manege bieten und der handwerklichen komödiantischen Virtuosität mehr Raum geben, das neue politische Theater formen werden. Diese Würdigung der künstlerischen Leistung sollte dazu führen, dass die Leitung eines Theaters den Schauspielern – auf die es letztlich im Moment des überschlagenden Funkens ankommt – unbedingt auf Augenhöhe begegnet, um einer nach außen getragenen sozialen, weltoffenen und humanistischen Haltung auch intern gerecht zu werden. Das halte ich für wichtig, egal an welchem Haus."

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Alexander Pschill, Schauspieler und Theatergründer

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"Ensemble? Ja, aber in erweiterter Form"

"Im Volkstheater stößt Repertoiretheater, wie wir es kennen, offensichtlich an Grenzen – künstlerisch und budgetär. Den Künstlern, die dort arbeiten, kann man das am wenigsten vorwerfen. Wer glaubt, es reicht, in gewohnten Bahnen weiterzumachen, nur vermeintlich besser, wird scheitern. Die vielzitierte 'Eventbude' wäre aber genauso falsch. Was nützt der schönste Gastspielbetrieb, wenn die Arbeiten nicht den Atem der Stadt und die Erfahrungen der Menschen hier teilen?

Ensemble? Ja! Vielleicht bedeutet das in Zukunft nur etwas anderes: nicht nur Personal, aus dem Stücke besetzt werden, sondern eigenständige Künstler und Denker, die über einen längeren Zeitraum gerne miteinander arbeiten und darüber einen unverwechselbaren Stil entwickeln. Ich will hier Theater sehen, das dicke Bretter bohrt und starke Texte nicht scheut, das neue Formen sucht und sich für andere Künste öffnet genauso wie für überregionale Zusammenarbeiten. Das sich als öffentlicher Ort begreift, an dem gestritten wird.

Die Arbeit in den 'Außenbezirken' ist das unterschätzte Potenzial des Volkstheaters. Die Stadt wächst und verändert sich gerade dort am meisten – hier mit den Menschen ins 'künstlerische' Gespräch zu kommen, sie in Arbeiten, die vor Ort entstehen, einzubinden und diese dann ans Haus zu holen wäre eine wichtige Aufgabe."

Foto: Robert Newald

Sabine Mitterecker, Theaterregisseurin

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"Durchlässigkeit gegenüber der freien Szene schaffen"

"Teil der Lösung könnte Folgendes sein: Das Volkstheater wird durchlässig gegenüber der freien Szene – die Aktivitäten, die bisher unter dem Label 'Volkstheater Bezirke' stattfanden, werden neu und prozessorientiert(er) aufgesetzt. Das Budget dafür wird erhöht und über Calls an Exponenten der lokalen und internationalen freien Szene ausgelagert. Die so entstehende künstlerische Dynamik kreiert spannende Wechselwirkungen zwischen 'Vorstädten', freier Szene und dem großen Haus.

Die Auflösung der eigentlich nie begründbaren 'gläsernen' Decke zwischen institutionellem Theater und freier Szene kreiert neue Jobs: Diese Maßnahme trägt zur Wertschätzung (endlich!) dieser Szene in Wien bei. Das derzeit völlig überbevölkerte und unterdotierte Fördersystem wird entlastet. Inhaltlich entwickelt sich so ein lebendiger Austausch von Formen freien und institutionalisierten Schaffens in der Stadt, der Diskurse anregt und die Qualität steigert – und Wien könnte ein exemplarisches Modell für den Kunstbetrieb schaffen.

Auch das verlorene Mainstreampublikum kann sich angesprochen fühlen. Via teilhabende Praxis wird es mittelfristig wieder ans Haus zurückkehren.

Foto: Aschwanden, Gesell, Turk

Daniel Aschwanden, Performer und Choreograf

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"Ein radikales politisches Oppositionstheater fehlt"

"Ein Blick auf die letzten vier Direktoren des Volkstheaters offenbart das ganze Dilemma: Unter Paul Blaha rekrutierte sich der Großteil des Publikums aus (alten) SPÖ-Mitgliedern, und wie diese Partei sah dann auch der Spielplan aus: alt und verstaubt. Dann kam Emmy Werner, die sich das Motto 'Spagat zwischen Kunst und Kommerz' auf ihre Fahnen heftete, die aber irgendwann auch nur noch auf halbmast standen. Michael Schottenberg versuchte es mit dem roten Stern, den er aufs Dach setzte und mit dem er das Volkstheater in eine Art Wiener Volksbühne verwandeln wollte. Geleuchtet hat der Stern aber nie.

Anna Badora nun muss feststellen, dass das Prinzip Copy-and-Paste in Wien nicht so einfach funktioniert. Die katastrophalen Auslastungszahlen sprechen ja Bände. Also, was tun mit diesem Haus an der Zweierlinie? Zunächst einmal müsste man die bösen Geister der Vergangenheit vertreiben und das Haus ordentlich durchlüften. Angesichts der auf uns zukommenden Klassenkämpfe (ja, ja, sie werden kommen!) wäre es einen Versuch wert, das VT als radikales politisches Oppositionstheater – natürlich auf hohem ästhetischem Niveau, das verlangt ja die Ausschreibung – zu positionieren."

Foto: Heribert Corn

Kurt Palm, Autor und Gelegenheitsregisseur

(Margarete Affenzeller, 18.1.2019)