Deutsche Lungenärzte fordern aktuell eine kritische Überprüfung der Auswirkungen von Feinstaub auf die Gesundheit. In einer Stellungnahme äußerte eine Gruppe von mehr als hundert Medizinern erhebliche Zweifel an den vorherrschenden Grenzwerten. Federführend ist der Lungenfacharzt Dieter Köhler, früherer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP). DER STANDARD hat österreichische Mediziner befragt, was an seinen Argumenten dran ist.

Dieter Köhler behauptet: "Es gibt keine wissenschaftliche Begründung für die aktuellen Grenzwerte, sie sind völliger Unsinn."

"An der Gefahr des Feinstaubs besteht wissenschaftlich kein Zweifel. Er löst Entzündungen in den Atemwegen aus, das wurde in einer Reihe von Studien nachgewiesen", sagt Bernd Lamprecht, Generalsekretär der Österreichische Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP). Es gibt sogar gut untersuchte Kurzzeiteffekte, etwa eine Studie aus England: Dafür wurden zwei Gruppen entlang der Oxford Street und im Hyde Park spazieren geschickt. Die Gruppe, die an der stark befahrenen Straße unterwegs war, hatte weit höhere Entzündungswerte in den Schleimhäuten und Atemwegen als die Kontrollgruppe. "Die Reparaturmechanismen, die diesen Entzündungen folgen, führen zu Schädigungen an den Atemorganen", so Lamprecht.

Weltweit ist COPD die häufigste tödliche Erkrankung durch Feinstaub. "Die Hälfte aller Betroffenen sind Nichtraucher, sie leiden also an Risiken aus der Umwelt wie etwa Belastungen aus dem Straßenverkehr", sagt Lamprecht.

Das bestätigt auch Sylvia Hartl, Lungenfachärztin im Otto-Wagner-Spital und Forschungsleiterin der Österreichische Lungengesundheitsstudie (Lead), die bereits seit acht Jahren mehr als 11.500 Probanden untersucht: "Es ist unrichtig, dass man die Auswirkungen nicht kennt. Es gibt auch viele Studien zu kardiovaskulären Erkrankungen, die auf Feinstaub zurückzuführen sind. Der Mechanismus der Schädigung ist relativ klar." Hohe Belastungen schaden vor allem jenen, die bereits krank sind.

Köhler und Kollegen sagen: "Lungenärzte sehen in Kliniken Todesfälle durch COPD und Lungenkrebs. Durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie."

Daten der WHO sagen, dass es pro Jahr durch Feinstaub zu 80.000 zusätzlichen Todesfällen kommt. Köhlers Aussage steht dazu in einem völligen Widerspruch. Bernd Lamprecht erklärt, wie es dazu kommt: "Besagte Todesfälle haben als Diagnose nicht Feinstaub, sondern eine Erkrankung, die dadurch ausgelöst wird, etwa COPD oder ein Lungenkarzinom." In der Todesursachenstatistik scheint Feinstaub daher nicht auf.

"Als praktizierender Arzt in einer Praxis kann man die Auswirkungen von Feinstaub am Einzelfall nicht nachvollziehen, weil das immer Langzeitfolgen sind, die aus Studien abgelesen werden können", sagt Hartl. Es habe sich außerdem gezeigt, dass Krankenhaus-Akutzuweisungen, Spitalsaufnahmen, Asthmaanfälle und COPD-Verschlechterungen in kurzer Zeit mehr werden, wenn die Feinstaubbelastungen erhöht sind.

Köhler kritisiert bisher veröffentlichte Studien zur Feinstaubbelastung, die Gegenden an stark befahrenen Straßen mit besseren Wohngegenden vergleichen. "Unter den Menschen, die in Gegenden mit besonders hoher Feinstaubbelastung wohnen, gibt es mehr Raucher, es wird mehr Alkohol konsumiert und weniger Sport getrieben. Das alles hat mehr Auswirkungen auf die Gesundheit als etwas Feinstaub."

"Soziodemografische Effekte spielen eine Rolle, das ist Herrn Köhler nicht als Erstem aufgefallen. Aber sämtliche Faktoren, die diese Ergebnisse verfälschen könnten, werden statistisch korrigiert", sagt Lamprecht. Heute wisse man, dass die Feinstaubbelastung ein unabhängiger Risikofaktor ist.

"Natürlich stimmt es, dass unterprivilegierte Menschen häufiger an verkehrsreichen Straßen leben und der Prozentsatz der Raucher dort höher ist", sagt Hartl. In den entsprechenden Studien werden aber Raucher aus guten Gegenden mit Rauchern aus Regionen mit stark befahrenen Straßen verglichen. So rechnet man heraus, welche Auswirkungen der Feinstaub aus dem Straßenverkehr hat.

Gemeinsam mit seinen Kollegen kritisiert Köhler die "Ideologisierung der Debatte".

"In Deutschland ist die Diskussion rund um die Dieselpartikel unverhältnismäßig", sagt Lamprecht. Das bestätigt auch Hartl: "Die Debatte ist extrem, weil die Autoindustrie in Gefahr zu sein scheint."

Die eindeutig größere Gefahr ist das Rauchen: Die Gefährdung durch Feinstaub aus dem Straßenverkehr (in Österreich 170 Todesfälle jährlich) stehe in keiner Relation zu den Gefahren durch das Rauchen (in Österreich mehr als 10.000 Todesfälle jährlich), sagt Lamprecht. Der EU-Grenzwert liegt bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter, auf Autobahnen sind es 35 Mikrogramm pro Kubikmeter. Im Vergleich dazu gibt es in Raucherlokalen Konzentrationen zwischen 50 und 500 Mikrogramm pro Kubikmeter.

"Fahrverbote sind ein Witz", sagt Köhler.

"Grenzwerte und Fahrverbote sind nicht unsinnig, weil sie der Politik eine Handhabe geben und zu Konsequenzen führen. Dass es gut funktioniert, kann man in Österreich sehen. Wir sind froh, dass wir diese Grenzwerte haben. Sie haben bisher viel gebracht. Wenn wir die Daten der ZAMG von 1960 mit jetzt vergleichen, dann sehen wir, dass wir Wunder erreicht haben. Die Belastungen sind extrem zurückgegangen", sagt Hartl, die seit Jahren Überzeugungsarbeit in dieser Hinsicht leistet. Ihre Schlussfolgerung als Medizinerin: Wenn erkannt wird, dass etwas eine krankheitsfördernde Wirkung hat, muss die Einwirkung auf den Organismus möglichst gering gehalten werden.

Laut Köhler würde ein Raucher, der täglich eine Zigarettenschachtel konsumiert, in weniger als zwei Monaten die Feinstaubdosis erreichen, die ansonsten ein 80-jähriger Nichtraucher in seinem ganzen Leben einatmen würde. Demnach, so der Mediziner, müssten die meisten Raucher nach wenigen Monaten alle sterben, was offensichtlich nicht der Fall sei.

"Ein Raucher nimmt viel mehr Feinstaub zu sich als ein Nichtraucher. Das heißt nicht, dass Nichtraucher durch Feinstaub nicht gefährdet sind. Diese Gegenüberstellung suggeriert etwas Falsches", sagt Hartl. Man könne keine globale Aussage machen, die besagt: "Was regt ihr euch über den Feinstaub auf, wenn Rauchen noch überall erlaubt ist", sagt Hartl. Weil etwas extrem Schlechtes wie das Rauchen noch nicht streng reguliert ist, sollte das weniger Schlechte wie der Feinstaub nicht ebenfalls erlaubt beziehungsweise weniger reguliert werden. Außerdem trifft der Feinstaub in der Luft alle Menschen, nicht nur jene, die sich für das Rauchen entscheiden, sagt Hartl. Feinstaub aus dem Verkehr sei eine zusätzliche Belastung für alle. (Bernadette Redl, 23.1.2019)