Einer Frage konnte man in Genf kaum entrinnen: Bist du pro oder kontra Code 11.59? So heißt die neue Kollektion der von vielen kultisch verehrten Uhrenmarke Audemars Piguet (AP). Kaum ein anderes Modell polarisierte mehr auf dem Salon International de la Haute Horlogerie (SIHH). Manchem schossen beim Anblick der neuen Uhren gar die Tränen in die Augen – und das lag nicht nur am Preis. Sind die Uhren doch so ganz anders als von AP gewohnt.

Viel Feind, viel Ehr

François-Henry Bennahmias ließen die negativen Kommentare ziemlich kalt. Auch die Royal Oak sei in den 1970ern ablehnend aufgenommen worden, sagt der AP-Chef. Heute gehört sie zu den Ikonen der Uhrmacherei. Dank ihr knackte man 2018 mit einer Jahresproduktion von nur 40.000 Stück die Umsatzgrenze von einer Milliarde Franken. Die Code 11.59 soll nun ein weiteres Standbein sein.

Code 11.59 heißt die neue Kollektion von Audemars Piguet. Sie wurde auf dem Genfer Uhrensalon heiß diskutiert.
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Tatsächlich blickt so manch andere Marke neidvoll auf den Erfolg des unabhängigen Unternehmens aus Le Brassus, das noch dazu so selbstbewusst ist, in Zukunft auf den Auftritt am exklusiven SIHH zu verzichten.

So wie Richard Mille. Auch die "Milliardärsmarke" (Durchschnittspreis 180.000 Euro) präsentierte ihre Kreationen – heuer zuckerlbunte Highend-Uhren – zum letzten Mal auf dem Salon. Beide Brands können dem Konzept Messe nicht mehr viel abgewinnen und wollen ihren Kunden exklusivere Einkaufserlebnisse bieten. Man setzt auf eigene Boutiquen und holt sich so unter anderem die volle Marge.

Richard Mille Bonbon-Kollektion RM07-03 "Marshmallow": Die Zifferblätter der Linie sind aus Email oder sind von Hand bemalt. Die Gehäuse der auf je 30 Stück (es sind insgesamt zehn) limitierten Modelle bestehen aus farbiger Keramik sowie aus TPT-Karbon und andersfarbigem TPT-Quarz mit Farbverlauf. Farblich setzt die Marke auf knallige Kolorierung (Fruits) oder Pastelltöne (Sweets). Im Innern der Zeitmesser tickt ein Manufakturwerk von Renaud et Papi.
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Um die betuchte Klientel bei Laune zu halten, sucht die Haute Horlogerie nach neuen Wegen der Kundenbindung bzw. der Distinktion. So bietet etwa Panerai mit dem Kauf seiner limitierten Taucheruhren "unbezahlbare" Erlebnisse an – ein Tauchgang mit einem Apnoetaucher oder einen Ausflug in die Arktis. Kostenpunkt jenseits der 30.000 Euro. Wieder andere laden zum Dinner mit Testimonials oder zum Manufakturbesuch ein. Zielgruppe ist jeweils eine männliche, reiche Klientel, über 30, gerne Sammler.

Einstiegspreis ade

Das heißt, man musste sich auch 2019 gar nicht erst die Mühe machen, am SIHH nach Zeitmessern im Einstiegssegment zu suchen. Einigermaßen leistbare Uhren haben gerade noch Montblanc und Baume & Mercier in ihrem Katalog.

Panerai Submersible Chrono – Guillaume Néry Edition: Die auf 15 Stück limitierte Taucheruhr wird mit einem exklusiven, "unbezahlbaren" Erlebnis verkauft. Ihr stolzer Besitzer darf mit dem Apnoe-Taucher Guillaume Néry eine Runde tauchen gehen.

"Wenn man sich die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre ansieht, verdankt die Branche hundert Prozent ihres Wachstums den wertvolleren Uhrenkategorien, also jenen über 4.000 Euro", sagt denn auch Hermès-Uhren-Chef Laurent Dordet gegenüber dem Handelsblatt.

Unwägbarkeiten

Unterm Strich macht die Uhrenbranche glänzende Geschäfte. So setzte der Richemont-Konzern, dessen Marken (Cartier, A. Lange & Söhne etc.) den Hauptteil der 35 Aussteller am Uhrensalon stellen, im Weihnachtsquartal 2018 mit 3,92 Milliarden Euro ein Viertel mehr um als im Vorjahr. Das stimmt positiv, auch wenn Unwägbarkeiten wie Handelskriege oder Terror kaum kalkulierbar sind.

Ein Ohren- wie Augenschmaus ist die Master Grande Tradition Gyrotourbillon Westminster Perpetual von Jaeger-LeCoultre. Schon deren sich über mehrere Achsen drehendes Gyrotourbillon bereitet jedem Aficionado feuchte Träume. Die Meister aus Le Sentier haben dem mechanischen Kleinod aber noch eine Minutenrepetition verpasst, die die Zeit in Form des sogenannten Westminsterschlags akustisch wiedergibt.
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Zu sehen gab es Innovationen, die zeigen, dass selbst beim althergebrachten Uhrmacherhandwerk immer noch ein bisserl was geht, wenn man über den Tellerrand hinausblickt. Die Uhr wird dabei immer mehr als skulpturales Objekt begriffen. So wölben sich vielerorts Miniaturgloben aus dem Zifferblatt empor, drehen sich fotorealistische Monde über der freigelegten 3D-Architektur mechanischer Uhrwerke. So ist das X (für X-Ray) zum Beispiel das Leitmotiv für die skelettierten Uhren von Ulysse Nardin.

Traditionnelle Twin Beat Perpetual Calendar aus dem Haus Vacheron Constantin: Die älteste durchgehend in Betrieb befindliche Uhrenmanufaktur der Welt stellte einen Zeitmesser mit ewigen Kalender vor, der über eine Art Stand-by-Modus verfügt. Den kann der Träger der Uhr aktivieren, wenn er weiß, dass er sie über eine längere Dauer in den Tresor legen wird. Da die Uhr nun wesentlich weniger Energie benötigt, erreicht sie, vorausgesetzt voll aufgezogen, eine Gangreserve von unglaublichen 65 Tagen.Möglich ist dies durch den Einbau von zwei unterschiedlichen Hemmungen, deren Frequenz man bestimmen kann. Die Rechnung lautet: je niedriger die Frequenz, desto höher die Gangreserve.
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Geradezu euphorisch zeigte sich das Publikum von der Traditionnelle Twin Beat Perpetual Calendar aus dem Haus Vacheron Constantin. Die Manufaktur stellte eine Uhr vor, die über eine Art Stand-by-Modus verfügt. Ist der aktiviert, erreicht sie dank niedrigerer Frequenz eine Gangreserve von unglaublichen 65 Tagen. Das heißt, die Twin Beat bleibt über zwei Monate nicht stehen. Standard sind, zum Vergleich, 48 Stunden.

Akustik ist auch bei H. Moser & Cie ein Thema. Doch zunächst ist der Betrachter der rechteckigen Swiss Alp Watch Concept Black eher irritiert: Mit dem Spruch "Geh mir nicht auf den Zeiger" kommt man bei dieser Uhr nicht weit. Denn sie hat gar keine. Zeiger nämlich. Und auch kein Logo, nur eine schwarz glänzende Oberfläche. Dafür aber ein Tourbillon, ein fliegendes gar. Anders als etwa die H8 Sculptura von Haldimann, die ein ähnliches Konzept verfolgt, auch hier dreht sich ein Tourbillon und sonst nichts, gibt sie doch die Zeit wieder, nämlich akustisch. Handelt es sich bei der rechteckigen Swiss Alp Watch Concept Black der kleinen Schaffhauser Marke doch um einen Minute Repeater.
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Auffällig auch eine Kreation der Mikromarke H. Moser & Cie. Deren rechteckiger Swiss Alp Watch Concept Black fehlt Entscheidendes: die Zeiger. Die Oberfläche wäre fast nur schwarz glänzend, wäre da nicht das Tourbillon, das auf mehr hoffen lässt. Und tatsächlich steckt in ihr ein Läutwerk, das die Zeit akustisch wiedergibt. So weiß man immer, welche Stunde gerade schlägt. Hier trifft das Bonmot eines Brancheninsiders ins Schwarze: "Wer sich eine Uhr um mehr als 10.000 Euro kauft, nur um sich die Zeit anzeigen zu lassen, braucht professionelle Hilfe." (Markus Böhm, RONDO, 22.1.2019)