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Khalifa Haftar ist der starke Mann in Benghasi: Vergangene Woche startete er mit seiner Libyschen Nationalen Armee eine Offensive im Süden.

Foto: REUTERS/Esam Omran Al-Fetori/File Photo

Human Rights Watch gibt seinem neuen Bericht über die Zustände, in denen Flüchtlinge und Migranten in Libyen leben, den Titel "Kein Entkommen aus der Hölle"; Politiker und Experten diskutieren, ob nun mehr oder weniger Menschen vor Libyens Küste ertrinken als zuvor – Schlüsselland auf der "Mittelmeerroute" von Afrika nach Europa. Viel mehr über Libyen kommt im hiesigen öffentlichen Bewusstsein nicht an. Im achten Jahr nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi steht das Land jedoch soeben vor dem nächsten Versuch, einen politischen Weg aus dem Chaos zu finden. Nächsten Montag kommt Libyens Premier, Fayez al-Serraj, auf Arbeitsbesuch nach Wien und wird hoffentlich Interesse dafür finden – und nicht nur für die Frage, wie Libyen Migranten vom Weg nach Europa abhalten kann.

Nach dem Willen der Uno, namentlich des Sonderbeauftragten für Libyen, Ghassan Salamé, soll in Kürze die 2018 in einem Konsultationsprozess vorbereitete "Nationale Konferenz" stattfinden. Sie soll eine Einigung über fundamentale Fragen zur politischen Zukunft Libyens bringen, etwa zur Regierungsform oder zum Grad des Föderalismus, den das historisch aus drei großen Teilen (Tripolitanien im Westen, Cyrenaika im Osten, Fezzan im Süden) zusammengefügte Land wohl braucht, um nicht zu zerbrechen.

Einen Verfassungsentwurf gibt es seit 2017, aber er deckt wichtige Fragen nicht ab. Dennoch ist eine Abstimmung darüber weiter auf dem Programm der Uno, bevor heuer Wahlen – Parlaments-, vielleicht auch Präsidentenwahlen – stattfinden sollen.

Riskante Wahlen

Diese waren ja schon für Dezember geplant gewesen, wurden angesichts der instabilen Lage jedoch verschoben: laut den Libyen-Experten Karim Mezran und Wolfgang Pusztai, Letzterer ein Österreicher, eine richtige Entscheidung. In einem Artikel für den Atlantic Council warnen sie davor, dass verfrühte Wahlen Libyen noch mehr ins Chaos reißen könnten. Zu befürchten sei etwa eine niedrige Wahlbeteiligung, die wieder nicht die nötige Legitimität für das neue Parlament bringen würde.

Denn gewählt wurde seit dem Sturz Gaddafis ja schon zweimal: Die Wahlen 2014 führten zur politischen Spaltung mit zwei Parlamenten und zwei Regierungen im Westen und Osten. Serraj ist sozusagen der dritte Pol: Er wurde nach einem Uno-Vermittlungsprozess 2016 zum Premier einer – theoretisch – nationalen Einheitsregierung und zum Vorsitzenden des Präsidialrates ernannt. De facto erstreckt sich seine Macht nicht einmal über die Hauptstadt Tripolis.

Dort brechen immer mehr Kämpfe aus, sehr oft zwischen Milizen, die Serraj nominell nahestehen. In der vergangenen Woche gab es Zusammenstöße zwischen der Tripoli Protection Force und der 7. Brigade, auch Kaniyat oder Kani-Miliz genannt, aus Tarhuna, etwa 60 Kilometer südöstlich von Tripolis. Die 7. Brigade, ursprünglich zum Verteidigungsministerium gehörig, tritt immer wieder an, um die Hauptstadt von den "korrupten" Milizen zu säubern. Tatsächlich handelt sich es bei den meisten Gruppen einfach um kriminelle Netzwerke, die um die Verteilung von Einkünften rittern. Im August 2018 kam es zu den schwersten Kämpfen seit Jahren, der damals geschlossene Waffenstillstand ist brüchig.

Haftar "befreit" den Süden

Seit einer guten Woche läuft auch eine neue militärische Operation, die der starke Mann des Ostens, Khalifa Haftar, mit seiner LNA (Libysche Nationale Armee) in Sabha in Südlibyen gestartet hat. Dort liegt Libyens größtes Ölfeld, El Sharara, das seit Dezember von Stammes- und anderen Milizen, darunter Islamisten, lahmgelegt wird. Ein Sprecher der LNA – die trotz ihres Namens nicht die offizielle Armee Libyens ist – kündigte an, den Süden "befreien" zu wollen.

Haftar, ein Exgeneral Gaddafis, hat seine Machtbasis in der westlichen Hauptstadt Benghasi und hat sich nie der Uno-vermittelten Lösung mit Premier Serraj unterworfen. Als selbstdeklarierter Retter Libyens vor Islamisten und Jihadisten bekommt er Unterstützung aus dem Ausland, etwa von Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie Russland. Aber er hat auch seine Anhänger in westlichen Ländern, die ihm eher als Serraj zutrauen, Libyen wieder zu stabilisieren. Sie sehen ihn als Präsidenten. Allerdings hat Haftar schwere Gesundheitsprobleme, die seine längerfristige Rolle infrage stellen.

Wenn auch der neue Weg zur Stabilisierung über einen nationalen Dialog scheitern sollte, wird der Ruf nach einem starken Mann noch lauter werden, inner- und außerhalb Libyens. Dafür wird auch einer der überlebenden Söhne Gaddafis, Saif al-Islam, an der Spitze des Staats ins Spiel gebracht. Aber er würde auch viel Widerstand hervorrufen. (Gudrun Harrer, 23.1.2019)