Finlay Shakespeare live 2018. Das Instrumentarium ist selbstgebaut.

Foto: Fabio Lugaro

Heutiger Pop mit leidlich hohem Hip-Faktor entsteht auf kleinen aufklappbaren und tragbaren Fließbändern. Mittels Autotuneeffekt auf den Stimmchen wird aufgesexte Quietschentenmusik für postdramatische Autodromfahrten im Prater produziert. Das ist die Abteilung mit dem schnellen Geld. Andererseits entstehen gegenwärtig geschredderte Kunstlieder zwischen Ruckelbeats aus dem Forschungslabor des Intelligent-Techno der 1990er-Jahre, der in zwei Jahren von Björk, in drei von Rihanna und in fünf Jahren von Madonna entdeckt werden wird.

Zusammengenommen bedingt das alles mehr oder weniger reine Beliebigkeit. Beliebigkeit ist das Ende der Hingabe. Ohne die notwendige "Dedication" wird Pop dann ungefähr so wichtig, wie die Begleitmusik in einer Abspecksendung auf einem Privatsender, wenn zum Einmarsch der Gösserfriedhöfe der Depeche-Mode-Song Where‘s The Revolution läuft.

Modularboxen und Steckkabelfrustration

Apropos Depeche Mode. Mit der Musik der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre und dabei vor allem The Human League, Cabaret Voltaire, Clock DVA, Soft Cell und natürlich Suicide als Übervätern jener Postpunkszene, die vor allem auf elektronische Gerätschaft wie transportable Modularsynthesizer setzte, ist auch Shakespeare großgeworden.

Immerhin klingen diese frühen und heute wieder hoch im Kurs stehenden Gerätschaften mit ihren für Frustrationserlebnissen für Jung und Alt sorgenden Steckkabelverbindungen noch immer so zeitlos, dass sie neben dem üblichen Retroschrott im Bereich Postpunk mit zackigen Gitarren immer wieder gern als Fetische beschworen werden.

EditionsMego

Finlay Shakespeare veröffentlicht jetzt nach diversen kleineren Vorgängerarbeiten (unter anderem die Reihe Housediet oder der Suicide- und Elektro-Gedächtnisrockabilly Routine) das Debütalbum Domestic Economy. Das alles geschieht aufgrund eines mittlerweile komplett zerfaserten Marktes nicht etwa länger bei einem großen internationalen Label – wie das etwa bei den stilistisch durchaus vergleichbaren, wenn auch entschieden rockistischeren LCD Soundsystem um deren New Yorker Mastermind James Murphy der Fall ist.

Harsch und spartanisch

Der im britischen Bristol beheimatete Finlay Shakespeare ist für diese auch als Doppel-Vinyl erhältliche, grandiose und forsch live ohne Overdubs aufgenommene Arbeit beim kleinen, allerdings historisch unter anderem dank Christian Fennesz und dem Klassiker Endless Summer verdienten Wiener Label Editions Mego gelandet.

Die harschen Rhythmen und spartanischen Sounds holt Shakespeare dabei neben einer Drum Machine aus selbstgebauten Modularboxen, die er in seinem Hauptberuf als Konstrukteur bei Future Sound Systems baut.Damit werden harsche, hypnotisierende Tracks erzeugt, die an die guten alten paranoiden Zeiten der Thatcher-Jahre erinnern. Live steigert sich der manische Performer in gesanglich intensive Endlosmantras, die auch nicht gerade davon berichten, dass die Erde schön sei und der Herr sie liebe.

Die Angst geht um in Europa. Finlay Shakespeare fügt dem ganzen in Städtesongs wie Dublin, Amsterdam oder Birmingham eine weitere apokalyptische Note hinzu. (Christian Schachinger, 24. 1. 2019)