An diesem Wochenende sind rund 170 Flüchtlinge etwa 50 Meilen vor der Küste Libyens ertrunken. Die libysche Küstenwache hatte ein Schnellboot geschickt, das aber angeblich Maschinenschaden hatte und zu spät kam.

Der italienische Innenminister Matteo Salvini reagierte auf diese und andere Nachrichten mit seiner üblichen faschistischen Mentalität: "Die NGOs kehren zurück, die Schlepper haben wieder ihr schmutziges Geschäft. Und der Böse soll ich sein?" Salvini richtete der einzig noch vor Ort verbliebenen NGO Seawatch 3 aus, das Schiff könne ja die große Runde machen und in Rotterdam oder Hamburg anlegen.

In diesem Licht sind die Aussagen von Bundeskanzler Sebastian Kurz zu sehen, der sich in der ORF-Pressestunde am 13. 1. zufrieden über die Entwicklung im Mittelmeer gezeigt hatte. Kurz forderte ausdrücklich zu einem "Blick auf die Fakten" auf: "Wir haben im Vergleich zu 2015 einen Rückgang von über 95 Prozent bei Anlandungen in Europa. Wir haben über die zentrale Mittelmeerroute eigentlich so gut wie niemanden mehr, der in Italien angekommen ist."

Das ist grosso modo richtig, weil Italien praktisch niemanden mehr nimmt, NGO-Schiffe vergrault wurden und die EU die libysche Küstenwache finanziert und ausrüstet, damit diese die Schlauchboote abfängt und nach Libyen "zurückstellt" (Kurz). Daraus zog Kurz den Schluss: "Das Wichtigste: Es gibt kaum noch Menschen, die im Mittelmeer ihr Leben verlieren und ertrinken. Die Richtung stimmt zu 100 Prozent."

Abhaltestrategie

Der Massentod vom letzten Wochenende hat diese Aussage zunächst einmal stark relativiert. Auch sonst muss die positive Deutung von Kurz hinterfragt werden. Libyen ist kein funktionierender Staat. Die libysche Küstenwache steht in Wahrheit unter der Kontrolle von bewaffneten Banden. Diese bekämpfen einander – laut italienischen und maltesischen Behörden antwortet die Küstenwache oft gar nicht auf Notrufe. Sie sind mit etwas anderem beschäftigt. Wer aber zurückgebracht wird, der landet oft in libyschen Horrorlagern mit Vergewaltigung und Versklavung.

Europa hat die Abhaltestrategie gegenüber Flüchtlingen an diverse Potentaten ausgelagert. Das funktioniert gegenüber Westafrika, Ägypten und der Türkei halbwegs. Das Abkommen zwischen Merkel und Erdogan, wonach die Türkei gegen Bezahlung großer Summen die Migranten nicht mehr von ihrer Küste weglässt, ist noch aufrecht und war ein Hauptgrund für die Schließung der Balkanroute.

Aber Libyen ist eben ein "failed state" mit chaotischen Verhältnissen. Gleichzeitig lassen sich immer noch Tausende aus Afrika nicht davon abbringen, den Wahnsinnstrip zuerst durch die Sahara (wo schon sehr viele sterben) und dann über das Mittelmeer zu wagen. Der geistige Vater des Deals mit der Türkei, der Migrationsexperte Gerald Knaus, sagte am Montag in der "ZiB 2", die Strategie der EU, die Leute durch eine immer gefährlicher werdende Überfahrt an der Flucht zu hindern, gehe also nicht auf.

Die Flüchtlinge erreichen großteils Europa nicht mehr. Es ertrinken offenbar weniger Menschen. Aber die Sache für gelöst zu erklären stimmt eben nicht. (Hans Rauscher, 22.1.2019)