Auch abgesehen davon vertrete ich die These, dass die Vorstellung von der angeblichen Social Media-Blase so nicht stimmen kann.

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Der Dezember war ein harter Monat. Nein, nicht, was sie meinen. Es war nicht der klassische Vorweihnachtsstress, denn meine Familie feiert ein wenig anders. Der Dezember war stressig, weil ich mehrmals daran erinnert wurde, dass ich leider gar nicht in der vielbeschworenen Blase lebe, in der wir uns angeblich alle abschotten, und insbesondere wir Journalisten.

Familienfeier. Eigentlich eher eine Zusammenkunft von langjährigen Freunden und ein paar Verwandten. Mein Gastarbeitervater und seine Gastarbeiterfreunde unterhalten sich darüber, wie unfair es ist, dass ein gemeinsamer Bekannter nach nur zehn Jahren in Österreich eine Invaliditätspension bekommt, sie alle hätten sich schließlich jahrzehntelang für ihre Pensionen abgerackert.

Spielplatz. Eine Mutter fragt mich, ob ich auch Sorge habe, dass meine Kinder zusammen mit "Gott weiß was für Kindern in einer Klasse landen". Einige Zeit später fragt sie etwas verschämt, in welcher Sprache ich mit meinem Sohn soeben gesprochen habe.

Plauderei. Eine Bekannte sorgt sich um die Weltsicht ihrer Kinder. Sie würde ihnen gerne "echte Armut zeigen", aber wo kann man das in Österreich bloß finden? Also so richtig, mit Blechhütten und Lumpen?

Auf Twitter, wo ich oft und gerne bin, werde ich regelmäßig von serbischen, kroatischen, mazedonischen, österreichischen Nationalisten, Antifeministen, Trollen beschimpft und provoziert. Im Dezember war das nicht viel anders.

Auch abgesehen davon vertrete ich die These, dass die Vorstellung von der angeblichen Social-Media-Blase so nicht stimmen kann. Haben Sie, bevor Sie auf Twitter und Facebook nach Belieben mit der ganzen Welt streiten oder nur Katzenfotos liken konnten, täglich im Bus Wildfremde angesprochen, um mit ihnen eine politische Debatte anzufangen? Na eben.

In einer Gesellschaft wie der österreichischen, die doch sehr konservativ ist und wenig soziale Durchlässigkeit oder sozialen Aufstieg kennt, sind mit den sozialen Medien die Blasen doch erst etwas aufgebrochen worden. Mit dem Internet kam Bewegung in den Medienkonsum, der in der Regel aus einer Tageszeitung (mehrheitlich "Krone") und der "Zeit im Bild" bestand, sagte neulich jemand auf Twitter. Und er hat recht.

Einige Journalisten (auch nur ein Produkt der eigenen Biografie, wie Sie aus der letzten Kolumne wissen) waren in der Vergangenheit vielleicht etwas mobiler, sind mehr unterschiedlichen Menschen begegnet als der durchschnittliche Bürger. Das Gleiche passiert auch jetzt, eben auch noch online.

Wo ist also diese Blase, von der alle reden, in der ich mich vor allen, die anders denken, anders leben, mich irritieren und aufregen, verstecken kann? Ich kenne nämlich nichts anderes, als mich ein Leben lang in einer Umgebung zu bewegen, in der ich immer etwas fremd bin. Nicht zuletzt in der eigenen Familie.

Der Dezember war ein harter Monat. Ich habe entgegen meiner Gewohnheit nicht immer widersprochen und hitzig diskutiert. Nicht am Spielplatz und nicht in Gesprächen über Armut. Lediglich meinem Vater habe ich zu seiner Integration in diesem Land gratuliert. Bis vor kurzem hat er noch in Debatten über die Kriege in Ex-Jugoslawien nationalistische Reden geschwungen. Nun ist er nach 45 Jahren in Österreich angekommen und lässt sich von der elenden Neiddebatte mitreißen. Čestitam.* (Olivera Stajić, 21.1.2018)