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STANDARD: Fassungslos stehen die Europäer vor dem Brexit-Schlamassel. Wird es Zeit für eine überparteiliche Notstandsregierung?

Bogdanor: Großbritannien ist nicht Deutschland. So etwas wie die große Koalition, das hat hier keine Chance. Es gibt keinen Konsens, und die Oppositionsparteien werden nichts dazu beitragen, Premierministerin May zu helfen.

STANDARD: Sollten sie nicht der Nation helfen?

Bogdanor: Labour will Neuwahlen, die Liberaldemokraten halten ein zweites Referendum für angemessen. Die SNP (Schottische Nationalpartei, Anm.) würde zurückfragen: welche Nation? Sie benutzt die Krise dazu, mehr Befürworter für Schottlands Unabhängigkeit zu finden. Dazu kommt: Die beiden großen Parteien – Konservative und Labour – sind, was Europa angeht, in der Mitte gespalten.

STANDARD: Parteiinteressen stehen über nationalen Interessen?

Bogdanor: Umfragen zufolge wünschen sich mehr als 50 Prozent der Tory-Mitglieder die No-Deal-Lösung. Bitte bedenken Sie, wie Mays Nachfolger als Parteivorsitzender und damit Premierminister gewählt würde: Die Unterhausfraktion bestimmt zwei Kandidaten, diese stellen sich dem Parteivolk in einer Urabstimmung. Der nächste Chef oder die nächste Chefin wird also, vorsichtig gesagt, deutlich weniger stark dem Remain-Lager angehören als May.

STANDARD: Wenn sich nichts bewegt, kommt dann No Deal?

Bogdanor: So steht es im Gesetz. Meiner Meinung nach wird das aber nicht passieren. Sondern das Parlament wird noch einen Deal verabschieden, der dem Austrittsvertrag und der politischen Erklärung sehr nahe kommt.

STANDARD: Das Unterhaus hat Theresa Mays Verhandlungspaket vergangene Woche mit riesiger Mehrheit abgelehnt ...

Bogdanor: Dafür gibt es politische, aber kaum inhaltliche Gründe. Dieser Deal ist für Großbritannien und Nordirland eine gute Lösung. Ich muß sagen: Ich hätte nicht gedacht, dass die Regierung so viel herausholt.

STANDARD: Der Deal geht an die Schmerzgrenze der EU. Warum wird das in London nicht gesehen?

Bogdanor: May hat kein Talent dafür, ihre Politik auch zu verkaufen. Sie sagt eigentlich immer nur: Das ist besser als gar kein Deal.

STANDARD: Für wie realistisch halten Sie ein zweites Referendum und eine Brexit-Umkehr?

Bogdanor: Ich habe das im Herbst befürwortet. Mittlerweile bin ich anderer Meinung. Die "Leavers" würden sich mit Händen und Füßen gegen das notwendige Gesetz im Unterhaus wehren. Die Schotten würden sofort eine zweite Abstimmung über ihre Unabhängigkeit fordern. Und wenn "Remain" nicht mit klarer Mehrheit gewinnt, bliebe die Frage politisch ungeklärt.

STANDARD: Könnte sich Königin Elisabeth II. noch in den Prozess einschalten?

Bogdanor: Es gibt nichts, was die Queen tun könnte oder sollte. (Sebastian Borger, 21.1.2019)