Danach gab es einen Anschiss vom Coach. Welchen Teil von "Pause" ich nicht verstanden hätte. Denn auch wenn der Arzt gemeint hatte, ich dürfe – wenn ich unbedingt wolle – ein bisserl locker und ohne Druck herumjoggen, habe er mir nicht ohne Grund "Dauerschwimmen" in den Trainingsplan geschrieben – und nicht Dauerlaufen.

Foto: thomas rottenberg

Dass er aus der Ferne (er ist gerade in Äthiopien, um mit Haile Gebrselassie eine Kaffeeimport-Idee umzusetzen, aber dazu ein anderes Mal) gefragt hatte, ob ich beim Eisbärlauf ein paar Teamfotos machen könne, habe nicht bedeutet, dass ich die Bilder während des Laufens ... und so weiter.

Kurz gefasst: Es war ein Anschiss. Und natürlich hatte Harald Fritz recht. So wie immer: "Der Coach hat immer recht" ist der wichtigste Satz in jeder Trainingsgruppe.

Aber vielleicht sollte ich doch von vorne beginnen.

Foto: Ausdauercoach.at

Diese Geschichte beginnt am Sonntag vor zwei Wochen. Da hat mir mein linkes Knie aus dem Nichts und ohne Vorwarnung einen bösen Streich gespielt: Beim gemütlichen Gruppenlongjog fühlte es sich plötzlich an, als habe mir jemand mit dem Vorschlaghammer draufgeschlagen. Ich habe das vor zwei Wochen hier kurz erwähnt – und mir nichts weiter gedacht. Verknacksen oder blöd auftreten passiert.

Und weil ein oder zwei Tage Laufpause niemanden umbringen, machte ich erst am Donnerstag frühmorgens eine kleine Morgenrunde.

Foto: thomas rottenberg

Es war kalt, ich war noch müde – und Beine und Körper fragten im Kopf, ob ich wo "angrennt" wäre, um diese Zeit nicht im Bett zu liegen: ganz normal. Dann wurde ich langsam warm. Das Laufen begann sich gut anzufühlen.

Bis zur ersten roten Ampel. Als ich bei Grün wieder losrannte, wäre ich beinahe vornübergekippt: Bumm, da war der Vorschlaghammer. Aus dem Nichts. Wohl doch nicht einfach nur einmal blöd aufgetreten.

Noch vor dem Duschen – lange vor Ordinationsbeginn – schreib ich meinem Arzt. Ob es einen Slot gebe, weil ... und so weiter. Noch während ich im Bad war, kam der Rückruf aus der Sportordination: Anstatt Zeit damit zu vertrödeln, das soeben Geschriebene mündlich zu erzählen, solle ich gleich zum MRT. Der frühestmögliche Termin sei aber leider erst Samstagfrüh.

Foto: thomas rottenberg

Wer die oft wochenlangen Wartefristen für ein MR und ähnliche Sonderleistungen kennt, weiß: Zweiklassenmedizin äußert sich nicht in der Qualität der Betreuung – sondern in der Geschwindigkeit im Service. Und auch wenn der nächste Satz Garant für einen Watschentanz in der Postergemeinschaft ist: Dafür zahle ich bereitwillig. Auch weil ich gelernt habe, dass ich damit niemandem etwas wegnehme.

Foto: thomas rottenberg

Ich hatte diese Woche das Nichtlaufen durch ein Mehr am Rad, im Wasser und auf der Yogamatte kompensiert. "Alles, was nicht wehtut", hatten die beiden Fritze (Harald, der Coach, und Robert, der Arzt – sie sind nicht verwandt) mir unisono erlaubt.

Als ich den MR-Befund am Samstag las, war ich beruhigt: kein Meniskuseinriss. Ich war seit Tagen schmerzfrei – und beschloss, es am Sonntag zu versuchen. Locker. Langsam. Bei der kleinsten Irritation würde ich abbrechen.

Es war ein Traum. Eine Befreiung. Ich trabte ganz entspannt an. Dümpelte gemütlich dahin: Donaukanal. Prater. Von der Piste ins softe Gelände. Großartig! Ich hörte in mich hinein, als hoffte ich, von meinem Knie die Antworten auf alle Fragen des Universums zu bekommen. Aber die einzige Ansage war: renn!

Fünf, sechs Kilometer. Immer noch großartig! Ich begann mich zu langweilen – und zog nach Kilometer sieben das Tempo an. Alles gut. 7,5k – noch ein wenig mehr. Acht – ich war fast auf meiner Komfort-Langstreckenpace. Perfekt. 8,5k. Bumm. Aus dem Nichts.

Foto: thomas rottenberg

Am Montag hoppelte ich – eh klar: komplett schmerzfrei – zum Arzt. Reinhard Schmidt, "mein" Gelenkspezialist in der Sportordi, drehte, knetete und schraubte an meinem Knie und kam dann zu meinem Lieblingspart jeder (sport)medizinischen Behandlung: dem Bilderrätsel.

Vermutlich könnte mir ein Arzt anhand eines Mammut-Kieferröntgenbildes erklären, dass ich schwanger bin – und ich würde nicht nur verstehend nicken, sondern es auch selbst erkennen.

Aber wenn der Arzt die "richtige" Diagnose stellt, ist mir alles recht: Meniskus okay, Ansatzreizung des Semitendinosus, sagte Schmidt. Von allen möglichen Szenarien das mit Abstand am wenigsten schlimmste – das Tante-Jolesch-Prinzip gilt eben auch im Sport. Nicht das von Mann, Aff' & Luxus. Das andere: "Möge der liebe Gott uns behüten vor allem, was 'noch ein Glück' ist."

Falsch gemacht, tröstete mich der Arzt, hätte ich nichts: Irgendwo falsch aufgetreten, irgendwann überlastet, irgendwie eine Entzündung abbekommen – so was passiert eben. "Radfahren, Schwimmen, Yoga – alles, was nicht wehtut, ist erlaubt und gut. Schmieren, Physio, Rolle." Pause. Jetzt die schlechte Nachricht: "Laufen, Ski fahren oder skaten beim Langlaufen solltest du grad nicht. Nein, auch nicht eislaufen." Merde.

Foto: thomas rottenberg

Sportmediziner wissen, wie Bewegungsjunkies funktionieren. Weil es da nicht nur ums Organische geht. Wenn man uns nicht artgerecht hält, gehen wir ein. Kachelzählen (Schwimmen), Zwiften (Radfahren auf der Rolle) und Einatmen-ausatmen-Popoindiehöh’ (Yoga) sind fein. Aber Draußensein halt doch was anderes. "Vernünftig wäre eine Pause. Aber wenn du absolut schmerzfrei bist, ist ein bisserl Laufen drin. Du musst aufhören, bevor der Schmerz kommt. Such dir Routen nahe an der U-Bahn."

Am Weg zurück ins Büro traf ich einen Freund. Der sprach aus, was ich mir verkniffen hatte: "Aufhören, bevor es wehtut? Das ist so wie 'Nehmen Sie die Würstel 30 Sekunden bevor sie aufplatzen aus dem Wasser‘." Trotzdem: "Das ist Jammern auf höchstem Niveau."

Foto: thomas rottenberg

Ich war brav. Superbrav. So brav, dass ich vor Langeweile fast starb: Schwimmen. Rad fahren. Yoga. Yoga. Rad fahren. Schwimmen. Faszienrolle. Wenn ich Läuferinnen und Läufer sah, wurde ich trübsinnig. Ich hatte das Gefühl, Netflix auf der Rolle leergeschaut zu haben.

Als Wiens Rollenradcommunity am Freitag von Zwift und Wahoo zur Bergsprint-Challenge ins Start-up-Center im Nouvelturm eingeladen war, fragte mich eine der Damen des Rennradclubs "Mitzi & Friends", ob ich spontan in eines der Rennen vor einem Bildschirm einsteigen wolle. Ich wollte weinen: Ja, ich bin ein Junkie. Und auf Entzug.

Foto: thomas rottenberg

Aber hatte Reinhard Schmidt, der Arzt, nicht gesagt, dass ich eh locker joggen dürfe? Schmerzfrei, ohne Ehrgeiz und in U-Bahn-Nähe?

Aber ein bisserl im Kreis laufen im Prater sollte drin sein: Beim ersten LCC-Eisbärlauf waren neben hunderten anderen netten Menschen auch viele meiner Freunde dabei. Die meisten wollten zügige 14er hinlegen. Mir würde es schon genügen, einfach hinten mitzutraben. Mit einer Aufpasserin: "Du rennst, wenn, dann nicht ohne mich. Ich mache das Tempo. Wenn ich sage, dass du raus bist, bist du raus. Egal, wann", gab Eva die Domina.

Foto: thomas rottenberg

Schon beim Start waren unsere Freunde in der Sekunde weg. Wir trabten im hintersten Viertel. Locker. Nett. Mit angezogener Handbremse. Ich kam mir vor wie ein Hund, der Bei-Fuß-Gehen lernt: Wenn er zieht, reißt man nicht an der Leine, sondern bleibt stehen. Irgendwann kapiert er es. Vielleicht. Vermutlich boten wir ein seltsames Schauspiel. Egal.

Es war wie in der Vorwoche: Da war nicht einmal die Idee eines Problems oder Schmerzes. Nach fünf Kilometern durfte ich das Tempo ein Alzerl anziehen. Aber als ich nach der ersten Runde noch ein wenig zulegen wollte, kam der Ordnungsruf: "Denk nicht mal dran."

Foto: thomas rottenberg

Dann, nach exakt acht Kilometern, begann sich ein komisches Gefühl ins Knie einzuschleichen. Ich schickte ein Mantra hinunter: "Du bist nicht da. Ich spür dich nicht. Es gibt dich nicht. Schleich dich." Mich selbst hätte ich vermutlich bescheißen können – Eva nicht.

Ein Blick von der Seite: "Alles okay?" – "Ja, alles bestens." – "Für wie deppert hältst du mich eigentlich? Wir sind raus." Natürlich hatte sie recht. Aber: Muss ich das echt zugeben?

Foto: thomas rottenberg

Immerhin: Ich war rechtzeitig im Ziel, um meine Freunde einlaufen zu sehen. Die meisten waren zufrieden: Es war ein perfekter Lauftag. Fast windstill. Trocken. Nicht eisig, aber kalt genug für schnelle Zeiten. Alle strahlten.

Ich eigentlich auch: Das bamstige Gefühl hatte sich schon am Fußweg zurück wieder vertschüsst. Der Schmerz hatte sich nur angemeldet, war aber diesmal nicht einmal bis zur Türschwelle gekommen. Natürlich war ich frustriert: Es war mein erstes DNF ("did not finish") bei einem Bewerb seit Ewigkeiten. Aber andererseits: na und?

Den Anschiss vom Coach gab es – eh klar – dann trotzdem. Aber eher pro forma: Im Trainingsplan steht für diese Woche zum Glück schon ein Lauf. 30 Minuten Trab nur, aber immerhin: Die Tante Jolesch war keine Läuferin. Aber eine weise Frau. (Thomas Rottenberg, 23.1.2019)

Weitere Beiträge von "Rotte rennt"

Foto: thomas rottenberg