Mäuse zählen in Österreich zu den am häufigsten für Forschungszwecke eingesetzten Tieren. Auch mit Ratten, Kaninchen und Meerschweinchen wird jährlich zu Tausenden experimentiert.

APA/HANS KLAUS TECHT

Hirnforschung mit Affen, Pharmazeutika-Tests mit Mäusen, medizinische Forschung mit Meerschweinchen – Tierversuche haben sich zwar in der Forschungspraxis immer wieder als hilfreich und notwendig erwiesen, ethisch sind sie allerdings umstritten. Pro Jahr wurden in Österreich zuletzt über 200.000 Tiere für Versuchszwecke eingesetzt. Dank neuer Technologien und Entwicklungen existieren heute jedoch bereits zahlreiche Alternativen zum Tiermodell.

Österreichischer Vorreiter in puncto tierversuchsfreie Forschung ist die Med-Uni Innsbruck (MUI). Dort wurde im vergan genen Jahr die Initiative "MUI animalFree Research Cluster" gegründet. Damit sollen Ansätze für tierversuchsfreie Forschung entwickelt und junge Forscher für das Thema sensibilisiert werden, sagt die Immunologin und Initiatorin des Clusters, Doris Wilflingseder.

Zellmodell für Nierenzellen

Über 30 Wissenschaftergruppen arbeiten allein in Innsbruck an Alternativmethoden zur tierexperimentellen Forschung. Dar unter auch die Physiologin Judith Lechner und ihre Mitarbeiter, die sich auf die Erforschung geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Nierenfunktion konzentrieren. Zu diesem Zweck greifen die Forscher auf ein Zellmodell für Nierenzellen zurück, die sie aus sogenannten iPS-Zellen (induzierten pluripotenten Stammzellen) gewinnen. Diese wieder um werden aus normalen Körperzellen von vielen verschiedenen Menschen erzeugt, wodurch deren genetische Vielfalt abgebildet werden kann. "Die aus normalen Zellen gezüchteten iPS-Zellen können in alle Zelltypen des erwachsenen Organismus differenziert werden und öffnen damit völlig neue Wege für die Forschung", sagt Judith Lechner.

Bis 2006 war man überzeugt, dass sich erwachsene Gewebe zellen nicht mehr zu Stammzellen zurückentwickeln können. Ein Irrtum, wie der japanische Stammzellenforscher Shinya Yamanaka mit der Herstellung der ersten induzierten pluripotenten Stammzellen damals nachweisen konnte. Für diese Erkenntnis wurde er 2012 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet.

3D-Zellkulturen

iPS-Zellen und Stammzellen aus Geweben sind heute die Basis für eine neue Generation drei dimensionaler Zellkulturen sowie für Organoide, also künstlich hergestellte Organe im Miniformat. Durch beide Technologien können Tierversuche durch In-vitro-Systeme ersetzt werden. Dreidimensionale Zellkulturen werden etwa in der Pharmakologie schon häufig eingesetzt. "Auch am Austrian Drug Screening Institute in Innsbruck greifen die Forscher bei der Suche nach neuen Wirkstoffen und deren Sicherheitsbewertung darauf zurück", sagt der Zellbiologe Lukas Huber, der wie Wilflingseder und Lechner dem Sprecherteam des MUI animalFree Research Cluster angehört.

Eine Forschergruppe um Doris Wilflingseder arbeitet mit komplexen 3D-Gewebesystemen, mit welchen die Vorgänge in der Lunge und in der Darmschleimhaut realitätsnah nachgestellt werden können. "Auf diese Weise lässt sich in vitro beobachten, wie das System auf das Eintreten von Krankheitserregern über die Epithel- oder Schleimhautbarrieren reagiert und wie man das Eindringen bestimmter Erreger verhindern kann." Wie ihre Forschung unter anderem zu HIV ohne die 3D-Zellkultur aussehen würde? "Da das einzig brauchbare Tiermodell in diesem Fall Makaken sind, würde ich diese Untersuchungen wohl gar nicht machen."

Was aber ist mit dem häufig kritisierten fetalen Kälberserum, also dem Blut von Rinderfeten, das wegen der enthaltenen Wachstumsfaktoren nach wie vor in den meisten Zellkulturen eingesetzt wird? Der Innsbrucker Zellphysiologe Gerhard Gstraunthaler beschäftigt sich seit Jahren mit tierproduktfreien Alternativen und hat auch selbst welche entwickelt. Allerdings werden sie von den Forschern erst zögerlich genutzt: "Trotz vieler innovativer Ansätze und der Entwicklung serumfreier Medien für eine Vielzahl von Zellen ist und bleibt die Zugabe von fetalem Kälberserum immer noch das Mittel der Wahl in der Zellkultur", sagt Gstraunthaler. Offenbar ist dabei noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten.

In-silico-Verfahren

Neue Möglichkeiten für die tierversuchsfreie Forschung erwachsen aus Fortschritten im IT-Bereich. So gibt es bereits einige Computermodelle, mit welchen die menschliche Biologie und das Fortschreiten einer Erkrankung simuliert werden können. Mit diesen sogenannten In-silico-Modellen lässt sich etwa vorhersagen, wie Medikamente im Körper reagieren. Auch der Nachbau von Geweben per 3D-Druck bietet Alternativen zum Tierversuch und wird im 3D-Biodruck-Labor der MUI durchgeführt.

Die Liste der Methoden, um Tierversuche zu ersetzen, ist beachtlich – und wird laufend länger. In einigen Ländern wird intensiv daran geforscht. Besonders ambitioniert sind die Niederlande, die bis 2025 weltweiter Vorreiter bei tierversuchsfreien Innovationen werden wollen. Bis dahin sollen die gesetzlichen Sicherheitsprüfungen von Medikamenten und Chemikalien völlig ohne Tierversuche auskommen.

Studierenden informieren

Und Österreich? "Hier ist die Situation etwas schwieriger", sagt Wilflingseder. Deshalb steht Aufklärungsarbeit für die Forscher des MUI animalFree Research Cluster ganz vorne auf der Agenda: "Besonders wichtig ist uns, die Studierenden über die neuen tierversuchsfreien Möglichkeiten zu informieren." Ein erster Erfolg der Forscher ist die Verankerung des Themas im Curriculum.

Die MUI hat übrigens als erste österreichische Universität die Basler Deklaration zur tierexperimentellen Forschung unterzeichnet und sich damit zur konsequenten Umsetzung der "3R-Regelung" verpflichtet: Reduction (Reduktion der Versuchstierzahlen), Refinement (Verbesserungen für Versuchstiere), Replacement (Ersatz von Versuchstieren durch In-vitro- oder In-silico-Tests). Diese drei R zu fördern ist auch das Ziel des Vereins "RepRefRed Society", dem sich immer mehr Wissenschafter der österreichischen Medizinunis anschließen. (Doris Griesser, 27.1.2019)