Verena Dengler (Jahrgang 1981) studierte an der Akademie der bildenden Künste. Sie lebt und arbeitet als bildende Künstlerin in Wien.

Foto: privat

Mir schwirren die Sinne, mein Wissen schweigt. Lang war mein Schlaf, ich bin erwacht, wer ist der Held, der mich erweckte? Die Raunächte sind vorbei, mir brummt der Schädel, das neue Jahr unter Blau-Schwarz II fängt so an: Christian Thielemann dirigiert das Neujahrskonzert, Gottfried Küssel wird wieder mal ausm Häfn entlassen, und ich darf für einen Shitstorm-trächtigen Text (Achtung, Achtung, liebes Forum!) in den Ring des Nibelungen an der Wiener Staatsoper gehen.

Es braust mein Blut in blühender Brunst; ein zehrendes Feuer ist mir entzündet. Von der Opern-WC-Ruine Karlsplatz-Passage wird das Publikum mit der Rolltreppe nach oben gespült, und drinnen steht Staatsopern-Direktor Dominic Meyer auf der Festtreppe und begrüßt die Popp-&- Kretschmer-Laufkundschaft.

Meine Lateinlehrerin im Gymnasium war die Frau des damaligen Unterrichtsministers Erhard Busek. Sie hat uns in den 1990er-Jahren immer ur zusammengeschissen, wie unkultiviert wir heutzutage sind in Wien, sie seien als Jugendliche "jeden Tag in die Oper gegangen". Daran gemahnt es mich matt, als ich meinem Date die Presse-Regiekarte in die Hand drücke und ihr ins Ohr flüstere: "Baby wenn du willst, dann werd ich Opernkritikerin, nur für dich und deine Eltern, wenn ihr wollt, kommt's vorbei in die Oper, ich hab noch paar Karten umsonst da."

Die Riesen aus dem "Rheingold".
Foto: Poehn/Staatsoper

In meiner Brust schwelen ein paar Vorurteile gegenüber der ganzen Angelegenheit. Erstens: der Komponist (Antisemit) und zweitens: weil der Dirigent Axel Kober angeblich Borussia-Dortmund-Fan ist. Aber ich war schon mal in einer Parsifal-Variante von Jonathan Meese, und das war gar nicht so schlecht. Vor allem die Sailormoon-Kostüme und Jazz-Einschübe, also schau ma mal.

Die Dame neben mir ermahnt ihren Mann noch mal, sein Handy auszuschalten, und er ist ihrem kontrollierenden Tonfall gegenüber weder genervt noch gleichgültig. Das ist die Schönheit und der Terror jahrzehntelanger Beziehungen, die sich an so einem Abend hier in jeder kleinen Geste spiegeln. Ich lausche den Diskussionen um die Brötchen-Bestellungen für die Pause, es ist das Walhall der großbürgerlichen Pärchen-Symbiose.

Platz genommen hoffe ich, vielleicht ein paar Pretty-Woman-Kandidaten in den Logen zu erblicken, aber da geht's auch schon los mit dem Rheingold: "Weia! Waga! Woge, du Welle! Walle zur Wiege! Wagalaweia! Wallala weiala weia!" Wagner war ja bekanntlich ein großer Anhänger der Alliteration und manch akademischer Nischenforschung zufolge vielleicht auch der erste Rapper. Egon Friedell fand seine Prosa "merkwürdig und unmusikalisch".

Fricka ist böse auf den Göttergatten Wotan: Er hat Siegmund und Sieglinde gezeugt, aber nicht mit ihr. (Szene aus dem "Rheingold")
Foto: Poehn/Staatsoper

Die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf hatte 2007 Premiere. Das Bühnenbild macht auf mich einen schlecht gealterten Eindruck. Der erste Aufzug, grüne Unterwasserszenerie, darin die mit den Armen wachelnden Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Flosshilde. Vor zehn Jahren wäre es vielleicht noch als popkulturelle Anspielung auf Disney durchgegangen. Jetzt wirkt es ungefähr so, als wäre das Theater der Jugend für einen Palmers-Meerjungfrauen-Werbespot zuständig gewesen.

Die Videoprojektionen wirken ähnlich verstaubt wie Blue Planet – Urzeit der Giganten, die Dinosaurier-Multimedia-Installation im Wurstelprater. Übrigens, nur weil Wagner Antisemit war, ist doch nicht auch seine Kunst gleich antisemitisch. Vielleicht war sein Aufsatz "Das Judenthum in der Musik" auch nicht so gemeint? Sprach es, und schon kam der kleine dicke Jude (Zwerg Alberich) hinunter in den reinen Rhein, geldgeil aufs Rheingold aus. Das Bühnenbild dazu sieht aus wie ein Haufen Plastikpommes, das man als Spielzeug Nummer fünf zum Happy Meal dazubestellen kann. Dann bricht der jüdische Kapitalist noch ein Nugget Gold raus. Kevin und ich gehen nachher ins Wein & Co auf einen Drink zur Nachbesprechung und sinnieren darüber, ob der Kellner uns vielleicht so viele Komplimente macht, um mehr Trinkgeld zu bekommen? Nach Wagners Kapitalismuskritik wäre das gut möglich.

Auf die Walküre ein paar Tage später bin ich schon gespannt, nicht nur weil der Weg, den ich immer von meinem Haus zur Pizzeria Rosito in Hirschstetten gehe, nach der Opernsängerin Maria Jeritza benannt ist, die die Brünnhilde in der Premiere von 1930 gesungen hat, sondern auch, weil es endlich um das Thema Inzest geht. Leider funktionieren die Untertitel-Displays anfangs nicht, es gibt ein allgemeines Gefummel auf der Suche nach dem On-Knopf. Generell muss man dem neuen Informationssystem der Staatsoper (seit der Spielzeit 2017/2018) aber großes Lob aussprechen: Man kann auf den Screens auch am Buffet für die Pause vorbestellen. Das Einzige, was fehlt, wäre so was wie die Anzeige der restlichen Flugdauer (vor allem bei Wagner) und vielleicht eine Direktnachricht-App an andere Sitzplätze, zum Anbandeln.

Der letzte Kitsch: "Walküre".
Foto: Poehn/Staatsoper

In der Walküre begegnen sich zwei Menschen, und es ist arge Liebe auf den ersten Blick, der letzte Kitsch. Blöderweise kommt das nicht bei allen so gut an, weil sich herausstellt, dass sie sich ein bisschen zu ähnlich sind. Wagner war selber Sternzeichen Zwillinge und hat den Sphären Erde und Luft für diese Liebesgeschichte die Tonarten D-Dur und h-Moll zugeordnet. Ziemlich langgezogen kann man der Annäherung von Höhenflug und echter Verankerung beiwohnen. Die punktierten Achtel beim Walkürenritt sind vom Feinsten, nur die Trompeten waren etwas laut. Sonst passt es, dass die Bläser hier an vorderster Front agieren, in Hundings Horn steckt ja auch irgendwie das Wort "horny" drin.

Siegmund hat zwar sein Schwert aus der Scheide herausgezogen, allerdings wird Sieglinde (hervorragend: Martina Serafin) trotzdem schwanger. Svetlina Stoyanova, Stipendiatin von Novomatic, gibt als Roßweiße ihr ausgezeichnetes Rollendebut an der Wiener Staatsoper.

Der Maske muss man auch großes Lob aussprechen, die fettigen langen Haare der Männer bringen den richtigen Auf-Spielkonsole-hängengebliebener-Typ-Look, den diese ganze Fantasy-Schose braucht (Masken-Leitung: Beate Krainer). Im Siegfried gibt es dann noch ein bisschen Einstürzende-Neubauten-Feeling, als Stephen Gould beim Schmieden seines Schwerts im Rhythmus der Musik auf Metallzeug herumhämmert. Was soll uns das wohl sagen? Dass wir es hier mit Handwerk zu tun haben, fad, aber solide? Okay, wenn man aus Wagner irgendetwas Interessantes rausholen will, sollte man sich ohnehin nur an Quentin Tarantino orientieren, der hat das in Django Unchained ("Broomhilda von Shaft") ohne Rücksicht auf Verluste gemacht.

Am Sonntag ist Götterdämmerung. Ich nehme an, Brünnhilde und Siegfried werden wieder enthusiastisch ihre Liebe besingen, bei Wagner ist alles immer ein bissl too much. Ich hoffe, dazu gibt's Fastfood aufm Silbertablett. (Verena Dengler, 18.1.2019)